ARCHIV - 28.01.2023, Israel, Tel Aviv: Israelis protestieren gegen die geplante Justizreform der neuen Regierung von Premierminister Netanjahu. Foto: Tsafrir Abayov/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Proteste in Israel

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Israel: Oberstes Gericht kippt Schlüsselelement von Justizreform

Hunderttausende Israelis hatten monatelang gegen eine Justizreform demonstriert, die das Oberste Gericht in seinen Befugnissen einschränken sollte. Mitten im Gaza-Krieg haben Israels höchste Richter ein Kernelement des Vorhabens nun gekippt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

In einer dramatischen Entscheidung hat Israels Oberstes Gericht ein Kernelement der umstrittenen Justizreform in dem Land gekippt. Eine hauchdünne Mehrheit von acht der 15 Richter war dafür, eine im Juli verabschiedete Gesetzesänderung für nichtig zu erklären, wie das Gericht am Montag mitteilte.

Justizreform hatte israelische Gesellschaft tief gespalten

Die Grundgesetzänderung hatte dem Gericht die Möglichkeit genommen, gegen "unangemessene" Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister vorzugehen. Kritiker hatten gewarnt, dass dies Korruption und die willkürliche Besetzung wichtiger Posten fördern könnte.

Als Begründung hieß es in dem Urteil, die Gesetzesänderung hätte "den Kerneigenschaften des Staates Israel als demokratischem Staat schweren und beispiellosen Schaden zugefügt".

In Israels Geschichte wurde bisher noch nie ein vergleichbares Gesetz vom Obersten Gericht einkassiert. Sollte die rechte Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Entscheidung nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise.

Die Regierung hatte die Gesetzesänderung trotz massiven Widerstands im Parlament durchgesetzt. Israels Oberstes Gericht war daraufhin im September zu einer historischen Gerichtsverhandlung zusammengetreten. Erstmals in der Geschichte des Landes kamen alle 15 Richter zusammen, um über acht Petitionen gegen die verabschiedete Grundgesetzänderung zu beraten.

Die von der Regierung seit ihrer Vereidigung vor einem Jahr massiv vorangetriebene Justizreform hatte die israelische Gesellschaft tief gespalten. Über Monate gingen immer wieder Hunderttausende von Menschen auf die Straße, um dagegen zu protestieren. Kritiker stuften das Vorgehen der Regierung als Gefahr für Israels Demokratie ein. Netanjahus Regierung argumentierte dagegen, das Gericht sei in Israel zu mächtig, man wolle lediglich ein Gleichgewicht wiederherstellen. Verhandlungen über einen Kompromiss waren erfolglos geblieben.

Viele sahen die monatelangen heftigen Streitigkeiten als einen Grund dafür, dass Israel am 7. Oktober von dem verheerenden Angriff der islamistischen Hamas im Grenzgebiet so überrascht werden konnte.

Nächste Schlappe für Netanjahu

Der israelische Sender N12 hatte einen Entwurf des Urteils des Obersten Gerichts geleakt. Aus formalen Gründen hatte das Gericht bis zum 12. Januar Zeit zur Veröffentlichung seiner Entscheidung. Justizminister Jariv Levin, der als treibende Kraft hinter der Reform gilt, hatte das Gericht dennoch aufgefordert, die Urteilsverkündung bis nach dem Krieg zu verschieben. "Während unsere Soldaten Seite an Seite an verschiedenen Fronten kämpfen, und während die ganze Nation über den Verlust vieler Leben trauert, darf das Volk Israel nicht durch Streitigkeiten zerrissen werden", argumentierte Levin.

Für Netanjahu ist das Urteil ein weiterer Rückschlag. In Umfragen hatte er seit dem 7. Oktober massiv an Popularität verloren. Viele nehmen ihm übel, dass er bislang keine persönliche Verantwortung dafür eingeräumt hat, dass das Hamas-Massaker am 7. Oktober geschehen konnte.

Unklar ist, wie die Regierung auf das Urteil reagieren wird. In einem Interview des US-Senders CNN im September wollte Netanjahu nicht eindeutig auf die Frage antworten, ob er eine Entscheidung des Gerichts gegen die Gesetzesänderung respektieren würde. Netanjahu sagte damals: "Ich glaube, wir sollten uns an die Urteile des Obersten Gerichts halten und das Oberste Gericht sollte sich an die Grundgesetze halten, die das Parlament verabschiedet."

Demokratiebewegung in Israel lobt Urteil des Obersten Gerichts

Die israelische Bewegung für Qualitätsregierung sprach nach dem Urteil des Obersten Gerichts von einem "historischen Tag" gesprochen. "Dies ist ein riesiger öffentlicher Sieg derer, die für Demokratie kämpfen", hieß es am Montag in einer ersten Stellungnahme der Organisation. Sie hatte eine von insgesamt acht Petitionen gegen die im Juli im Parlament verabschiedete Grundgesetzänderung eingereicht. "Die Regierung und die Minister wollten die Rechtsstaatlichkeit loswerden - und haben die Botschaft erhalten, dass es Richter in Jerusalem gibt." Das Urteil sei ein Beweis dafür, "dass die Festung noch steht".

Kritik an Gerichtsentscheidung aus Regierungslager

Die rechtskonservative Likud-Partei des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu kritisierte das Urteil des Obersten Gerichts gegen ein Kernelement der Justizreform. "Es ist bedauerlich, dass das Oberste Gericht sich dafür entschieden hat, ein Urteil im Herzen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung in Israel ausgerechnet zu einer Zeit zu fällen, in der israelische Soldaten von der Rechten und der Linken kämpfen und ihr Leben im Krieg gefährden", hieß es in einer Stellungnahme der Partei am Montag. "Die Gerichtsentscheidung widerspricht dem Willen des Volkes nach Einigkeit vor allem in Zeiten des Krieges."

Israels Justizminister Jariv Levin kritisierte das Urteil ebenfalls. "Die Entscheidung der Obersten Richter, das Urteil während des Krieges zu veröffentlichen, ist das Gegenteil des Geistes der Einigkeit, der in diesen Tagen notwendig ist, damit unsere Kämpfer an der Front Erfolg haben", sagte Levin am Montag nach Angaben der israelischen Nachrichtenseite ynet. "Das Urteil, das in keiner westlichen Demokratie seinesgleichen hat, wird uns nicht entmutigen. Während der Kampf an verschiedenen Fronten andauert, werden wir weiter mit Zurückhaltung und Verantwortung handeln."

Der israelische Parlamentspräsident Amir Ochana sprach dem Obersten Gericht des Landes die Autorität ab, Grundgesetze für nichtig zu erklären. Dies sei "offensichtlich", sagt Ochana nach Medienberichte zu dem Urteil. "Noch offensichtlicher ist es, dass wir uns damit nicht befassen können, solange der Krieg auf seinem Höhepunkt ist", sagte Ochana demnach.

Das Oberste Gericht Israels hat ein zentrales Element der Reform kassiert.
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Das Oberste Gericht Israels hat ein zentrales Element der Reform kassiert.

Mit Informationen von dpa

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