Zeruya Shalev, Autorin und Aktivistin
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In diesen Tagen erscheint das 30 Jahre alte Debüt von Bestsellerautorin Zeruya Shalev auf Deutssch

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Starautorin Zeruya Shalev und ihr erster Roman "Nicht ich"

Zeruya Shalev ist eine der wichtigsten Schriftstellerinnen Israels – und eine aktive Kritikerin der Justiz-Reform der Regierung Netanjahu. Beim Erscheinen ihres Debütromans "Nicht Ich" sprach sie auch über die aktuellen Probleme in ihrer Heimat.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Ein beispielloser und schwerer Schaden für die Demokratie" – mit diesen Worten wies das Oberste Gericht in Israel in der vergangenen Woche ein zentrales Element der Justizreform der Regierung Netanjahu zurück. Zeruya Shalev ist erleichtert. Sie habe sogar gebetet für die Entscheidung des Obersten Gerichts, sagt die Schriftstellerin. Und hält das Urteil, auch wenn es nur mit einer knappen Mehrheit verabschiedet worden ist, für enorm wichtig.

Israels umstrittene Justizreform

Vor einem Jahr, im Januar 2023, begannen die Proteste und Demonstrationen gegen die geplante Beschneidung der Justiz durch die israelische Regierung. Zeruya Shalev hat sich von Anfang an daran beteiligt, aus tiefer Sorge um die Demokratie in ihrem Land. Auch wenn sie jetzt erleichtert ist, entspannt, so sagt sie, ist sie trotzdem nicht. "Die Regierung könnte einen neuen Anlauf wagen. Vielleicht nach dem jetzigen Krieg, vielleicht auch noch vorher. Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht, dass sie sich einfach geschlagen geben, dass sie so einfach aufgeben, trotz allem, was geschehen ist. Sie handeln völlig zwanghaft und verantwortungslos. Sie gefährden Israel."

Die Entscheidung des Obersten Gerichtes gegen die Pläne der Regierung Netanjahu ist aus Sicht der Schriftstellerin nicht nur ein Etappensieg, sondern ein wertvolles Urteil. Trotzdem ist sie beunruhigt, gerade in der jetzigen Situation im Land, nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und seinen Folgen, darunter dem Krieg im Gaza-Streifen. Zeruya Shalev spricht mit Blick auf die israelische Gesellschaft von einer großen Traumatisierung.

Mut, Hilfsbereitschaft und Tapferkeit

Zugleich, sagt sie, gebe es so viele Geschichten von Menschen, die mit Mut und Tapferkeit antworten. Sie erzählt von einer jungen Jüdin aus den USA, die sich in Israel zum Militärdienst gemeldet hatte. Sie kämpfte am 7. Oktober in einem Kibbuz gegen die Terroristen der Hamas. Im November wurde sie, 21 Jahre alt, in Jerusalem von einem Palästinenser ermordet.

"Sie hätte in Amerika bleiben können, an ein College gehen, heiraten und Kinder bekommen können – ein normales Leben leben. Sie wollte aber lieber nach Israel", sagt Shalev, die einen Artikel über die Ermordete publiziert hat. "In den zwei Jahren, die sie hier lebte, war sie auch so feinfühlig gegenüber den Palästinensern. Ich bewundere das sehr". Auf der einen Seite sei sie eine taffe Soldatin gewesen. Auf der anderen sehr aufmerksam und wollte helfen. Ihrem Freund habe sie geschrieben: "Heute habe ich einer alten palästinensischen Frau geholfen, die sich verlaufen hat, gestern half ich einem kleinen Kind". Diese Verbindung von Krieg und Frieden habe sie sehr beeindruckt, sagt Shalev, und das sei nur eine von vielen Geschichten.

Roman-Debüt "Nicht ich"

Von einer anderen Frau erzählt Zeruya Shalevs Roman-Debüt aus dem Jahr 1993, das gerade in deutscher Übersetzung erschienen ist, mit dem Titel "Nicht ich". Es ist der Monolog einer Frau und Mutter, die ihren Mann und ihre Tochter verlassen hat. Nun erzählt sie atemlos, verliert sich immerfort in dunklen Träumen und mitunter kruden Visionen. Ein Roman voller Wucht, großartig erzählt, wie ein Rausch, immer wieder surreal, voller offener Fragen.

Er dreht sich um existentiellen Verlust. Ebenso um Mutterschaft und Liebe, zu einem Mann und ebenso zum eigenen Kind. Es gehe um die Schwierigkeiten des Lebens als Mutter, all die Veränderungen, die sich einstellen, wenn man ein Kind bekommt, mit all den Erwartungen, Aufgaben und Verpflichtungen, so Shalev. "Sie merkt, das überfordert sie. Es ist nicht einfach. Sie merkt, sie ist nicht einfach so eine Mutter. Denn die Wärme und das Gefühl der Sorge wollen sich nicht einstellen. Sie hat ein wenig Angst vor ihrem Kind. Es geht um die Gefühle, die viele Frauen kennen". Ein wildes, überbordendes Buch. Es erscheint zum ersten Mal auf Deutsch in einer Zeit, in der Israel in einem Krieg steht – und ebenso in einer enorm angespannten innenpolitischen Situation.

"Stehen Sie an unserer Seite"

Die Demonstrationen gegen die Justizreform der Regierung Netanjahu wurden nach dem Massaker der Hamas erst einmal ausgesetzt. Inzwischen formiert sich die Protestbewegung wieder. Zeruya Shalev ist weiterhin dabei. Es sei ein schreckliches Gefühl, sagt Shalev. Die Regierung habe überhaupt nichts gelernt. Wenn sie mit ihren Plänen für die Justizreform fortfahre, dann sei das ein Zeichen, dass sie nicht wirklich für unser Land sorge. "Das ist sehr deprimierend und macht mich wütend", so Shalev. "Aber ich gebe nicht auf. Am letzten Samstag habe ich auf einer Demonstration in Haifa gesprochen. Ich plädierte für Neuwahlen. Und dafür, dass Netanjahu zurücktritt. Wenn viele Menschen überall auf der Welt diese Position teilen, dann – so meine Hoffnung – werden wir gewinnen."

Ihre Ängste, sagt die Schriftstellerin, sind im Augenblick groß. Die Politik der Regierung, die Militäroperation im Gaza-Streifen, die Angriffe der Hisbollah aus dem Libanon. Zeruya Shalev hat einen Wunsch in dieser Zeit: "Stehen Sie an unserer Seite. Was nicht bedeutet, dass Sie den Krieg in Gaza unterstützen. Die Tragödie der Palästinenser bricht mir das Herz. Dafür aber trägt nicht Israel die Verantwortung. Sondern die Hamas. Wir sorgen dafür, dass wir uns verteidigen. Wenn Sie diese Einstellung teilen und weitergeben, kann das sehr hilfreich sein. Für mich wäre das ein realistisches Narrativ."

Zeruya Shalevs Roman "Nicht ich" ist – in der Übersetzung von Anne Birkenhauer – im Berlin-Verlag erschienen. Am 3. Februar stellt Zeruya Shalev ihr Buch im Münchner Residenztheater vor.

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