Eine Frau im weißen Kittel mit Putzwagen säubert den Boden eines langen Gangs in einem Betriebsgebäude
Bildrechte: picture alliance / SvenSimon | FrankHoermann/SVEN SIMON

Mehrfach unsichtbar: Putzkräfte können Erfüllung finden in ihrem Job, leiden aber unter systematischer Herabwürdigung

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Professorin wird Putzkraft: "Im Minus-Bereich" von Jana Costas

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Jana Costas hat ein halbes Jahr lang Laptop gegen Putzwagen getauscht und als Putzkraft gearbeitet. In ihrem Buch "Im Minus-Bereich" berichtet sie nun, wie Reinigungskräfte gleich mehrfach unsichtbar gemacht werden.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, muss täuschen und sich verstellen, um die Wahrheit herauszufinden", schrieb Günter Wallraff 1985 im Vorwort zu seinem Buch "Ganz unten", für das er sich zuvor zwei Jahre als türkischer Gastarbeiter ausgegeben und entsprechende Jobs angenommen hatte. Das Ergebnis dieser investigativen Undercover-Recherche wurde ein Bestseller und in Schweden hat es der Begriff "Wallraffing" sogar in den Wortschatz geschafft.

Buchautorin spielte mit offenen Karten

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Jana Costas hat nun etwas getan, was an die Wallraff-Methode zumindest erinnert. Seit 2014 Professorin für Personal, Arbeit und Management an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder hat sie sechs Monate lang in Berlin als Reinigungskraft gearbeitet. Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in der Putzkolonne hat sie im Buch "Im Minus-Bereich. Reinigungskräfte und ihr Kampf um Würde" festgehalten.

Anders als Günter Wallraff hat Costas mit offenen Karten gespielt. Sie hat in dem halben Jahr als Putzkraft immer gesagt, dass sie eigentlich einen anderen Job hat. "Mir ging es nicht darum, Missstände per se aufzuzeigen oder Dinge zu skandalisieren", sagt Costas. "Ich hoffe durch mein Buch einen theoretischen Beitrag zu leisten zur Frage: Wie findet Ungleichheit in unserer Gesellschaft statt und welche Rolle spielen da Begegnungen im Alltag, im Rahmen der Arbeitswelt?"

Costas: "Reinigungskräfte in dreifacher Art und Weise unsichtbar"

Und so ist "Im Minus-Bereich" auch eine Sichtbarmachung von Menschen, die in gewisser Weise unsichtbar sind – unsichtbar gemacht werden – und das gleich mehrfach: "Reinigungskräfte sind in dreifacher Art und Weise unsichtbar", erklärt Jana Costas. "Zunächst werden sie sozial unsichtbar gemacht: Sie reinigen in den Büros, aber man sagt ihnen nicht ‚Hallo‘."

Am Potsdamer Platz in Berlin, an dem Costas als Putzkraft gearbeitet hat, erlebte sie die zweite Unsichtbarmachung: "Sie werden alleine schon durch die Räumlichkeiten unsichtbar gemacht. Deswegen heißt mein Buch auch ‚Im Minus-Bereich‘. So haben die Reinigungskräfte selber den Bereich genannt, bis zu vier Ebenen unter dem Potsdamer Platz. Hier haben sie sich sehr viel aufgehalten. Weil sie zum Beispiel, wenn sie von einem Ort zum nächsten gegangen sind, um dort ein Büro sauber zu machen, die Tunnel unter dem Potsdamer Platz benutzt haben."

Dazu kommt eine dritte Komponente, und zwar, so Costas, "die der zeitlichen Unsichtbarkeit. Sie kommen zum Beispiel in die Büros vor neun oder spät am Abend, also an den Randzeiten."

Warum sie nicht gesehen werden

Doch woran liegt das, dass diese Menschen in ihrer Tätigkeit sozusagen wegretuschiert werden aus der öffentlichen Wahrnehmung? Eine Erklärung lautet, dass Reinigungskräfte mit Schmutz zu tun haben: "Die, die mit Schmutz zu tun haben, und die auch gewissermaßen unseren Schmutz sehen, die wollen wir wiederum nicht sehen", so Costas. "Das ist uns unangenehm, die kommen in die intimsten Bereiche unseres Seins." Außerdem würden Reinigungskräfte oft als störend empfunden. Auch deshalb wollen wir sie nicht sehen.

Auch Jana Costas ist unsichtbar geworden in den sechs Monaten ihres Selbstversuchs. Durch den Job und durch die Arbeitskleidung, schreibt sie, sei sie in ihrer eigentlichen Identität in gewisser Weise verschwunden. Und selbst von Menschen, die sie eigentlich gut kennen, ist sie nicht wahrgenommen worden: "Ein Kollege von mir von der FU Berlin ist wortlos an mir vorbeigegangen und hat mich nicht gegrüßt. Das kann natürlich daran liegen, dass er in Gedanken versunken war. Man weiß es nie. Aber auch ein ehemaliger Schulfreund von mir, der mich auch sehr gut kennt, hat mich nicht erkannt, ist an mir vorbeigelaufen."

Eine durchaus erfüllende, würdevolle Arbeit

Jana Costas hat aber auch bemerkt, dass die Reinigungskräfte selbst ihre Arbeit eigentlich als etwas sehr Erfüllendes erleben: "Sie wenden sich ihrer Arbeit zu, um darüber Würde zu erlangen. Und das hat auch etwas damit zu tun, dass sie zum Teil aus sehr schwierigen Verhältnissen kommen. Für sie ist es gewissermaßen ein Aufstieg, ein Schritt, Fuß zu fassen im Leben." Es habe sie selbst überrascht, sagt Costas, "mit welchem Arbeitsethos sie der Arbeit nachgehen und da auch Spaß empfinden."

Eigentlich könnten Reinigungstätigkeiten also als sehr erfüllende, würdevolle Arbeit gelten. Erst der Umgang mit ihnen ändere das. "In den verschiedensten Begegnungen mit den Kunden, mit dem Management, aber auch untereinander", so Costas, "wird ihnen genau diese Würde, dieses Selbstwertgefühl nicht zugeschrieben."

Kampf um Würde wird allein geführt

Der Kampf um mehr Würde wird allerdings kaum gemeinsam geführt, ist, so hat es Jana Costas erlebt, ein recht einsamer. "Tatsächlich kommt es in dem Mikrokosmos der Reinigungskräfte permanent zu internen Spaltungen, anstatt sozusagen eine solidarische Gruppe zu bilden." Das liege daran, dass Reinigungskräfte das Gefühl hätten, sie seien ein Jedermann – dass jeder ihren Job machen könne und sie damit eigentlich ein Niemand seien. "Dagegen wehren sie sich, indem sie versuchen, Ersatz-Hierarchien untereinander zu bilden."

Lösung ist nicht nur mehr Geld

Welche Änderungsvorschläge, womöglich sogar politische Forderungen leiten sich aus all dem ab? Ein erster Schritt zu mehr Wertschätzung ist laut Costas schon so etwas wie ihr Buch: "Alleine der Blick auf diese Art von Dienstleistungstätigkeit und den Menschen, die diese verrichten, trägt ein gewisses politisches Moment in sich." Denn dieses Hinschauen mache Reinigungskräfte wieder sichtbarer – das gelte auch für den Alltag jedes einzelnen.

Politisch wären höhere Löhne zu diskutieren, aber auch Fragen des Miteinanders: "Wie können wir hier Dinge vielleicht verbessern? Indem wir uns zum Beispiel fragen: Müssen diese Leute in diesen extremen Randzeiten arbeiten?"

Wie entscheidend alltägliche Begegnungen und solch vermeintlich kleine Stellschrauben sind, lässt sich eben nur schwer in Statistiken und Erhebungen fassen – eine kleine Prise "Wallraffing" kann auch in der Wissenschaft zu neuen Erkenntnissen führen.

Jana Costas: "Im Minus-Bereich: Reinigungskräfte und ihr Kampf um Würde" ist im Suhrkamp Verlag erschienen, 280 Seiten, 20 Euro.

Dieser Artikel ist erstmals am 30. Mai 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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