Beim Afrikagipfel in St. Petersburg
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Wladimir Putin

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"Putins Sturz nicht unmöglich": Wird über Feuerpause verhandelt?

Hinter den Kulissen laufen zwischen Washington und Moskau diskrete Annäherungsversuche, meldet die "Moscow Times". Doch es gebe erhebliche Probleme, einen Waffenstillstand zu erreichen: Der Kreml wisse nicht, wie ein "Sieg" definiert werden könne.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Wird derzeit zwischen den USA und Russland "eineinhalbgleisig" über die Beendigung von Putins Angriffskrieg verhandelt? Das legt die in Amsterdam erscheinende Online-Zeitung "Moscow Times" nahe, die mit einem Ex-US-Diplomaten gesprochen haben will, der direkt an den Gesprächen beteiligt sein will. Ähnliche Informationen verbreitete der US-Sender NBC bereits vor drei Wochen. Demnach werde "privat" zwei Mal monatlich über Wege zum Waffenstillstand debattiert, teils virtuell, teils persönlich. Die Quelle will alle drei Monate nach Moskau gereist sein, um "vorzufühlen". Dabei hätten die USA angeboten, abermals Volksabstimmungen in den von russischen Truppen besetzten Gebieten abzuhalten, was der Kreml allerdings abgelehnt habe. "Eineinhalbgleisig" werden die angeblichen Gespräche deshalb genannt, weil private und inoffizielle Vertreter, in diesem Fall ehemalige Diplomaten, beteiligt seien: "Doppelgleisig" wären die Sondierungen, wenn private und staatliche Kreise ihre Hände im Spiel hätten.

"Niederlage ist für die Jungs keine Option"

Nach Einschätzung des zitierten Ex-US-Diplomaten seien die höchst diskreten Annäherungsversuche in einer "Sackgasse" gelandet, weil Putin Probleme habe, einen "Sieg" genauer zu definieren: "Tatsächlich wollten viele der Eliten, mit denen wir gesprochen haben, nie einen Krieg und gaben sogar zu, dass es ein Fehler war, ihn zu beginnen. Aber jetzt befinden sie sich im Krieg – und eine demütigende Niederlage ist für diese Jungs keine Option."

Das Haupthindernis zur Feuerpause seien jedoch nicht die Oligarchen und Top-Beamten, sondern Putin selbst. Eine Kontaktaufnahme mit ihm durch die US-Regierung sei nicht zustande gekommen, heißt es in der "Moscow Times". Daher sei es sinnvoller, unter seiner Umgehung zu verhandeln: "Wenn sie eine Alternative sehen, wird Putins Sturz nicht unmöglich sein."

"Russische Stärke keine schlechte Sache"

Die USA seien bereit, "konstruktiv" mit Russlands Sicherheitsbedürfnissen umzugehen, war zu lesen. Der Versuch, Russland zu isolieren und bis zur Demütigung und zum Zusammenbruch aufzuteilen, werde Verhandlungen nahezu unmöglich machen, wird ein US-Beamter zitiert - übrigens nur in der englischsprachigen Version der "Moscow Times", nicht in der russischsprachigen: "Wir haben immer betont, dass die USA auf ein Russland angewiesen waren und sind, das stark genug ist, um an seiner Peripherie Stabilität zu schaffen. Die USA wollen, dass Russland strategische Autonomie erhält, damit die USA ihre diplomatischen Fähigkeiten in Zentralasien entwickeln können. Wir in den USA müssen erkennen, dass ein umfassender Sieg in Europa unseren Interessen in anderen Teilen der Welt schaden wird. Russische Stärke ist nicht unbedingt eine schlechte Sache."

NBC hatte behauptet, amerikanische Polit-Rentner hätten sich schon im April insgeheim mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow getroffen, als der eine Stippvisite bei der UNO in New York machte. Namentlich nannte der Sender den Ex-Diplomaten und früheren Planungschef im US-Außenministerium, Richard Haass, sowie den Europa-Experten Charles Kupchan und den Russland-Experten Thomas Graham, beide ehemalige Beamte des Weißen Hauses und des US-Außenministeriums. Keiner der Genannten hatte NBC-Anfragen beantwortet, die offiziellen amerikanischen Stellen schwiegen beharrlich.

"Auf wen ist das berechnet?"

Dmitri Popow, Kolumnist einer der größten russischen Zeitungen, der "Moskowski Komsomolez", bezeichnete die einschlägigen Verhandlungs-Gerüchte als "Prüfstein", der vom Westen absichtsvoll in die politische Landschaft gestellt worden sei: "Auf was und wen ist das alles berechnet? Auf die 'Friedenspartei' innerhalb Russlands, die gleichzeitig mit dem äußeren Druck der USA von innen wirken soll, um Putin zu Verhandlungen zu bewegen. Es geht um Putin. Denn die Hauptbotschaft der Indiskretion ist, dass sich Putin persönlich in die Verhandlungen einmischen soll." Für den Kreml sei es gefährlich, die "Partei des Friedens" zu unterschätzen.

"Mit hoher Wahrscheinlichkeit lässt sich vorhersagen, dass nun immer mehr Stimmen sagen werden: 'Besser ein schlechter Frieden als ein guter Krieg.'", argwöhnt Popow, der davor warnte, dass ein solcher Frieden für Russland auf jeden Fall "beschämend" sein werde.

Putin: "Russland nicht ohne Verluste"

Putin selbst hatte gegenüber russischen Journalisten eingeräumt, dass sich die Offensive der Ukraine in den vergangenen Tagen "verschärft" habe und Russland "nicht ohne Verluste" davongekommen sei, wenngleich sie "zehn Mal geringer" seien als die der Ukraine. Dass ist in der Propaganda-Sprache üblicherweise als Eingeständnis von Problemen zu verstehen: "Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass unsere Soldaten und Offiziere die besten Beispiele für massenhaftes Heldentum gegeben haben." Er habe angewiesen, direkt an der Front Auszeichnungen zu verteilen. Militärblogger hatten bereits von Teilrückzügen an der Front und einem "kritischen Grad der Ermüdung" berichtet. Offenbar wollte Putin demnächst eintreffenden schlechten Nachrichten emotional vorbeugen.

Afrikanische Union will "friedliche Koexistenz"

Bei einer Konferenz zwischen Russland und afrikanischen Regierungschefs in St. Petersburg hatte der Präsident der Afrikanischen Union, Azali Assoumani, Putin sehr offen gedrängt, nach Wegen zu einem Waffenstillstand zu suchen: "Heute ist es notwendig, für einen dauerhaften Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu kämpfen, und genau das ist die Botschaft, die die Afrikanische Union und ich heute übermitteln. Wir wenden uns an den Präsidenten Russlands, Herrn Putin. Wir sind zuversichtlich, dass unser Ruf nach Frieden gehört wird, denn das ist es, was die Menschheit heute braucht. Im Namen der Afrikanischen Union rufe ich erneut zur friedlichen Koexistenz zwischen Russland und der Ukraine, zwischen Brudervölkern und Nachbarvölkern auf."

"Fanatiker sind für Behörden gefährlich"

In Russland selbst wird seit längerem über mögliche Sondierungen des Kremls debattiert. So wurde gemutmaßt, Putin lasse unter den Ultra-Patrioten deshalb aufräumen, damit ihm diese Kriegs-Fanatiker bei eventuellen Verständigungsversuchen mit dem Westen nicht gefährlichen werden könnten: "Es besteht Einvernehmen darüber, dass der Kreml sein Bestes tun wird, um vor den Präsidentschaftswahlen ein paar Vereinbarungen mit dem Westen über einen Waffenstillstand in der Ukraine zu erzielen, um das dem heimischen Publikum als 'Sieg' (zumindest als Zwischensieg) zu verkaufen."

Allerdings würden solche Aktionen im ultrapatriotischen Umfeld zweifellos als Nachgeben wahrgenommen und Unzufriedenheit hervorrufen: "Daher ist die Verhaftung [des Rechtsextremisten und 'zornigen Patrioten'] Igor Strelkows ein Versuch, zu verhindern, dass diese Unzufriedenheit um sich greift. Wer heute zum Kampf bis zum vollständigen Sieg aufruft, ist für die Behörden äußerst unbequem und gefährlich", schrieb Blogger Sergej Udalsow.

"Man muss irgendwie herauskommen"

Der von einem der größten russischen News-Portale zitierte Kollege Alexander Skurschajew hatte sich bereits vor Tagen ähnlich ausgelassen: "Ein Waffenstillstand ist für beide Seiten von Vorteil. Was diesen Krieg betrifft, hat sich alles geklärt. Auch in Russland weiß man, dass es sich um eine Aggression handelt. Aber man muss irgendwie aus dem Krieg herauskommen." Das sei am ehesten möglich, wenn die aktuelle Front "eingefroren" werde und die Streitkräfte auf "sichere Distanz" gingen. Zum zweiten Jahrestag des Angriffs am 24. Februar 2024 sei dann ein Teilrückzug denkbar. Er habe "überhaupt keinen Zweifel", so der Blogger, dass in fünf bis zehn Jahren sogar ein Friedensvertrag erreichbar sei, wenn die politische Führung auf beiden Seiten ausgetauscht worden sei und sich die "Leidenschaften" beruhigt hätten.

"Je mehr Ängste, desto näher am Staat"

Dagegen argumentiert Politologe Georgi Bovt, alle Gesetze, die der Kreml in den letzten Tagen auf den Weg gebracht habe, seien auf einen "totalen Krieg" ausgelegt, der sich in die Länge ziehen werde. Zu den Maßnahmen, die hier angesprochen sind, gehört ein Ausreiseverbot für alle Wehrpflichtigen, deren Zahl jüngst erheblich ausgeweitet wurde. Blogger Ilja Ananjew sieht es ähnlich: "Je mehr Ängste eine Gesellschaft hat, desto stärker schart sie sich um den Staat. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, das ist die 'Formel' für 2024. Offenbar garantiert die Wette auf solche Verhaltensmechanismen russischer Wähler einen vorhersehbaren Sieg des wichtigsten Präsidentschaftskandidaten."

Aufschlussreich ist eine "Umfrage" auf dem Telegram-Portal "Russland kurzgefasst" mit knapp 500.000 Abonnenten, wonach nur 13 Prozent für einen "Großen Krieg" waren, also weitere Mobilisierungen. 78 Prozent der Abstimmenden lehnten sie ab. Knapp dreißig Prozent waren generell gegen jede Art von Krieg. Anlass der Umfrage waren Äußerungen des pensionierten russischen Generalobersten und Militärpolitikers Andrej Kartapolow, der behauptet hatte, Russland müsse sich auf so einen "Großen" Konflikt vorbereiten und der damit die Gesetzesverschärfungen begründet hatte.

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