Der Eiskunstlauf-Star in düsterem Outfit
Bildrechte: Dmitri Golubowitsch/Picture Alliance

Pjotr Gumennik bei "Champions on Ice" im April 2023

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"Sonne": Russischem Eiskunst-Star wird "Rammstein"-Song verboten

Eigentlich wollte Pjotr Gumennik, einer der erfolgreichsten russischen Eiskunstlauf-Stars, zum Song "Sonne" der deutschen Hardrock-Band "Rammstein" auflaufen, doch das störte den Kreml: An der Air Base Ramstein hält der Westen regelmäßig Kriegsrat.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Der russische Eiskunstlauf-Verband will sich in keiner Weise eingemischt haben, wie dessen Präsident Anton Sicharulidse beteuerte, doch der junge russische Vizemeister Pjotr Gumennik (21) ließ keinen Zweifel daran, dass ihm sehr kurzfristig untersagt wurde, einen Auftritt zum Song "Sonne" der deutschen Band "Rammstein" zu absolvieren. Das habe "Gründe, die außerhalb seiner Kontrolle" lägen, so der erfolgreiche Eiskunstläufer: "Es sind Umstände eingetreten, über die ich nicht sprechen kann. Ich hoffe, dass sich die Situation ändert und ich ein neues Programm zeigen kann. Egal, wen ich gefragt habe, allen gefiel es." Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte auf Journalisten-Nachfrage von der Angelegenheit nichts wissen: "Nein, wir verfolgen das nicht."

"Narren so gefährlich wie Schurken"

Sportminister Oleg Matytsin ging ebenfalls in Deckung und sagte: "Ich habe den Verbänden keine Empfehlungen gegeben." Vermutlich wisse die Sportfunktionärin Tatjana Moskwina mehr, die die Affäre ausgelöst hatte. Die allerdings wurde in russischen Medien teilweise herbe abgewatscht. Sie habe wohl wohl "päpstlicher als der Papst" sein wollen: "Durch ihre offensichtliche Dummheit schaden solche Leute der gemeinsamen edlen Sache. Sie nutzen die Zeitläufte aus und lenken Wasser auf die Mühlen des Feindes, weil sie die Bemühungen vernünftiger und anständiger Menschen diskreditieren, indem sie sie offen karikieren." Solche Narren seien genauso gefährlich wie Schurken, schließlich machten sie Russland lächerlich. Demnächst müssten dann auch Pink Floyd und deren Ex-Frontmann David Gilmour oder gar US-Klassiker wie George Gershwin und Leonard Bernstein verboten werden.

"Viele Künstler haben ambivalente Einstellungen"

Während sich Gumennik selbst in Schweigen hüllte, verriet seine Trainerin in ihrem Blog, dass sich ein Netzaktivist an das russische Sportministerium gewandt hatte, wonach die "Ordnung wiederhergestellt" werden müsse, zumal die Musik von "Rammstein" "unpatriotisch und schlecht" sei. Die erwähnte Tatjana Moskwina hatte behauptet, der Vorfall sei eine "Angelegenheit von nationaler Tragweite". Immerhin räumte Gumenniks Trainerin ein, offene Drohungen habe es bisher nicht gegeben. Allerdings schäme sie sich für die Zensur, zumal ihr Schützling Gumennik vier Monate an seinem Programm für die russischen Meisterschaften gearbeitet habe: "Wir konnten auf die Schnelle keine Alternative finden, vier Tage machen halt vier Monate nicht wett."

Der durchaus patriotische Sportkommentator Dmitri Guberniew zeigte wenig Verständnis für das "Rammstein"-Bashing und wurde mit dem Satz zitiert: "Das Verbot englischsprachiger oder deutscher Gruppen ist völliger Unsinn. Viele Künstler haben eine ambivalente Einstellung zu unserem Land, aber warum sollte man das auf ihre Kreativität übertragen? Elton John lebt mit einem Mann zusammen, dürfen wir uns deshalb seine Lieder jetzt nicht mehr anhören?"

"Kunst hat keine Nationalität"

Der Parlamentsabgeordnete Sultan Schamsajew verwies demgegenüber darauf, dass es auf dem NATO-Stützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein (im Unterschied zum Bandnamen mit nur einem m geschrieben) bei den Treffen der westlichen Allianz darum gehe, "Russland den größtmöglichen Schlag" zu versetzen: "Das ist die Haltung, die sie jeden Tag zum Ausdruck bringen. Daher sollten wir die Musik im Eiskunstlauf sorgfältig auswählen." Es gehe ihm weniger um die gleichnamige Band, so der Politiker, wobei er auch musikalische Wachsamkeit empfahl: "Was genau sollte bei diesem Tanz, dieser Musik ausgedrückt werden? Wenn es hier versteckte Zusammenhänge gäbe, müssten sie sorgfältig geprüft werden."

Eiskunstläufer Matwej Wetlugin sagte zum Skandal: "Die Situation ist eigentlich unsinnig. Wissen Sie, Petja erzählte uns in der Umkleidekabine, dass dem Verband, den Juroren und [dem TV-Sender] Channel One sein Programm eigentlich gefallen habe. Er hat lange daran gearbeitet, es war eine gigantische Leistung. Wir selbst beschweren uns über die Zensur der russischen Kultur in einigen anderen Ländern. Kunst hat keine Nationalität." Es gab jedoch auch Eiskunstläufer, die die Zensur verteidigten: "Sie müssen schon darüber nachdenken, worauf Sie ihr Programm aufbauen."

Selbst Schostakowitsch geriet unter "Verdacht"

Die Goldmedaillen-Gewinnerin und frühere Eiskunst-Weltmeisterin Natalja Bestemjanowa nahm Gumennik in Schutz und erinnerte sich im russischen TV-Sender "Match", wie sie mit ihrem damaligen Partner mal zur "Leningrader Symphonie" von Dmitri Schostakowitsch aufgetreten sei. Darin gibt es ein brachiales "Invasionsthema" im Marschrhythmus, woraufhin ein "dummer Mensch" doch glatt behauptet habe, sie habe "Nazi-Musik" ausgewählt: "Gott sei Dank wurde es uns nicht verboten, zu dieser Musik aufs Eis zu gehen. Aber es passiert. Lassen wir die Kultur nicht zum Teil der Politik werden. Kultur und Sport sollten sich außerhalb der Politik entwickeln."

"Da sind welche von der Eiche gefallen"

Im russischsprachigen Netz tobte ein wilder Streit über den Zensureingriff. Vereinzelt wurden die "wahnsinnig obszönen Texte" von "Rammstein" bekrittelt. Die Behörden wurden als "Idioten" beschimpft, der Vorfall als "Schande" bezeichnet: "Eine seltsame Sache, warum sie beschlossen haben, das Programm buchstäblich ein paar Tage vor der Vorführung einzukassieren. Vielleicht hat das irgendjemand nötig?!" Es war auch zu lesen, dass die Mitglieder der Band "übrigens Ostdeutsche" seien und Frontmann Till Lindemann sogar für die DDR bei den Olympischen Spielen in Moskau antreten sollte (was ihm dann allerdings wegen "klassenfeindlicher Aufkleber" untersagt worden sein soll).

Aufgebracht schrieben Leser: "Warum? Es ist klar, warum. Da sind welche von der Eiche gefallen, haben sich den Kopf verletzt und wissen nur noch, wie man etwas verbietet." Der eine oder andere fürchtete, Gumennik werde jetzt wohl unter einer anderen Nationalität auftreten, wie bereits zahlreiche russische Athleten.

"Wie Fische in der Fischpastete"

"Je näher unser Zusammenbruch kommt, desto irrsinniger sind die Gesetze für solche Entscheidungen", war zu lesen. Russland werde demnächst wohl nur noch der volkstümlichen "Kalinka-Malinka"-Musik frönen. Es gab allerdings auch Kritik aus der liberalen Opposition: "Ich liebe Rammstein wegen ihrer ausgefeilten Melodik, die Verhöhnung aller gesellschaftlichen Tabus in den Videos ist beeindruckend. Aber fairerweise muss man sagen: Als ein Mitarbeiter des [inhaftierten Oppositionsführers] Alexej Nawalny wegen einem Rammstein-Video in seinem Blog inhaftiert wurde, schwiegen die Gruppe und Lindemann wie die Fische in einer Fischpastete."

Russland sei wohl schon "so geschwächt", dass sogar "Rammstein" eine Bedrohung darstelle, spottete jemand. Vermutlich bleibe für Eiskunstläufer nur noch Tschaikowskys Ballettmusik "Schwanensee" übrig. "Ich verehre die Rammows und Till, und die Bürokraten und senilen Großmütter bestätigen nur meinen ausgezeichneten und zutreffenden Geschmack", machte sich ein anderer Leser Mut. "Interessant, dass Wagner-Musik erlaubt ist", höhnte ein Klassikfan. Sich selbst beruhigend meinte jemand: "Man kann diese russische Dummheit endlos hin und her wenden, sollte das aber weniger wie einen Kampf zwischen Feuer und Wasser betrachten und einfach drüber lachen."

Konzert in Nowosibirsk abgesagt

Unterdessen wurde bekannt, dass ein für den 21. September in Nowosibirsk im dortigen "Haus der Wissenschaftler" geplantes Konzert mit Rammstein-Liedern in symphonischen Arrangements nach Beschwerden von Propagandisten sehr kurzfristig abgesagt wurde, wie die Nachrichtenagentur TASS meldete. Grund dafür sei, dass die Band die russischen Streitkräfte "diskreditiert" habe. "Rammstein" hätten sich "feindselig und antirussisch" verhalten, behauptete Kulturfunktionär Dmitri Salnikow. Andere verwiesen darauf, dass auch sibirische Soldaten an der Front zu Tode kämen, da sei es unpassend, zeitgleich die Musik der deutschen Band auf eine Bühne zu bringen.

"Rammstein" sagten Russland-Tour ab

Die Band "Rammstein" ist in Russland ungemein populär, ihr letztes Konzert in Moskau fand 2019 statt. Nach Kriegsbeginn hatte Frontmann Till Lindemann seine geplanten Solo-Auftritte in Russland abgesagt, im Netz wurde Anfang März vergangenen Jahres ein Statement veröffentlicht: "Die Band Rammstein möchte ihre Unterstützung für das ukrainische Volk zum Ausdruck bringen, das sich gegen den schockierenden Angriff der russischen Regierung wehrt. Vor allem in diesem Moment empfinden wir besondere Trauer über das Leid des ukrainischen Volkes. Jedes Mitglied der Band hat unterschiedliche Erfahrungen mit den beiden Ländern; alle Mitglieder der Band haben Freunde, Kollegen, Partner und Fans in beiden Ländern. Wir erkennen die Verzweiflung an, die viele russische Fans angesichts der Handlungen ihrer Regierung empfinden, und wir wollen an die Menschlichkeit erinnern, die sowohl die russischen als auch die ukrainischen Bürger teilen."

Ursprünglich für Box-Arena geschrieben

Am Text des Songs "Sonne", der auf dem Album "Mutter" (Februar 2001) veröffentlicht wurde, kann es eher nicht liegen, dass die russischen Behörden die Verwendung untersagten. Dort heißt es: "Alle warten auf das Licht/ Fürchtet euch, fürchtet euch nicht/ Die Sonne scheint mir aus den Augen/ Sie wird heut Nacht nicht untergeh'n/ Und die Welt zählt laut bis zehn." Für Fans, und nicht nur für die, wird damit auf atomare Explosionen angespielt. Till Lindemann hatte dagegen darauf hingewiesen, dass der Song ursprünglich als "Kämpferlied" für die Boxer Witali und Wladimir Klitschko geschrieben worden sei, weshalb auch das Abzählen des Ringrichters persifliert werde.

Dieser Artikel ist erstmals am 19.09.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.

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