Gefaltete Hände beim Beten.
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Vaterunser: Ist das bekannteste Gebet der Christen richtig übersetzt worden?

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"Vaterunser": Diskussion um richtige Übersetzung

"Und führe uns nicht in Versuchung", lautet eine Passage des bekanntesten christlichen Gebets, das der Überlieferung nach von Jesus stammt. Doch hierzulande gibt es immer wieder Diskussionen, ob der Ursprungstext tatsächlich richtig übersetzt wurde.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Es ist das wichtigste und bekannteste christliche Gebet und wird von Christen aller Konfessionen und Kirchen in praktisch jedem Gottesdienst gesprochen: das Vaterunser. Der biblischen Überlieferung nach, also laut Matthäus- und Lukasevangelium, hat Jesus das Gebet direkt an seine Jünger weitergegeben. Genau das macht die Worte für Christen bis heute auch zu etwas ganz Besonderem. Aber hat Jesus das Vaterunser wirklich genau so gebetet, wie es viele Christen heute in- und auswendig aufsagen können? Schon lange schwelt ein Streit um den "richtigen" Wortlaut des bekanntesten Gebets der Christenheit. Konkret geht es um die Passage: "Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen."

"Führe uns nicht in Versuchung": Keine gute Übersetzung?

"Das ist keine gute Übersetzung", gibt sogar Papst Franziskus schon 2017 in einem Fernsehinterview zu. "Die Franzosen haben sie geändert in eine bessere Übersetzung: 'Lass mich nicht in Versuchung fallen'. Ich bin es, der fällt. Es ist nicht Gott, der mich in die Versuchung schiebt, um dann zu sehen, wie ich gefallen bin. Nein, ein Vater macht das nicht", sagt Franziskus.

Muss das Vaterunser also umgeschrieben werden? Tatsächlich hatten die französischen Bischöfe 2017 Fakten geschaffen. Seither beten französische Christen: "Lass uns nicht in Versuchung geraten", anstatt: "Unterwirf uns nicht der Versuchung". Auch andere Bischofskonferenzen wie in Portugal und Spanien entschieden sich für ähnliche Übersetzungsvarianten. Die Italiener beispielsweise beten seit 2018: "Verlasse uns nicht angesichts der Versuchung".

Kirchen in Deutschland sehen keinen Grund zur Änderung

In Deutschland sehen evangelische und katholische Kirche bisher keinen Anlass, den Gebetstext zu ändern: Biblische Texte könne man nicht einfach umschreiben, sagt der frühere evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm. Und auch die Deutsche Bischofskonferenz sieht trotz Diskussion keinen Änderungsbedarf. "Gerade die konfessions- und länderübergreifende Einheitlichkeit des Textes im gesamten deutschen Sprachraum ist dabei nicht das unbedeutendste Argument", heißt es in einer entsprechenden Erklärung aus dem Jahr 2018. "Führe uns nicht in Versuchung" sei nicht als Bitte wie eine Beschwörungsformel zu verstehen, sondern als Ausdruck der Erkenntnis menschlicher Schwäche und des Vertrauens auf göttliche Führung. Katholiken und Protestanten im deutschsprachigen Raum bleiben also bei der alten Version: "Führe uns nicht in Versuchung".

Zu Recht, sagt der Exeget Thomas Söding, immerhin sei die altbekannte auch die philologisch richtige Variante, die so in den allermeisten Bibelübersetzungen auftauche. "Man kann sich die Gebete nicht so backen, wie man es gerne hätte. Und es ist die Formulierung, die am deutlichsten macht, dass der Gott, den Jesus verkündet, kein harmloser Gott ist, sondern dass er ein Gott auf Leben und Tod ist und genau deshalb ein rettender Gott sein kann. Es geht dann ja weiter mit 'und erlöse uns von dem Bösen' – zumindest bei Matthäus", sagt Thomas Söding.

Aramäisch: Wurde das Vaterunser richtig übersetzt?

Doch darüber, was Jesus ursprünglich gesagt habe, gibt es viele Mutmaßungen. Jesus sprach eigentlich Aramäisch. Die Evangelien, die das Gebet überliefern, sind aber auf Griechisch verfasst. Der Satz könnte also auch eine Fehlübersetzung aus dem aramäischen Original sein. Solche Überlegungen gebe es immer wieder, sie seien aber reine Spekulation, meint Exeget Thomas Söding - weil es kein aramäisches Original gibt, das man überprüfen könne.

Tatsächlich aber vermittelt der bekannte Text das Bild eines boshaften Gottes, der Gläubige bewusst aufs Glatteis führt, um sie zu prüfen. Doch genau das widerspricht Gott, wie er an vielen anderen Stellen der Bibel beschrieben wird, gibt der Theologe Paul Zulehner zu bedenken. Gott führe niemanden in Versuchung, sondern leitet und führt Menschen "im dunklen Tal", wie es in den Psalmen heißt.

Appell für mehr sprachliche Offenheit

"Führe uns nicht in Versuchung", oder doch besser "Führe uns in der Versuchung"? Paul Zulehner findet beide Übersetzungen gut. Der katholische Theologe spricht mal den einen Wortlaut, mal den anderen - je nach spirituellem Rahmen. "Persönlich glaube ich, dass wir durchaus diese persönliche spirituelle Beweglichkeit haben sollten, weil eine sprachliche Offenheit uns die Chance gibt, uns vielleicht tiefer einzunisten in das, was mit dieser Vaterunser-Bitte letztlich gemeint ist", sagt Zulehner. Eine Notwendigkeit, den altbekannten Text aus Gründen der Seelsorge offiziell zu ändern, sieht Paul Zulehner nicht. Sich aber zu sehr an überlieferte Texte zu klammern, das sei auch nicht der richtige Weg, schon gar nicht, wenn diese niemand mehr verstehe. "Ich sehe aus den Studien zum Verhältnis der Menschen zu Kirche und zum Gottesdienst, die ich mache, dass viele unter dieser antiquierten Sprache sehr leiden. Dass wir Sprachflexibilität brauchen, um auch das, was vom Evangelium gesagt werden will, in einer zeitgerechten Sprache sagen zu können. Das ist legitim. Und das muss man pastoraltheologisch auch akzeptieren, auch wenn die Bibeltheologen da ein bisschen schmollen", sagt Zulehner.

Versuchung kommt noch in Schokoladenwerbung vor

Das missverständliche Gottesbild aus dem Vaterunser ist für die Erfurter Theologin Julia Knop nicht das einzige Problem am althergebrachten Wortlaut. Für missverständlich hält sie auch den Begriff "Versuchung". Der komme heute höchstens noch im Kontext von Schokoladenwerbung vor. Im biblischen Zusammenhang stehe "Versuchung" aber nicht für Laster und moralische Fehltritte. "Die Versuchung ist hier nicht die Schokolade, sondern, von Gott abzufallen, dass die Jünger an ihrem Glauben verzweifeln." Das sei natürlich nicht Gottes Wille.

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