Der deutsche Länderpavillon hat dieses Jahr das Motto „Wegen Umbau geöffnet“.
Bildrechte: Moritz Holfelder

Der deutsche Länderpavillon hat dieses Jahr das Motto "Wegen Umbau geöffnet".

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Wegen Umbau geöffnet: Deutschland auf der Architekturbiennale

Die Internationale Architekturbiennale steht dieses Jahr unter dem Motto "Laboratory for the Future". Der deutsche Länderpavillon wird von zwei jungen Architektur-Kollektiven bespielt, die mit einem Mitmach-Konzept Nachhaltigkeit leben wollen.

Im ersten Raum der Ausstellungsflächen im venezianischen Arsenale, den langgestreckten Hallen der alten Seilflechterei, sind in einem verspiegelten Saal verschiedene Zitate zu lesen, darunter auch eines von Paul Polman, dem niederländischen Manager, der als Vorstand großer Unternehmen arbeitete und sich dann lieber Kampagnen für Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung widmete. Sein Zitat lautet: "Der Klimawandel wird gerne als Veränderung des Wetters verstanden. In Wirklichkeit meint er, dass sich unser Leben komplett verändern wird."

Theorie und Praxis

Der deutsche Pavillon in den Giardini von Venedig ist der einzige bei der Architekturbiennale, der Paul Polmans Statement auch in Aktion umsetzt. Das achtköpfige Kuratorenteam arbeitet seit letztem November an der Präsentation mit dem Titel "Wegen Umbau geöffnet". Ziel ist es, möglichst nachhaltig vorzugehen. So wurde die vorherige Arbeit "Relocating a Structure", mit der die Berliner Künstlerin Maria Eichhorn an der Kunst-Biennale teilnahm, nicht zurückgebaut, sondern einbezogen. Eichhorn hatte Boden und Wände aufgerissen, um sichtbar zu machen, wie die Nationalsozialisten 1938 die ursprüngliche Ausstellungshalle noch monumentaler gestaltet hatten.

Das Material vergangener Biennalen

Für die Architektin Anne Femmer hat die Weiterführung des Pavillons gleich zwei Effekte: "Von Maria Eichhorn sieht man die Eingriffe und Freilegungen, da gibt es jetzt eben Überlagerungen mit der letzten Kunstbiennale. Außerdem war es ohne den Rückbau die einzige Möglichkeit, sofort loszulegen und das Material hier einzulagern."

Die Leipziger Architektin hat zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen den Hauptraum des Deutschen Pavillons zu einem Materialdepot gemacht. Von anderen Pavillons der letzten Kunstbiennale sammelte man alles ein, was sonst weggeschmissen worden wäre. Teile verwendete man für die eigenen Einbauten, der Rest wurde gesäubert, aufgelistet und gelagert: "Wenn man die Biennale vom letzten Jahr kennt, erkennt man noch viele Reste. Hier – dieser Kopf vom Schweizer Pavillon. Oder von den USA – die Balken, die da liegen, und Platten von einer großen Podesterweiterung, meistens ist es viel Staffage."

Der Deutsche Pavillon besteht diesmal aus dem Materiallager, einem Waschraum, einer Küche und einem Versammlungsraum. Herzstück ist die Werkstatt, in der die gesammelten Materialien für bauliche Interventionen in Venedig wiederverwendet werden. Zu tun gibt es vieles, sagt Anne Femmer: "Zum Beispiel ein Tickethäuschen für einen Fußballclub zu bauen, weil die sonst auch im Regen verkaufen müssen; Zäune zu streichen oder Keller aufzuräumen von einem Kloster, was noch versucht, die Weinbautradition aufrecht zu erhalten; oder es gibt kleine Reparaturen auf Giudecca, wo es besetzte Wohnungen gibt, die Bedürftigen zur Verfügung gestellt wurden."

Gemeinschaftliche Alltagspraxis statt Repräsentation

Das achtköpfige Kuratorenteam, bestehend aus zwei Kollektiven, verwandelt den Deutschen Pavillon von einem Raum der nationalen Repräsentation in einen Ort der gemeinschaftlichen Alltagspraxis. Insgesamt 400 Auszubildende und Studierende aus Europa werden das Team in den nächsten sechs Monaten unterstützen. Alle 14 Tage reisen 20 Freiwillige an, um an Projekten teilzunehmen. Demnächst wird eine Gruppe der Münchner Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco erwartet. Sie soll Einrichtungen für ein von Bedürftigen instandgesetztes Haus bauen.

Die sozialen und baulichen Interventionen des deutschen Kuratorenteams sind ein gutes Beispiel für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft, für das immer wichtiger werdende Bauen im Bestand und eine verantwortungsvolle Architektur. Anne Femmer hofft auf den Vorbildeffekt. "Man kann sagen, dass das nur ein kleines Experiment ist, aber wird sind optimistisch, dass sich das übertragen lässt. Wir glauben, die kleinen Reparaturen sind ein Weg, in Zukunft weiter zu bauen."

Dekolonisation und Dekarbonisierung

Den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag hat dieses Jahr Brasilien erhalten. Der Pavillon des Landes mit dem Titel "Terra" beschäftigt sich mit der Rolle der Vergangenheit für das Verständnis der Zukunft. Die Erde dient in ihrer Ausstellung als roter Faden.Die Erde dient in ihrer Ausstellung als roter Faden. Von der Fachjury hieß es, die Kuratoren Gabriela de Matos und Paulo Tavares hätten die "Philosophien und Vorstellungen der indigenen und schwarzen Bevölkerung mit Blick auf Formen der Wiedergutmachung" in den Mittelpunkt gestellt. Den Goldenen Löwen für den besten Teilnehmer erhielt "DAAR" um Alessandro Petti und Sandi Hilal aus Stockholm und Bethlehem.

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