Bei einem russisch-amerikanische Forum 2017
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Valery Garbusow

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Kritik an Russlands "imperialem Komplex": Kremlberater entlassen

Nachdem Valery Garbusow Putins rückwärtsgewandte, von absurden Mythen durchsetzte Propaganda in einem Zeitungsartikel heftig kritisiert hatte, wurde er als Fachmann für die USA kaltgestellt. Nationalisten halten ihn für einen Terror-"Schläfer".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Es war eine Abrechnung mit den propagandistischen Lebenslügen des Putin-Regimes: Valery Garbusow, in der Russischen Akademie der Wissenschaften zuständig für Nordamerika, ging mit der von Mythen durchrankten Kreml-Politik in einem Artikel für die "Nesawissimaja Gazeta" hart ins Gericht. In dem Text hatte Garbusow behauptet, Russland sei "Geisel" des eigenen "imperialen Komplexes" und könne es bei weitem nicht mit den USA aufnehmen. Der Kampf um eine neue Weltordnung, wie ihn Putin erklärtermaßen führt, sei zum Scheitern verurteilt, weil die meisten Nationen wirtschaftlich und politisch viel zu sehr mit Amerika verflochten seien. Diese denkbar ernüchternde Bestandsaufnahme scheint den Kreml so sehr aufgebracht zu haben, dass Garbusow von seinem Amt entbunden wurde.

"Grund nicht angegeben"

"Ja, gestern wurde eine Anordnung zur Kündigung des Vertrags mit mir unterzeichnet", so der Wissenschaftler gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur TASS: "Der Grund als solcher ist dort nicht angegeben, es gibt eine Passage im Arbeitsvertrag, die das ermöglicht." Valery Garbusow wurde laut TASS 1960 in Pskow geboren. Er sei Spezialist auf dem Gebiet der Innen- und Außenpolitik der USA und Autor von mehr als 70 wissenschaftlichen Arbeiten. Garbusow habe im Jahr 2000 am Institut für USA- und Kanadastudien der Russischen Akademie der Wissenschaften zu arbeiten begonnen. Im Februar 2016 sei er bei einer Abstimmung der Institutsmitglieder zum Direktor der Forschungseinrichtung gewählt worden. Laut Autobiografie beriet Garbusow den Kreml und das russische Außenministerium in Nordamerika-Angelegenheiten.

"Gemütliches Büro mit Klimaanlage"

Nach seinem umstrittenen Artikel, über den auch BR24 berichtet hatte, war Garbusow aus dem rechtsnationalistischen Lager heftig angegangen worden. Georgi Filimonow, stellvertretender Vorsitzender der Regierung der Region Moskau, beschimpfte den Wissenschaftler als Terror-"Schläfer" westlicher Geheimdienste. Er vertrete eine "russophobe" Haltung. Ein Kolumnist von Putins "Lieblingszeitung", der Komsomolskaja Prawda, verglich Garbusow mit dem rechtsextremistischen Putin-Kritiker Igor Strelkow: "Aber der angesehene Igor Iwanowitsch Strelkow ist derzeit als Extremist und Verräter inhaftiert, und der Direktor des Instituts für die USA und Kanada leitet eine staatliche Behörde und nimmt ein gemütliches Büro mit Klimaanlage und einer Sekretärin in Anspruch."

Blogger Michail Winogradow stellte fest, dass es für das Putin-Regime wichtig sei, allen Gegnern zu verdeutlichen, dass jegliche öffentliche Opposition von vorneherein "zum Scheitern verurteilt" sei. Es sei wichtig, zuerst die unliebsamen Inhalte aus der Welt zu schaffen und erst dann "langsam zu den Personalthemen überzugehen", also personelle Konsequenzen zu ziehen. Im vorliegenden Fall ging es allerdings überraschend zügig, ja überstürzt: "Wenn Sie auf Widerspruch nachdrücklich und schnell, innerhalb von 24 Stunden, reagieren, fördert das das abseitige Stereotyp, Kritik sei wirklich schmerzhaft und gefährlich."

"Aus irgendeinem Grund Präsident beleidigt"

Der kremlnahe Politologe und Propagandist Sergej Markow nannte Garbusow einen "Agenten des Feindes", er kämpfe auf Seiten der USA und habe vermutlich bereits seine Ausreise dorthin arrangiert. Insofern sei er in der Russischen Akademie der Wissenschaften "überflüssig und sehr schädlich". Die Russen habe Garbusow zwar beleidigt, weil er ihnen "pseudopatriotische Raserei" unterstellt habe, doch der Artikel sei "übrigens gut": "Ich bin mit vielen Dingen dort nicht einverstanden, aber man kann über diesen Text streiten, da gibt es diskussionswürdige Gedanken." Leider habe der Wissenschaftler jedoch "aus irgendeinem Grund den Präsidenten beleidigt".

"Extrem niedriges analytisches Niveau"

Das Telegramm-Portal "Rybar" mit 1,2 Millionen Abonnenten mäkelte über den Zustand der russischen Politikberatung: "Das Hauptproblem solcher Experten liegt keineswegs in tendenziösen Aussagen, sondern in einem extrem niedrigen analytischen Niveau, das unter anderem auf mangelnde Konkurrenz zurückzuführen ist. Anstatt die objektiven Schwächen Russlands und Wege zu ihrer Überwindung zu analysieren, werden ersatzweise Veröffentlichungen aus der Zeit der Perestroika in Umlauf gebracht."

Der staatstragende Propagandist Andrej Medwedew, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen russischen Ex-Präsidenten, schimpfte, Garbusows Institut sei ein "Nest hartnäckiger Russophobie", wo eine "langweilige Sekte von Figuren, die von Amerika fasziniert" seien, ihr Unwesen treibe und Elvis Presley huldige. Moskau dürfe sich zwar keine Illusionen machen, weil die USA tatsächlich ein "gefährlicher Gegner" seien: "Aber [selbst ein Boxer wie] Mike Tyson kann nicht zwölf Runden durchstehen." Garbusows Artikel sei "lesenswert", um zu verstehen, wie überflüssig sein Institut sei, so Medwedew ironisch: "Was für banale und dumme Dinge er über die Vereinigten Staaten schreibt, die Qualität seiner Argumentation führt uns erneut dazu, über die Notwendigkeit neuer, unabhängiger Denkfabriken in Russland zu sprechen."

Garbusows Einlassungen seien nicht zufällig jetzt veröffentlicht worden, meint "Russland kurzgefasst" (490.000 Fans). Das deute vielmehr auf eine "alternative Position" in tonangebenden Kreisen hin, die schätzungsweise von zehn bis zwanzig Prozent der Russen geteilt werde. In letzter Zeit habe sich die gesamte Debatte um die rechten Ultrapatrioten und deren Ansichten gedreht, das sei jetzt korrigiert worden. Die "Liberalen", die als "zerschlagen und frustriert" galten, seien wieder zurück im Spiel.

"Wahrheit ist, was der Konjunktur entspricht"

Ein Blogger aus Pskow in der Nähe von St. Petersburg schrieb zu dem Fall: "Das heißt, die russische Wissenschaft, die Akademie der Wissenschaften, sollte sich nicht mit Wissenschaft, sondern mit Propaganda befassen. Wahrheit ist das, was der Konjunktur entspricht." Das sei mit dem unheilvollen Einfluss von Trofim Lyssenko (1898 - 1976) zu vergleichen, einem Agrarfachmann, der unter Stalin zu höchsten Ehren aufstieg und die abwegige Theorie vertrat, die Merkmale der Menschen würden nicht durch ihre Gene, sondern durch Umwelteinflüsse geprägt. Wer dieser Sichtweise widersprach, wurde gemaßregelt.

"Dafür bestiegen andere den Scheiterhaufen"

Der Fall sorgte unter russischen Lesern für enormes Aufsehen: "Er sagte alles so wie es ist, logisch und nachvollziehbar", wurde Garbusow in der St. Petersburger "Fontanka" gelobt. "Russland braucht keine Leute, die denken können. Russland braucht Menschen, die wissen, wie man dumm stirbt", schrieb ein weiterer Leser. Ein anderer staunte: "Jemand bezweifelt, dass es in Russland einen 'imperialen Komplex' gibt? Ich frage mich, wie viele noch umsonst sterben müssen."

Ein offenbar historisch bewanderter Kommentator meinte: "Bis die aktuelle [russische] Politik Geschichte ist, kann jeder Versuch einer objektiven wissenschaftlichen Sicht auf das Geschehen vom System bestraft werden. Die Hauptsache ist, dass die Schlussfolgerungen des Wissenschaftlers bestätigt und zu einer verlässlichen Tatsache werden. Um das zu erreichen, bestiegen andere Wissenschaftler den Scheiterhaufen der Heiligen Inquisition."

"Land hat die Herrscher, die es verdient"

Auf die zahlreichen nationalistischen Hass-Kommentare anspielend, die auch verbreitet wurden, antwortete ein Leser: "Tatsächlich ist die Möglichkeit, seine Meinung zu äußern (auch wenn nicht jeder damit einverstanden ist), ein Zeichen einer reifen demokratischen Gesellschaft. Was leider schon lange nicht mehr Beachtung findet. Und den hier veröffentlichten Kommentaren nach zu urteilen, würde die Hälfte der Autoren Garbusow gerne für 25 Jahre ins Lager schicken, nur weil er in den USA studiert hat. Das Land hat die Herrscher, die es verdient."

In der "Business Gazeta" erinnerte ein Leser im Zusammenhang mit Garbusows Entlassung an den Exodus junger russischer Wissenschaftler: Bald werde das Land das akademische Niveau von "Simbabwe" erreichen, polemisierte er: "Wenn jetzt alle über technologische Souveränität sprechen und unsere Zukunft von Hochtechnologie abhängt, stellt sich die Frage, ob Russland als Staat diejenigen vermisst, die dazu in der Lage sind."

In russischsprachigen Exilmedien hieß es: "Garbusow hat einen wunden Punkt bei der zaristischen Witzfigur [Putin] getroffen. Daher auch die hysterische Reaktion. Und er hat Recht, wenn er die sowjetische und die Putinsche Propaganda mit der Haltung der rechtsextremen, slawophilen Schwarzen Hundertschaften aus der vorrevolutionären Zeit in Verbindung bringt. Der Putinismus ist direkt von der Ideologie der Schwarzen Hundertschaften aus der Zarenzeit abgeleitet." Die erwähnten rechtsextremen Gruppen waren um 1900 für antisemitische Pogrome verantwortlich.

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