Tanja Graf und Lukas Bärfuss bei der Pressekonferenz am 27. September 2023.
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Tanja Graf leitet das Literaturfest, Lukas Bärfuss hat das diesjährige "Forum" kuratiert.

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Literaturfest München: Die großen Fragen der Gegenwart

In den kommenden zweieinhalb Wochen steht die bayerische Landeshauptstadt im Zeichen der Bücher. Das Münchener Literaturfest bietet zahlreiche Lesungen, Autorengespräche und Diskussionen an unterschiedlichsten Orten der Stadt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Nach einem kurzen "Gruezi München" des Schweizer Schriftstellers und Dramatikers Lukas Bärfuss geht es los. Er ist einer der Gastgeber des diesjährigen Münchner Literaturfestes. Bärfuss hat das "Forum", eine der großen Veranstaltungsreihen, kuratiert – und einem ebenso großen Thema gewidmet: dem Erbe, unseren vielen Hinterlassenschaften. "Jeder von uns hat eine Erbgeschichte, eine ganz persönliche, intime. Ich habe selten einen Menschen getroffen, der diskussionslos zufrieden mit dem wäre, was er geerbt hat. Man hat in eine Auseinandersetzung zu treten damit. Und das gilt für das persönliche Leben genauso wie für die Gesellschaft", sagt Bärfuss.

Die gesellschaftlichen Fragen stehen dann auch im Zentrum der Veranstaltungen, zu denen Lukas Bärfuss zahlreiche prominente Autorinnen und Autoren eingeladen hat. Es geht in München um das Erbe der deutschen Geschichte und des Kolonialismus, ebenso um den Strukturwandel in der Landwirtschaft und auch um den Müll, den die westlichen Gesellschaften der Welt hinterlassen.

Die Bedeutung der Literatur in dieser Zeit der Konflikte

Bärfuss, das ist schon beim Eröffnungsabend des Literaturfestes zu spüren, setzt auf das Vermögen der Literatur, beschwört ihre Bedeutung für die Vorstellungskraft, gerade in dieser Zeit voller Konflikte. "Literatur, das Gespräch, das gemeinsame, die Auseinandersetzung mit den Begriffen, mit der Sprache, sind alles Möglichkeiten, sich in dieser Welt zu orientieren. Und das ist notwendig. Der Rauch und der Lärm des Krieges verwirrt uns alle. Und wir müssen uns orientieren, damit wir gute Entscheidungen treffen können, vernünftige, nachhaltige, plausible, friedliche."

Eine intensive Auseinandersetzung mit der Sprache ermöglichte dann der aus Israel stammende und in New York lehrende Philosoph Omri Boehm. In seiner Festrede zur Eröffnung des Literaturfestes erinnerte er an die große, durch den Nationalsozialismus zerstörte jüdisch-deutsche Tradition – zu fassen unter anderem an einer Übersetzung der Bibel aus dem Hebräischen ins Deutsche, durch Martin Buber und Franz Rosenzweig.

Zudem erinnerte Omri Boehm, philosophisch ausholend, an eine grundlegende moralische und ethische Bestimmung: Die Würde des Menschen ist unantastbar. "Wir sind nicht von Natur aus Menschen. Eher sind wir fähig, Menschen zu sein, offen für die Frage, was wir tun können. Und weil wir in der Lage sind, menschlich zu handeln, müssen wir diese Aufgabe lösen."

Eindrückliche Rede von Omri Boehm

"Wo es keine Menschen gibt, bemühe dich, menschlich zu sein." Omri Boehm zitierte diesen Ausspruch aus der Mischna mit Blick auf die brutalen Terroranschläge in Israel im Oktober und ihre Folgen. Ausgehend von einer intensiven philosophischen Bestimmung plädierte er für eine politische Lösung des Konflikts. Am Ende werde dieses Prinzip durch das Recht geschützt, sagt Boehm. "Deshalb ist keine militärische Lösung dieser Situation legitim und akzeptabel. Ich befürchte, im Moment stellt sich die Situation wie folgt dar: Militärische Lösungen werden als die politische Lösung ausgegeben."

Eine eindrückliche und bewegende Rede zur Eröffnung des Münchner Literaturfestes, in einer Zeit, die Omri Boehm als finster beschreibt. Heute Abend ist unter anderem die indische Schriftstellerin Arundhati Roy – digital zugeschaltet – zu Gast. Sie spricht über die aktuelle Situation in ihrem Heimatland, über schwindende Pressefreiheit und wachsenden Nationalismus.

Das Münchner Literaturfest im Haus der Kunst: Immer ein Fest der Buch-Entdeckungen – und wir schmökern bei zwei Autoren schon mal ein bisschen hinein.
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Das Münchner Literaturfest im Haus der Kunst: Wir schmökern bei zwei Autoren schon mal ein bisschen hinein.

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