Raverinnen feiern bei der "Rave the Planet"-Technoparade in Berlin
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Raven kann auch die Gen Z

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Sommerhit "Mädchen auf dem Pferd": Kann man das "Techno" nennen?

Mit "Mädchen auf dem Pferd" hat es ein "Techno-Cover" eines Songs aus dem Kinofilm "Bibi und Tina" zum Sommerhit 2023 geschafft. Spätestens damit zeichnet sich ab: Techno und Rave-Ästhetik durchlaufen gerade erneut einen kommerziellen Höhepunkt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Das Lied "Mädchen auf dem Pferd (Techno Cover)" des Produzenten-Duos Luca-Dante Spadafora und Niklas Dee mit deren Sänger Octavian ist der "offizielle" Sommerhit 2023, so sagt es zumindest das Unternehmen GfK Entertainment. Laut Produzent Spadafora war der Song eigentlich ein Gag, angefertigt zum Geburtstag einer Freundin, handelt es sich dabei doch um ein Cover eines Songs aus dem "Bibi und Tina"-Kinofilm von 2014. So ganz mag man die Geschichte mit dem Gag angesichts einer ziemlich ausgeklügelten Promo-Kampagne auf tiktok aber fast nicht glauben.

Offensichtlich erfüllte der Track - neben soliden Streamingzahlen und einem mittelgroßen Hype auf TikTok - die etwas vagen Sommerhit-Kriterien der GfK: Ein einfacher Text, den man "gut mitsingen" kann, eine eingängige Melodie, die "gute Laune" verbreitet und ein Rhythmus, "der zum Tanzen einlädt". Ein Faktor dürfte allerdings auch nicht ganz unwichtig für den Erfolg sein: Dass es sich bei dem Track, zumindest dem Namen nach, um ein "Techno Cover" handelt.

Im Video: "Mädchen auf dem Pferd (Techno Cover)" - Luca-Dante Spadafora und Niklas Dee und Octavian

Von Detroit zum Schlumpf-Techno

Damit fügt sich "Mädchen auf dem Pferd" wunderbar in den momentan besonders unter der Generation Z grassierenden Trend, sich ästhetisch einer Zeit anzunähern, die so manche ältere Semester in eher mittelguter Erinnerung haben: Die Ära zwischen 1996 und der Jahrtausendwende, in der die einst rebellisch angelegte Untergrundmusik Techno, erfunden von schwarzen Working Class Kids in Detroit, in Deutschland zum ersten Mal mindestens teilweise in einem Brei aus kommerziellem Trash zerfloss: Mit Acts wie Blümchens "Herz an Herz", übrigens auch eine durch Bassdrums aufgepumpte Coverversion eines Schlagers, standen plötzlich Highspeed-Techno-Songs an der Spitze der Charts, die sich produktionstechnisch zwar tatsächlich noch an den Strukturen von Genres orientierten, aber in ihrer Haltung natürlich längst meilenweit von den Ursprüngen entfernt waren.

Nach diesem ersten Zenit, in dem sogar die Schlümpfe einen Song namens "Tekkno ist cool" sangen, zogen sich all jene, die sich eher dem "echten" Techno verpflichtet fühlten, in den Untergrund zurück: Bereits 1997 fand erstmals analog zur millionenfach besuchten Loveparade die sogenannte "Fuck Parade" statt, gedacht als non-kommerzielle Alternative zum Techno-Ausverkauf. Mit der Techno-Dominanz war es spätestens Anfang der Nullerjahre vorbei, in den Charts dominierten bald Hip-Hop und R'n'B.

Natürlich gab es aber auch weiterhin große Techno-Events, auch die Millenials der Nuller- und Zehnerjahre tanzten zu elektronischer Musik, machten mit dem Berghain sogar einen Techno-Club zum berühmtesten der Welt. In den Charts oder im Radio schlugen sich deren Insider-Hits allerdings eher selten nieder. Der Begriff "Techno" hatte eine Zeit lang im Allgemeinverständnis einen schweren Stand, man sprach oft lieber von "Elektro", dachte man beim T-Wort oft nur an H.P. Baxxter, und billig produzierte, vermeintlich seelenlose Musik, die bei Jahrmärkten vom Autoscooter herüberschallte.

Bewusste Anspielung auf die Neunziger

Seit sich mit dem Pandemie-Ende eine neue Generation in den sozialen Medien tanzenderweise zu Wort meldet, nämlich die Generation Z mit ihrer Neu-Entdeckung der Raver-Ästhetik, angesiedelt irgendwo zwischen 1995 und 2001, sprechen nun plötzlich viele Medien von einer "Wiedergeburt" des Techno. Vielleicht auch, weil in die Jahre gekommene Kultur-Redakteure hier mal endlich etwas wiedererkannten zwischen all den unverständlichen Memes und Codes der heutigen Popkultur. Unter dem Hashtag #Ravetok verbreiteten die Jungen, aufgrund der Pandemie eher Clubkultur unerfahrenen Menschen das, was sie sich unter einem echten "Techno-Outfit" (viel schwarz, viel Leder, semi-ironische Sportbrille) und entsprechenden Dance-Moves vorstellten.

Blümchen-Comeback

Acts wie Domiziana oder Ski Aggu, der gerade mit einem hochgepitchten Cover von Ottos "Friesenjung" einen weiteren Kandidaten für den diesjährigen Sommerhit lieferte (rein statistisch weit erfolgreicher als "Mädchen auf dem Pferd"), spielen in ihrer Stilistik bewusst auf die Neunziger und frühen Nullerjahre an. Erstere veröffentlichte mit "S.O.S" sogar ein Lied mit der mittlerweile 43-jährigen Jasmin Wagner, besser bekannt als Blümchen. Auch "Mädchen auf dem Pferd (Techno Cover)" kommt zwar zu Beginn des Tracks sehr schlagerartig daher, dreht aber im Refrain einen dermaßen komprimierten Sägezahnbass und dicke Kicks auf, dass sich wohl von der Oberstufenparty bis zur Großraumdisco auf Mallorca recht viele "zum Tanzen eingeladen" fühlen dürften, um hier noch einmal die GfK zu zitieren. Mit Techno im eigentlichen Sinne hat das natürlich so gut wie nichts zu tun, aber: Wen interessiert das eigentlich noch?

Falls sich die Geschichte also wiederholen sollte, erleben wir gerade den zweiten Höhepunkt der Techno-Kommerzialisierung. Diesmal allerdings - abseits des recht leidenschaftslos hingerotzten "Mädchen auf dem Pferd" - inklusive einem Gefühl für Ironie und Übertreibung, vielleicht auch einer kleinen Sehnsucht nach als sorglos wahrgenommen Jahrzehnten, die viele der heutigen Sportbrillen-Raver längst nicht miterleben konnten. Was auf diesen Zenit folgt, ist allerdings diesmal eher unklar. Denn wo der sogenannte Underground heute sein könnte, in den sich Anfang der Nullerjahre der Techno zurückzog, weiß in unserer heutigen Gesellschaft der permanenten Öffentlichkeit eigentlich keiner mehr so genau.

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