Putins Pressesprecher im Einsatz
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Dmitri Peskow

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"Wahl keine echte Demokratie": Putins Sprecher irritiert Russen

Mit einer grotesken Äußerung zur kommenden russischen Präsidentenwahl sorgt Dmitri Peskow für Aufsehen. Demnach werde Putin "mehr als 90 Prozent" seiner Landsleute überzeugen, die Wahl habe mehr mit "teurer Bürokratie" als mit Demokratie zu tun.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Nicht zum ersten Mal sorgt Putins Sprecher Dmitri Peskow für erheblichen Unmut unter russischen Patrioten. Sie halten ihn schon länger für ein Mitglied der angeblichen "Friedenspartei" im Kreml und werfen ihm immer wieder vermeintlich "versöhnliche" Äußerungen vor. Auch ein Handkuss für die im Ausland lebende russische Rock-Diva Alla Pugatschowa ("So eine Schande") kostete Peskow erhebliche Reputation.

Jetzt fiel der Medienmann seinen nationalistischen Landsleuten unangenehm auf, weil er der "New York Times" ein Interview gab und sich dort äußerst "missverständlich" ausdrückte. Wörtlich zitiert ihn das US-Blatt: "Unsere Präsidentschaftswahlen sind keine echte Demokratie, sondern kostspielige Bürokratie. Herr Putin wird nächstes Jahr mit mehr als 90 Prozent der Stimmen wiedergewählt." Die Wahl ist für März vorgesehen, die neue Amtszeit soll sechs Jahre betragen. Putin hatte mit einer Verfassungsänderung dafür gesorgt, dass er weitere Male antreten kann.

"Wahl wird viel Geld kosten"

Nachdem russische Medien auf Peskows merkwürdige Auslassungen verwiesen hatten, beklagte sich der Pressesprecher darüber, dass seine Worte angeblich "nicht richtig" wiedergegeben worden seien. "Es gab von der Seite des Interviewers eine Frage zu den Wahlen und dazu, wer gewählt wird. Die Antwort war folgende: Die Gesellschaft schart sich absolut beispiellos geschlossen um den Präsidenten, so dass wir schon jetzt zuversichtlich sagen können, dass Putin im Falle einer Nominierung mit großem Vorsprung wiedergewählt werden wird, daran besteht kein Zweifel. Aber Wahlen gehören zur Demokratie, darüber hat der Präsident selbst gesprochen", so Peskow in seiner Erläuterung. Und weiter: "Obwohl die Wahl andererseits viel Geld kosten wird, ist von vornherein klar, dass Putin mit großer Mehrheit wiedergewählt wird. Das wurde besprochen."

Gerüchteweise ist der Kreml daran interessiert, dass Putin offiziell mehr Stimmen als bei der letzten Wahl erhält: 2018 soll er 76 Prozent erreicht haben. Peskow gewöhne das Land wohl allmählich an diese Maßgabe, vermutete Blogger Ilja Ananjew: "Schimpfen Sie nicht auf den Pianisten, er spielt, so gut er kann." Andere kritisierten, dass Peskow überhaupt mit der "New York Times" gesprochen und bei dieser Gelegenheit offenbar nicht einmal auf einer Autorisierung seiner Äußerungen bestanden hatte. Blogger und Oppositionspolitiker Lew Schlossberg zeigte sich negativ beeindruckt von dem Zitat, wegen der "offenen Verachtung der Institutionen und der Gesellschaft". Auch der "selbstbewusste Ton" sei bemerkenswert: Peskow habe sich anscheinend während des Gesprächs so sehr "entspannt", dass er nicht vor Ironie zurückgeschreckt sei.

"Er hält ein solches Staatssystem für normal"

"Peskow reißt Putin aus dem Rahmen jeglicher Institutionen und stellt ihn als einzigen Machtfaktor des Landes dar. Ja, das stimmt im Wesentlichen. Putins Allmacht beruht auf der Zerstörung von Institutionen; das System seiner persönlichen und abgesehen vom Zeitablauf praktisch unbegrenzten Macht basiert auf der Leugnung von Institutionen", so der russische Menschenrechts-Aktivist: "Das ist natürlich keine Neuigkeit. Wichtig ist aber noch etwas anderes: Peskow unterstützt öffentlich ein solches Staatssystem. Er hält ein solches Staatssystem für richtig, also normal. Er verbirgt seine Selbstgefälligkeit und Zufriedenheit hinter der Art von Staat, den Putin aufgebaut hat."

Blogger und Politologe Sergej Starowoitow hält Peskows Zitat für eine "direkte und eindeutige Botschaft" an den Westen und die russischen Eliten, mit einer Amtszeit von Putin bis mindestens 2030 zu rechnen: "Es wird unmöglich sein, das bei allen Diskussionen über Fragen der Politik und Weltwirtschaft auszublenden." Das In- und Ausland sollten von "Putins Avatar" wohl bewegt werden, ihre weiteren Strategien darauf aufzubauen.

"Putins weitere Herrschaft beschlossene Sache"

Kollege Pawel Salin hält Peskows Interview für eine Art "Pfeifen im Walde". Dem Kreml gehe es darum, den Funktionären klar zu machen, das alles "nach Plan" verlaufe und Putins weitere Herrschaft "beschlossene Sache" sei. Es solle die Illusion erzeugt werden, sie sei geradezu "monolithisch" fest gefügt: "Für den Kreml ist es wichtig, dies zu betonen, das heißt, die Idee von der Tagesordnung zu streichen, Putins Einflusssphäre sei aus gesundheitlichen Gründen im Schwinden begriffen, die zwar nicht bei der breiten Bevölkerung, aber bei den mittleren und unteren Schichten der Elite Platz gegriffen hatte, befördert von Wirtschaftspublikationen."

Die Worte von Peskow seien nicht so wichtig wie ihre unterschwellige Botschaft, urteilt ein weiterer Blogger. Die Russen seien nämlich insgeheim gefragt worden, was sie gegen die mutmaßliche Wahlmanipulation zu unternehmen gedächten. Netzkommentator Sergej Udalzow ist überzeugt, dass Peskow die systemtreue russische Opposition in eine "äußerst schwierige Lage" gebracht habe: "Wenn bei den Präsidentschaftswahlen niemand oder ein bewusst schwacher Kandidat nominiert wird, dann werden die eigenen Anhänger, die der aktuellen Regierung in der Regel ablehnend gegenüberstehen, kein Verständnis dafür haben. Wenn man aber versucht, einen starken Kandidaten zu nominieren, der wirklich mit Putin mithalten kann, dann wird es große Probleme seitens der Präsidialverwaltung geben."

"Irgendwie skandalös"

Der kremltreue Propagandist und Hardliner Sergej Markow gab sich einigermaßen entgeistert: "Vielleicht hat Peskow recht und seine Worte wurden verfälscht, aber dieses Interview erwies sich irgendwie als sehr skandalös." Es drängten sich Fragen auf. Für geradezu "sensationell" hielt Markow die Äußerung, wonach Russland bis auf die bisher besetzten Gebiete keine weiteren in der Ukraine annektieren wolle, auch nicht so "alte russische Städte wie Odessa, Charkow und Nikolajew". Dieser Wink werde vom Westen sicherlich "sehr positiv" aufgenommen werden, weil er Russlands "realistische Position" signalisiere.

In den Debattenforen der St. Petersburger Zeitung "Fontanka" wird Peskow herbe abgewatscht. Je weiter Russland in den Wald komme, desto mehr "Fliegenpilze" wüchsen dort offenkundig, hieß es. Die russische Gesellschaft habe sich dermaßen "geschlossen" um Putin geschart, dass bei der Rebellion vom 24. Juni niemand für ihn eingetreten sei. Bei russischen Wahlen gehe es nicht darum, wie abgestimmt werde, so ein Leser, sondern wie ausgezählt werde. Womöglich zähle das russische Außenministerium ja auch bald zur "teuren Bürokratie", vermutete jemand.

"Zu lange Zungen wurden verkürzt"

In der "Business Gazeta" spottete ein Leser, im Mittelalter seien "zu lange Zungen verkürzt" worden. Papier sei eben geduldig, tröstete sich ein weiterer Kommentator. Ein anderer spekulierte: "Das nennt man politische Technologie in Aktion. Die Aufgabe besteht darin, herauszufinden, wie die Gesellschaft, insbesondere der negativ gesinnte Teil der Bevölkerung, auf diese Informationen und die Manipulation der öffentlichen Meinung reagiert, wenn behauptet wird, dass 90 Prozent der Bevölkerung für Putin stimmen werden." Weil aus dem Kreml gelegentlich die Formulierung kam, es sei "beschlossen" worden, trotz des Kriegs Wahlen abzuhalten, fragte sich ein aufmerksamer Russe, ob diese Art von "Beschluss" denn irgendwo in der Verfassung zu finden sei.

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