Franz Stenzer.
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Von der SS ermordet - Erinnerungszeichen für Franz Stenzer

Vor 90 Jahren wurde der Münchner Reichstagsabgeordnete Franz Stenzer im KZ Dachau von der SS mit Genickschuss getötet. Aus diesem Anlass wurde in München-Pasing an seinem ehemaligen Wohnhaus in der Nimmerfallstraße nun ein Erinnerungszeichen gesetzt.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

Franz Stenzer war im Juni des Jahres 1900 in Planegg bei München geboren. 1917 zog er nach Pasing um. Von dort wurde er noch während des Ersten Weltkriegs zur kaiserlichen Marine zum Wehrdienst eingezogen. In den Wirren danach nahm er als Matrosen-Heimkehrer und Soldat an der Münchner Räterepublik teil. Danach arbeitete er im Münchner Bahnbetriebswerk I. Dort sprachen ihm die Mitarbeiter ihr Vertrauen aus und wählten ihn in den Betriebsrat. 1920 trat er der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei und 1922 heiratete er; drei Töchter gingen aus der Verbindung hervor. Die Familie wohnte in einer genossenschaftlichen Wohnanlage, in der kommunistische und sozialdemokratische Familien Tür an Tür miteinander lebten und sich auch in der NS-Zeit solidarisch gegenseitig unterstützten.

Von Gestapo im Mai 1933 verhaftet

Stenzer machte Karriere in der Partei, übernahm hohe Funktionen und war für die Gewerkschaftsarbeit in ganz Deutschland zuständig. 1932 wurde er in den Reichstag gewählt. Als die Nazis an die Macht kamen, tauchte er zuerst unter, um Widerstand zu organisieren, floh aber nicht ins Ausland, sondern nahm im Februar sogar noch an der illegalen Tagung der KPD in Ziegenhals bei Berlin teil. Schon im Mai 1933 spürte ihn die Gestapo in seinem Versteck am Münchner Roecklplatz auf und lieferte ihn ins Konzentrationslager Dachau ein. Vier Wochen später durfte er erstmals an seine Familie schreiben. Allerdings durfte sein Brief keinen Hinweis auf die Folterungen enthalten, denen er dort ausgesetzt war.

Stenzer: Opfer zu bringen, gibt Lebenskraft

Stenzer bat seine Angehörigen, seiner ebenfalls inhaftierten Frau "herzliche Grüße und Küsse" auszurichten: "Sie soll mutig an alle Schwierigkeiten und Schicksalsschläge herantreten. Nur so lässt sich das Leben meistern und bekommt der Inhalt des Lebens jenen Gehalt, der den Lebenszweck auf eine höhere Stufe hebt, wird das Sein und somit das Dasein, jene Synthese des Lebens, dessen Zweck dem Fortschritt, dem Aufstieg und der Zukunft dient, erhalten. Für Höheres als das eigene Sein, zu kämpfen und zu leiden, Opfer zu bringen und Mut zu entwickeln, das gibt Lebenskraft, gibt dem Leben erst seinen Sinn und macht das Leben lebenswert."

Tod durch Genickschuss im KZ Dachau

Am 22. August 1933 wurde Stenzer von SS-Leuten in seinem schlammigen und schimmligen Strafkeller, in dem er vegetieren musste und wo man ihn alle zwei Stunden weckte, losgekettet, abgeführt und mit einem Genickschuss hingerichtet. In der Presse verbreiteten die Nazis die Lüge, Stenzer, der damals kaum noch laufen konnte, sei auf der Flucht erschossen worden. Seiner Frau Emma gelang mit den Kindern auf Umwegen über das Saarland und Frankreich die Flucht in die Sowjetunion. Hier überlebte sie Stalinterror und Weltkrieg und kehrte 1946 nach Deutschland - in die DDR - zurück.

Ausstellung "Wer war Franz Stenzer?"

Zeitgleich mit der Einweihung des Münchner Erinnerungszeichens, an der rund 70 Besucher teilnahmen, wurde in Berlin-Friedrichshain eine Ausstellung eröffnet mit dem Titel: "Wer war Franz Stenzer?" Sie zeigt Erinnerungen von Weggefährten und Nachkommen Stenzers sowie Dokumente und Fotos aus einem kleinen Nachlasskoffer der Familie. Sie ist noch bis 10. September im Beamtenhaus auf dem Gelände des früheren Reichsbahnausbesserungswerkes in der Revaler Straße 99 zu sehen.

NS-Opfer haben ein Recht darauf, dass man an sie erinnert

Initiitert hatte das Erinnerungszeichen Kirchenrat Björn Mensing, Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Er wolle ganz bewusst auch an kommunistische Opfer des Nationalsozialismus erinnern, denn "unabhängig davon, ob wir alle ihre Ziele billigen" erklärt Mensing zum BR, gelte: "Jeder, der ins KZ Dachau eingeliefert wurde, dem ist Unrecht widerfahren und der hat das Recht, dass an ihn erinnert wird. Die Beschämung über das Versagen meiner Kirche damals ist eine meiner Motivationen." Denn gleich mit dem Beginn der Naziherrschaft setzte für alle sichtbar die Verfolgung der Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschafter ein, die unter dem Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien auf unbefristete Zeit in eine sogenannte Schutzhaft genommen wurden.

Pfarrer wussten früh über Nazi-Terror Bescheid

Dabei erfuhren Gefängnis- und Krankenhausseelsorger früh und genau vom brutalen Terror der Nationalsozialisten. Trotzdem erschien noch im Mai 1933 im "Evangelischen Gemeindeblatt für München" ein Beitrag, der die zynische Nazi-Propaganda über die Konzentrationslager zustimmend unters Kirchenvolk brachte: "Das Denken des Volkes kreist heute viel um die großen Konzentrationslager, in denen Tausende von Schutzhäftlingen untergebracht sind. […] man soll nicht in eine weichliche Gefühlsduselei verfallen und von Mitleid überströmen. Denn viele von denen, die im Konzentrationslager sind, hatten nichts Gutes vor. Wehe, wenn sie die Macht gewonnen hätten! […] Wir freuen uns, dass die Häftlinge menschlich behandelt werden".

Hunderte Erinnerungszeichen und Stolpersteine in München

Das Erinnerungszeichen an Franz Stenzer wurde am Torbogen zu den Hausnummern Nimmerfallstraße 50 bis 58 angebracht, weil dort auf dem Gehweg mehr Menschen das Zeichen sehen, als wenn es innerhalb des Gebäudekomplexes der Wohnungsgenossenschaft an der Haustür zur Wohnung der Familie Stenzer angebracht worden wäre. Sie wohnte 1933 in der heutigen Nimmerfallstraße 54, die damals nach dem Sozialdemokraten und Reichspräsidenten der Weimarer Republik Friedrich Ebert benannt war und nach 1945 umbenannt wurde nach dem SPD-Politiker Hans Nimmerfall, der 1934 in Pasing an den Folgen seiner Haft im KZ Dachau gestorben war.

Erinnerung an Erwin Elias Kahn

Mensing hatte auch schon das Erinnerungszeichen für den jüdischen Kaufmann Erwin Elias Kahn initiiert, das am 16. April 2023 aufgestellt wurde. Kahn wurde von SS-Leuten im KZ Dachau niedergeschossen. Er überlebte zunächst zwei Kopfdurchschüsse und wurde in die chirurgische Klinik in der Nußbaumstraße eingeliefert, wo sich damals eine Krankenabteilung des KZ Dachau befand. Dort wurde er nachts im Krankenbett als lästiger Zeuge erwürgt. Er gilt als das erste Münchner NS-Mordopfer nach der sogenannten Machtergreifung.

In ganz München erinnern mittlerweile rund 200 Gedenktafeln und Stelen an Männer, Frauen und Kinder, die zwischen 1933 und 1945 von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Daneben gibt es in der Stadt auch mehr als 200 "Stolpersteine". Diese dürfen allerdings nur auf Privatgrund platziert werden.

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