Dirndl der Familie Wallach bei einer Ausstellung im Jüdischen Museum München 2007
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Dirndl der Familie Wallach bei einer Ausstellung im Jüdischen Museum München 2007

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Wie das Dirndl in die Stadt kam

Der Erfolg des Dirndls als weltweit bekanntes bayerisches Kult-Kleidungsstück ist vor allem den Wallach-Brüdern aus Westfalen zu verdanken. Sie brachten es Ende des 19. Jahrhunderts nach München - und statteten bald allerlei Berühmtheiten damit aus.

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Das Dirndl, heute festes Element des Oktoberfests und längst auf der ganzen Welt berühmt, war einst kaum einem Stadtbewohner bekannt, auch nicht auf der Wiesn. Erst durch zwei Brüder, die Ende des 19. Jahrhunderts ein Geschäft in München eröffnet hatten, fand es seinen Weg nach München: Das waren die Gebrüder Wallach.

Das Geschäft von Moritz und Julius Wallach hatte sich schon bald nach seiner Eröffnung als erste Adresse für Volkskunst und Landestrachten etabliert. Die Wallachs, Söhne eines jüdischen Getreidehändlers, hatten Großes vor: "Mein Bruder Julius hatte 1906 aus dem Brixental in Tirol ein Trachtenkostüm mitgebracht. Mir kam der Gedanke, dass sich daraus eine kleidsame Tracht für die Damen in der Stadt entwickeln ließ", schreibt Moritz Wallach in seinen Memoiren.

Dem Sohn eines jüdischen Getreidehändlers aus Westfalen wäre demnach die Entwicklung des Kleidungsstückes zu verdanken, das heute weltweit als "typisch bayrisch" gilt und zum Symbol geworden ist für Brauchtum und Oktoberfest.

Begeisterung für "Bauern-Costüme"

Julius und Moritz Wallach stammten aus Westfalen und sammelten ihre ersten Eindrücke von Bayern in Regensburg. Hier arbeitete Julius Wallach Ende des 19. Jahrhunderts. Auf der Suche nach traditioneller Kultur landete er 1897 schließlich in München, wo er als Schaufenster-Dekorateur, Innenausstatter und Verkäufer von Möbelstoffen tätig wurde. Sein Bruder Moritz folgte ihm, gemeinsam gründeten sie ein erstes Geschäft in der Lindwurmstraße 145.

Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Trachtenbegeisterung bereits weite Kreise des Bürgertums erfasst. In vielen, oft jüdischen Geschäften in Bayern und Österreich gab es "Bauern-Costüme" von der Stange zu kaufen. Bereits vor Wallachs Dirndl-Kreationen existierten ähnliche, wenn auch weniger aufwendig gearbeitete Kleidungsstücke. Sie waren bei Urlauberinnen aus den Großstädten beliebt, weil frau darin auf das unbequeme Korsett verzichten konnte – das feste Mieder hielt die Figur trotzdem in Form.

Von der Lindwurmstraße zur Residenz

Der wahre Durchbruch kam, als eine königliche Persönlichkeit auf das Trachtenkleid aufmerksam wurde: Die Gemahlin von Prinz Joachim von Preußen, die ein Dirndl bei einem vornehmen Anlass in Paris trug - gekauft bei den Wallachs in München. Diese königliche Anerkennung katapultierte das Dirndl in die internationale Modearena. Die Wallachs hatten ihr Geschäft mittlerweile von der wenig vornehmen Münchner Lindwurmstraße mitten hinein in die Stadt verlegt. Nun fand man Wallach direkt gegenüber vom Alten Peter, später dann in der Residenzstraße.

Bühnenausstattungen und prominente Kundschaft – ein Laden wie Wallach musste jede Gelegenheit nutzen, sich werbewirksam zu präsentieren. Ideal dafür war die "Jubiläumswiesn" von 1911. Beim Festzug zum 100-jährigen Bestehen des Oktoberfestes kleidet das "Spezialhaus für Landestrachten" die Fußgängergruppen "historisch" ein und stattet die Festwagen aus, kostenlos und ganz "im Sinne des Jahres 1810, getreu nach Bauernsitte", wie es in der Chronik heißt. Auch die dortigen Bedienungen von Bürgerbräu und Bräurosl statteten die Wallachs aus.

Eigene Produktionsstätten für Stoffe

Die "Wallach Werkstätten AG" produzierte mittlerweile selbst in Dachau. Unter der Leitung eines dritten Bruders, des Ingenieurs Max Wallach, wurde hier gesponnen, gewebt, gefärbt und gedruckt. In der Weltwirtschaftskrise sanken die Aufträge im Hause Wallach, das bereits im Ersten Weltkrieg mit Lieferschwierigkeiten zu kämpfen gehabt hatte. Bruder Julius stieg aus, Moritz Wallach führte das Geschäft allein weiter, neuen, modernen Stilrichtungen wie dem Bauhaus zum Trotz. Die Rettung aus den sinkenden Absätzen brachte schließlich ein Bühnenauftrag: Für die Berliner Uraufführung der Operette "Im Weißen Rössl" im Jahr 1930 liefert Wallach die Kostüme.

Nach der Machtübernahme der Nazis bleibt Moritz Wallach in München, während seine vier Kinder bereits früh emigrieren. Geschäftlich läuft es besser denn je; die Vorliebe der neuen Machthaber für Rustikales lässt den Umsatz steigen. Andererseits ist allgemein bekannt, dass die Wallachs Juden sind. Ab 1937 wird der Druck auf Moritz Wallach immer stärker, sein Unternehmen an einen "Arier" zu verkaufen. Im März 1939 ist es schließlich so weit; die von den Nazis festgesetzte Verkaufssumme reicht gerade für "Reichsfluchtsteuer", "Sühneabgabe" und die Schiffspassage des Ehepaares nach Amerika. Dort gelingt ihm der Aufbau einer neuen Existenz mit dem Bedrucken von Tischdecken.

Im Podcast: Die Brüder Wallach oder wie das Dirndl in die Stadt kam

Nach dem Krieg erhielten die Wallachs ihr Eigentum in München und Dachau zurück. Einigermaßen reibungslos ging das laut Sohn Frederick nur deswegen, weil der Käufer einst sogar die erpresserisch niedrige Kaufsumme nur zum Teil bezahlt hatte.

Rückkehr nach Deutschland

Auch Moritz' Bruder Julius war die Flucht in die USA gelungen; er kehrte nach dem Krieg nach Deutschland zurück. Der dritte Bruder jedoch, Max, ist wie seine Frau und weitere Geschwister im Konzentrationslager Theresienstadt gestorben. Moritz bleibt in den USA, besucht aber bis zu seinem Tod im Jahr 1964 immer wieder das Münchner Unternehmen.

In den 80er-Jahren, rund 20 Jahre nach Moritz' Tod, stellte das Dachauer Werk seinen Betrieb ein. Der Lagerbestand an Stoffen mit dem berühmten Wallach-Muster – kleine stilisierte Trachtenfigürchen, Hochzeitswagen, Landschaften auf leuchtend-farbigem Grund - reichte noch für zwei Jahre. Dann verkauften die Erben das Münchner Geschäft an die Firma Loden-Frey, die es unter dem alten Namen "Wallach" bis 2004 weiterbetrieb.

Erinnerung durch das "Wallach Project"

In diesem Jahr startete die 27-jährige Wallach-Urenkelin Amelia Rosenberg nun das sogenannte "Wallach Project", vorgestellt im Juni im Münchner Stadtmuseum. Die Anfänge des Projekts reichen fünf Jahre zurück, als Rosenberg für ihre Bachelorarbeit Orte besuchte, die mit den Wallachs in Verbindung standen. Die Reise führte sie nach Rheda-Wiedenbrück, München, Dachau und Ruhmannsfelden im Bayerischen Wald. In letzterem entdeckte sie die alte Stoffdruckerei der Familie Fromholzer, die bereits vor dem Krieg mit den Wallachs zusammengearbeitet hatte. Rosenberg stieß auf zahlreiche Holzstempel und Siebdruckvorlagen, die von ihren Vorfahren stammten, sowie auf Drucke mit den alten Mustern. Im "Wallach Project" finden sich diese nun sorgfältig fotografiert und auf seiner Website veröffentlicht.

Dirndl-Modenschau am Flughafen München 1962
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Dirndl-Modenschau am Flughafen München 1962

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