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Robert Habeck wird mit dem Ludwig-Börne-Preis ausgezeichnet.

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Der Nachdenkliche: Deshalb bekam Robert Habeck den Börne-Preis

Er ist Politiker, Publizist und Literat: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat den renommierten Ludwig-Börne-Preis erhalten - weil "er sich in den Zwängen der Politik auf beeindruckende Weise Freiräume durch Nachdenklichkeit erkämpft".

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Dem gebürtigen Schleswig-Holsteiner Robert Habeck dürfte als Freund maritimer Metaphorik gefallen, was der Namenspatron des ihm nun verliehenen Preises einst in seinen "Gesammelten Schriften" aphoristisch festgehalten hat: "Regierungen sind Segel, das Volk ist Wind, der Staat ist Schiff, die Zeit ist See."

Hat Ludwig Börne damit nicht schon früh festgestellt, dass Politiker, gerade die in der Regierungsverantwortung, Getriebene derer sind, die sie wählen? Dass Staatsschiffe Dickschiffe sind, deren Kurs so leicht nicht zu ändern ist?

Preisrichter: Der FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube

Der für das Feuilleton verantwortliche Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Jürgen Kaube, hat als alleiniger Preisrichter Robert Habeck zum Ludwig-Börne-Preisträger bestimmt. Kaube verweist in seiner Begründung auf die stete Gefahr, dass im politischen Gespräch Argumente nichts mehr zählten, sondern "Narrative". Habeck rage unter denjenigen heraus, die sich dem als Politiker und politischer Publizist widersetzten.

Die Äußerungen des Vize-Bundeskanzlers seien von gesellschaftswissenschaftlich informierter und lebensweltlich grundierter Reflexion geprägt: "In den Zwängen der Politik erkämpft er sich auf beeindruckende Weise Freiräume durch Nachdenklichkeit." Dass Habeck ebenso Schriftsteller wie Politiker ist, dürfte bei der Entscheidung keine geringe Rolle gespielt haben.

Mit Lyrik debütiert

Der Abgeordnete des Wahlkreises Flensburg-Schleswig ist vermutlich der einzige, der sich mit Fug und Recht Parlamentspoet nennen darf. Brachte er doch 1990 den Gedichtband "Das Land in mir" heraus – in kleiner Auflage nur, aber immerhin. Gut, er war noch Gymnasiast, und "aus heutiger Sicht" seien das "arg innerliche Gedichte" gewesen, die sein "damaliges Leben und Erleben mit Naturmetaphern beschrieben", distanziert sich Habeck in seiner Autobiographie "Wer wagt, beginnt. Die Politik und ich" (2016) von seinem lyrischen Erstlingswerk.

Und doch formuliert sich bereits in dem alle einbeziehenden und keinen ausgrenzenden Buch-Titel "Das Land in mir" der in seiner auf Ausgleich bedachten Person verkörperte Inklusionsanspruch Robert Habecks. Seinen Redestil charakterisiert ein eingemeindender, bisweilen pastoraler Zug. Diesen teilt er mit einem anderen Ludwig-Börne-Preisträger: dem ehemaligen Pfarrer und Bundespräsidenten Joachim Gauck, der die Auszeichnung 2011 erhielt.

Übersetzer anderer Dichter

Die Liebe zur Poesie wie die zur Prosa prägte sich früh bei ihm aus. Habecks germanistische Magister-Arbeit war eine stilkritische Untersuchung von Casimir Ulrich Boehlendorffs Gedichten. Er promovierte über etwas, das nur für Feingeister keinen Zungenbrecher darstellt: literarische Ästhetizität. Die Tatsache, dass Robert Habeck auch die großen Dichter Ted Hughes und William Butler Yeats übersetzte, zusammen mit seiner Frau Andrea Paluch, beschäftigte 2021 zum Regierungsantritt die Feuilletons.

Gemeinsam mit seiner Frau schrieb er auch zahlreiche Jugend-Romane – so etwa 2001 den soeben wieder aufgelegten Roman "Hauke Haiens Tod", eine Fortsetzung von Theodor Storms Novelle "Der Schimmelreiter" in der Gegenwart, Klimawandel inklusive. Das Buch wird derzeit fürs Fernsehen verfilmt. 2018 erzählte der Apothekersohn aus Heikendorf und damalige Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in der Doku "Following Habeck" (Regie und Drehbuch: Malte Blockhaus), dass das "Schaffensduett" mit seiner Frau für ihn sehr wichtig sei.

Sprachkritischer Geist

Robert Habeck war lange Autor, verfasste mit Andrea Paluch ein Theaterstück über den Kieler Matrosenaufstand 1918. Mit seinem Eintritt in die grüne Partei 2002 hat er nicht etwa komplett die Seiten gewechselt, sondern ist der Literatur treu geblieben. 2018 legte er den Bestseller "Wer wir sein könnten" vor: ein Buch, das sich über 70.000 Mal verkaufte und in dem er die Frage behandelte, "warum unsere Demokratie eine offene und vielfältige Sprache braucht". Darin schreibt er, das ideale "Gespräch" in der Demokratie verlaufe so, wie es der Dichter Paul Celan entworfen habe. Allerdings relativierte der einstige schleswig-holsteinische Landwirtschaftsminister diese Aussage gleich wieder, indem er zugab, dass er im Bierzelt vor 2000 zornigen Bauern kaum an Celan denke.

Eine "lebendige Sprache" der Politik ist laut Habeck für jede Demokratie essentiell. Sein mitunter auch schnoddriger Kommunikationsstil ("Kriegst du nicht, Alter") befand sich schon immer in Opposition zum technokratischen Verlautbarungsjargon anderer Volksvertreter, dem semantischen Totholz, von dem er sich auch in seinen Instagram-Videos – seine Art der direkten Adressierung ans Follower-Volk – abhebt. Er wendet sich dezidiert gegen ein "moralisierendes Sprechen" – für einen Grünen überraschend.

Jüngstes Buch: "Von hier an anders"

In seinem jüngsten Buch "Von hier an anders" widmete er sich 2021 ganz grundsätzlichen Fragen zukünftiger Politik. Es ist eine Art ausformuliertes Parteiprogramm, interessanterweise war schon der Titel dem Grundsatzprogramm von Bündnis 90/Die Grünen entlehnt. Nichts sei schlimmer für ihn, so schreibt er darin, als den Wählern mit "moralischer Impertinenz" zu begegnen, im Glauben, "eine höhere Wahrheit" gepachtet zu haben, weshalb er, der sich sehr für den Klimaschutz einsetzt, zum Beispiel gegen einen "Klimatotalitarismus" wendet.

Habeck referiert darin auf die Philosophin Hannah Arendt und zitiert sie mit ihrem Wort vom "Einvernehmen", auf das politische Führung und eine "neue Machtkultur" abzielen sollte, also mehr Konsens erreichen in einer von "Zersplitterung und Spaltung" bedrohten Gesellschaft. Die Ironie der Geschichte mag man nun darin erkennen, dass Robert Habeck von Jürgen Kaube zum Ludwig-Börne-Preisträger ernannt worden ist: Jürgen Kaubes jüngstes, zusammen mit André Kieserling verfasstes Buch "Die gespaltene Gesellschaft" (2022) stellt just dieses allzu gängige Narrativ einer polarisierten und von tiefer Spaltung bedrohten Gesellschaft in Frage.

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