Besucherinnen im Dirndl auf dem Volksfest in Poing.
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Dirndl und Lederhose: "Ein Stück Heimat auf der Haut"

Jetzt, mitten in der Volksfest-Saison, sieht man sie überall – bei alt und jung: Dirndl und Lederhosen. Für viele Menschen in Bayern haben sie eine besondere Bedeutung. Warum eigentlich? Und was genau versteht man unter "authentischer Tracht"?

Über dieses Thema berichtet: Abendschau am .

Die Bilder gingen kurz vor dem G7-Gipfel um die Welt: US-Präsident Joe Biden wird am Flughafen München empfangen. Sehr bayerisch. Mit traditionellen Dirndl, Lederhosen – und sogar Blumen im Dekolleté.

Es dauerte nicht lange, bis im Internet vielfach darüber diskutiert wurde: Wie authentisch ist dieses Empfangskomitee überhaupt? Und: Laufen die Bayern wirklich so rum? Der Journalist Swen Thissen fragte etwa auf Twitter: "Welche Gesellschaft soll das repräsentieren"? Und ein bekannter amerikanischer Publizist twitterte: "Die Deutschen ziehen sich nie so an, wenn ich zu Besuch bin."

Mit Dirndl und Lederhose aufs Volksfest

Aber stimmt das? Ziehen wir uns wirklich "nie" so an – außer einmal im Jahr zur Wiesn, was ja allseits bekannt ist? Ein Ortsbesuch auf dem Poinger Volksfest, eines von vielen Festen dieser Art, die derzeit in ganz Bayern stattfinden: Hier treffen sich alt und jung, überzeugte Trachtenvereinsmitglieder und Leute, die vor allem Party machen wollen. Auffällig ist aber schon auf dem ersten Blick: Fast alle Besucherinnen und Besucher haben Dirndl und Lederhosen an.

Eine von ihnen ist Magdalena Scherzl aus Poing. Die 23-Jährige ist nicht nur Trachtenwart in ihrem Dirndlverein, sondern auch ausgebildete Trachtenschneiderin. Ihr Kleid hat sie sich natürlich selbst genäht. Beim Entwurf ihrer Kollektionen achtet sie darauf, dass der Bezug zu den alten Trachten erhalten bleibt. Doch welche Bedeutung hat die bayerische Tracht für die 23-Jährige persönlich? Diese Frage kann Scherzl sofort beantworten: "Ich bin damit aufgewachsen. Es ist halt einfach ein Zugehörigkeits-Gefühl, ein Stück Heimat auf der Haut".

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Kulturwissenschaftlerin: "Das hat was mit Zugehörigkeit zu tun"

Auch die Münchner Kulturwissenschaftlerin Simone Egger ist der Überzeugung, dass Dirndl und Lederhosen auch deshalb so beliebt sind, weil sie für alle ein Zugehörigkeitsgefühl ermöglichen: "Das Bayerische hat eine unglaubliche Bildsprache. Auch die Dirndl und Lederhosen. Und das spielt sicher eine Rolle, warum das so wahnsinnig boomt alles Bayerische. Ich kann damit auch ohne Worte sagen: 'Das hat was mit uns zu tun, das hat was mit Zugehörigkeit zu tun, das hat was mit Gemeinschaft zu tun.'''

Diese starke Bildsprache biete sich demnach auch ideal für Empfangskomitees an, und das nicht erst seit den G7-Gipfeln in Bayern in den Jahren 2015 und 2022: "Empfangskomitees in Tracht haben in Bayern eine lange Tradition. Die kennt man schon aus dem 19. Jahrhundert", so Egger. Tracht sei sogar schon beim allerersten Oktoberfest 1810 eingesetzt worden, als die Kinder in damals "modernen" Trachten aufgetreten seien, um das Land Bayern zu symbolisieren. "Ob das jetzt unbedingt so authentisch ist, das spielt überhaupt keine Rolle", erklärt die Kulturwissenschaftlerin, denn: "Traditionen werden auch gemacht, auch wenn sie nicht unbedingt authentisch sind."

Auch bei den Olympischen Spielen 1972 in München seien die kurzen hellblauen Dirndl aus diesen Gründen eingesetzt worden: "Das war dann wirklich ein Aushängeschild in der ganzen Welt", sagt die Wissenschaftlerin. "Man hat ganz bewusst diese Bilder – Frauen im Dirndl, Männer in der Lederhose - eingesetzt, um auch für Bayern zu werben." Sogar die Lufthansa-Stewardessen seien deshalb entsprechend gekleidet gewesen.

Dirndl- und Lederhosen-Boom seit rund 20 Jahren

Laut Simone Egger setzte der bis heute andauernde Dirndl- und Lederhosen-Boom bereits rund um das Jahr 2000 ein. Das hätte auch etwas mit dem Imagewandel des Oktoberfestes zu tun. Laut Egger gab es in der Geschichte der bayerischen Tracht jedoch immer "Hochs und Tiefs": Noch in den 90er-Jahren sei es eher uncool gewesen, mit einer Lederhose auf die Wiesn zu gehen.

Jetzt, nach der Corona-Pause, freuten sich die Leute jedoch umso mehr, wieder ihre Tracht anziehen zu dürfen. Hinzu komme, die Begeisterung übertrage sich auch auf die ganz junge Generation. Egger erklärt das so: "Die Dirndl und Lederhosen haben was unglaublich Verbindendes und das gilt dann für alle, die mitmachen wollen". Da spiele es dann auch keine Rolle, wie alt oder jung jemand sei oder ob er oder sie viel Geld für ein Dirndl oder eine Lederhose ausgeben wolle oder sich eher für ein günstigeres (Party-)Modell entscheide.

Dirndl und Lederhosen als Ausdruck von Glück

Aber warum tragen manche so gerne Tracht? Die Kulturwissenschaftlerin weiß: "Tracht zieht man an, wenn man irgendwo zusammen hingeht. Wenn man andere trifft und feiern will, dann zieht man sich festlich an. Man geht mit der Familie oder mit dem Freundeskreis. Dirndl und Lederhosen sind ein Ausdruck einer guten Stimmung und ein Ausdruck von Glück."

Hinzu komme: Die Leute beschäftigten sich mit einer Form von bayerischer Kultur. Sie setzten sich damit auseinander, wo sie leben. "Hier in München und Bayern leben wahnsinnig unterschiedliche Menschen mittlerweile und die begegnen sich in Tracht, da kann jeder dabei sein. Tracht ist eine moderne Form von Kommunikation".

Was ist Tracht überhaupt und woher kommt sie?

Doch was ist Tracht überhaupt? Die Definition von Simone Egger mag so manchen eingefleischten Trachtler erstaunen: "Tracht war nie etwas Feststehendes. Das was wir heute als 'Tracht' kennen, ist tatsächlich etwas, was immer schon der Blick der Städterinnen und Städter aufs Land war", sagt Egger. Die heutigen Dirndl und Lederhosen seien deshalb Formen von Tracht, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt haben.

"Tracht ist historisch gesehen das, was auf dem Land getragen wird. Das sind Kleider, die nicht industriell gefertigt sind." Dr. Simone Egger, Kulturwissenschaftlerin

Mit den sogenannten "Sommerfrischlern" im 19. Jahrhundert sei die Tracht dann auch in den Städten immer beliebter geworden. In München habe dabei auch ein bekanntes Unternehmen dazu beigetragen, die Tracht vom Land in die bayerische Landeshauptstadt zu bringen: Die Trachtenfirma Wallach.

Andererseits hätten die Menschen auf dem Land dann wiederum die moderneren Kleider aus der Stadt gekauft. So entwickelte sich langsam das, was wir heute unter "traditioneller Tracht" verstehen. Deshalb sei nicht nur die heutige Partytracht eine neue Form, sondern strenggenommen auch die traditionelle Vereinstracht.

Kulturwissenschaftlerin: "Hirschlederne nicht authentischer als Lederhosen-Imitat aus dem Supermarkt"

Doch was versteht man heutzutage unter "authentischer" Tracht? Die Kulturwissenschaftlerin meint: "Darüber gibt es immer wieder Streit. Ist die Hirschlederne für 900 Euro authentischer als das Lederhosen-Imitat vom Supermarkt? Es ist nichts authentischer oder weniger authentisch als das andere". Schließlich könne sich jeder je nach Geldbeutel so anziehen, wie er wolle.

"Ob Partydirndl oder Hirschlederne: Das sind beides unterschiedliche Entwicklungen von Tracht, aber es ist beides etwas, das ein Lebensgefühl ausdrückt in einer bestimmten Region und beides etwas, was der Kommunikation dient, der Begegnung, und nix ist echter oder authentischer als das andere." Dr. Simone Egger, Kulturwissenschaftlerin

Dirndl sind also Ausdruck eine guten Laune, einer guten Stimmung. Vielleicht wollte man ja genau das transportieren bei der Begrüßung von Joe Biden am Münchner Flughafen. Bleibt nur noch die Frage offen, ob die Bayern bzw. die Deutschen sich auch außerhalb eines Staatsempfanges so anziehen. Das lässt sich einfach beantworten: Ja, viele Menschen in Bayern, aber auch in einigen anderen Bundesländern, laufen wirklich so rum. Zumindest jetzt, in der Volksfestzeit.

 Bernhard Finauer 1. Vorstand des Trachtenvereins in Poing
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Bernhard Finauer, 1. Vorstand des Trachtenvereins in Poing.

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