Porträt der TV-Chefredakteurin
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Margarita Simonjan

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"Klare Zeichen des Wahnsinns": Wirbel um Putins Propagandachefin

In ihrem Blog hatte Margarita Simonjan, die Chefredakteurin des TV-Senders RT, mit einer Atomexplosion über Sibirien gedroht, um weltweit die Kommunikation lahmzulegen. Damit wurde sie zum Gespött im eigenen Land. Sogar der Kreml musste sich äußern.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

So, wie es aussieht, dürfte Wladimir Putin über seine wichtigste Propagandistin "not amused" sein: Margarita Simonjan, die Chefin des TV-Senders "RT", der weltweit tätig ist, leistete sich einen sehr verunglückten "Scherz", der sie teuer zu stehen kommt. In einem achtminütigen Video, das in ihrem Telegram-Blog eingestellt ist, fantasierte sie über eine Atombombenexplosion über Sibirien. Wenn die Detonation in mehreren hundert Kilometern Höhe erfolge, so die Journalistin, werde kaum jemand in Mitleidenschaft gezogen, allerdings die weltweite Kommunikation gestört und der Westen eingeschüchtert: "Es gibt diese Möglichkeit und sie ist die menschlichste von allen." Zwar seien dann Satelliten und Handys unbrauchbar, doch sie selbst werde darüber "glücklich" sein: "Wir kehren damit ins Jahr 1993 zurück, und ich sage Ihnen, wir haben damals wunderbar gelebt."

Kadyrow: "Russland kann strategisch nicht verlieren"

Gegenüber der amerikanischen "Newsweek" erklärte Simonjan ihre Aussage so: "Wie jeder normale Mensch und insbesondere als Mutter von drei Kindern bin ich entsetzt über die Möglichkeit eines Atomkriegs und kann mir ein solches Szenario nicht einmal vorstellen. Diese wahnsinnige, fanatische Unterstützung, die der Westen dem faschistischen Kiewer Regime gewährt, stellt jedoch eine direkte Bedrohung für die Sicherheit und Existenz Russlands selbst dar. Und wenn das der Fall ist, gibt es möglicherweise keine andere Wahl."

Mit ihren verstörenden Botschaften löste Simonjan in Russland einen Sturm der Entrüstung aus, von einer "Blamage" war die Rede. Lediglich der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow nahm sie in Schutz: "Ich kenne Margarita Simonjan sehr gut und noch besser kenne ich ihre grundsätzliche Haltung. Sie ist eine wahre Patriotin, die nationale Interessen auf jeder Plattform verteidigt." Die "beispielhaft angeführte Aktion" habe lediglich deutlich machen wollen, so Kadyrow, dass Russland auch bei einer "derart ungünstigen Entwicklung der Ereignisse im Vergleich zum Rest der Welt nicht strategisch verlieren" könne.

"Sie müssen sich bei den Sibiriern entschuldigen"

Kremlsprecher Dmitri Peskow dagegen verwies gegenüber der russischen Wirtschaftszeitung "Wedomosti" darauf, dass Simonjan nicht für "offizielle Stellen" tätig sei, weshalb ihre Worte "nicht immer die offizielle Position" widerspiegelten. Eine Erklärung, die angesichts ihres langjährigen Wirkens als RT-Chefredakteurin befremdlich anmutet. Im Übrigen verwies Peskow darauf, dass Russland nach wie vor das Moskauer Atomteststoppabkommen vom Oktober 1963 nicht aufgekündigt habe, so dass oberirdische Detonationen nicht möglich seien.

Sibirische Politiker empfanden Simonjans Äußerungen als "Beleidigung", wie Maria Prusakowa, eine kommunistische Abgeordnete aus der Altai-Region sagte: "Ich möchte Sie daran erinnern, dass es unter anderem den Sibiriern zu verdanken war, dass das sowjetische Volk den Faschismus im Großen Vaterländischen Krieg besiegte. Deshalb müssen Sie sich zumindest bei den Bewohnern ganz Sibiriens entschuldigen und insbesondere bei denen, die auch heute noch unter den Folgen der Versuche auf dem Testgelände Semipalatinsk in den letzten Jahrzehnten leiden."

"Irgendwie intimes Selbstgespräch"

Ihren Kritikern drohte Simonjan mittlerweile mit Anwälten, schließlich gebe es in Russland einen Strafrechts-Paragrafen gegen Denunziation und Verleumdung. Eine Klage habe sie schon eingereicht. Die "monströsen Anschuldigungen" schadeten ihrem Ruf und hätten ihr "allerlei Schaden und Leid" zugefügt: "Als ob ich nicht schon genug mit den Attentatsversuchen aus der Ukraine zu schaffen hätte." In der Bibel stehe zwar geschrieben, "auch die linke Wange hinzuhalten", aber sie könne sich nur bemühen, diesem Ziel nahezukommen und nichts weiter versprechen. Das hielt sie übrigens nicht davon ab, nebenbei Solidaritätsadressen an die AfD-Politiker Alice Weidel und Tino Chrupalla zu verbreiten.

Vielfach wurde am Geisteszustand von Simonjan gezweifelt. So schrieb der Moskauer Regionalpolitiker Jewgeni Stupin, er habe beim Lesen ihrer Texte und Betrachten ihres Videos weder beim ersten, noch beim zweiten Mal seinen Augen und Ohren getraut. Die "Wildheit und Absurdität der Aussagen" seien strafwürdig, er rief nach dem Staatsanwalt. Einer der wichtigsten Kriegsblogger mit rund 470.000 Followern schrieb: "Jetzt lasst uns ernst werden. Zuerst dachten wir, Simonjans Überlegungen zu den Folgen einer thermonuklearen Explosion über Sibirien seien Teil eines irgendwie intimen Selbstgesprächs mit ihrem eigenen Volk, aber man weiß nie, was aus ihr herausplatzt, darum macht sie sich keine Gedanken. Das Video ist auf ihrem Kanal gepostet. Demonstrativ. Damit wir es alle sehen und diskutieren können."

"Sie kann sich in US-Botschaft retten"

Blogger Igor Skurlatow mit 340.000 Fans bezeichnete Simonjans Fantasie als "seltsam". Womöglich habe sie sich zu lange in warmen Urlaubsgebieten aufgehalten: "Ich hoffe, dass das kalte Klima Moskaus die Chefin von 'Russia Today' ernüchtert und sie dazu zwingen wird, den heutigen Vorschlag zugunsten milderer Formulierungen zurückzunehmen." Das jedoch hat die Journalistin bis jetzt nicht getan und ihren Blogeintrag auch nicht als "Scherz" bezeichnet.

Ein weiterer Kritiker widmete der wichtigsten Propagandistin des Kremls eine beißende Satire: "Das Offensichtliche zu leugnen und alle anderen für Idioten zu halten, während man sich selbst gleichzeitig völlig normal wähnt, sind klare Zeichen des Wahnsinns. Fragen Sie jedweden Psychiater." Allerdings bleibe noch die Möglichkeit, die Fernseh-Aktivistin gebe nur vor, verrückt zu sein, um "bei einem Regimewechsel einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen": "Sie sagte einmal, wenn in Russland faire Wahlen stattfinden würden, werde man sie danach definitiv an einen Galgen hängen. Sie versteht, dass man im Falle eines Zusammenbruchs des Regimes nicht ernsthaft damit rechnen sollte, der Lynchjustiz und Repressalien zu entgehen." Der Plan sei zwar "nicht schlecht", sie könne sich allerdings vor "strengen sibirischen Kerlen" immer noch in die US-Botschaft retten.

"Es ist nur grundlegende Physik"

Der Physiker Andrej Oscharowski ließ es nicht nehmen, dem russischen Portal RTVI ein Interview über Simonjans Schreckensvision zu geben: "Anscheinend hat sie einige Katastrophenfilme gesehen, in denen Menschen im Stau stehen und Autos nicht mehr anspringen. Es stimmt. Gewöhnliche elektrische Haushaltsgeräte, Autozündungen, Mobiltelefone und Computer werden in einem bestimmten Umkreis tatsächlich beschädigt." Die Elektronik in anderen Weltgegenden werde jedoch mitnichten beeinflusst, und Satelliten ebenfalls nur im Umkreis von 100 Kilometern: "Einfach aufgrund der Physik des Phänomens wird ein elektromagnetischer Impuls mit jedem Kilometer schwächer und irgendwann wird er nicht einmal mehr unsere gewöhnliche zivile Elektronik zerstören. Es ist nur grundlegende Physik. Daran lässt sich in keiner Weise etwas ändern; es ist unmöglich, eine Bombe zu bauen, deren Wirkung mit zunehmender Entfernung nicht nachlässt."

Blogger Alexander Kartawitsch gab eine witzig gemeinte "Verschwörungstheorie" zum Besten: "Sie wissen es vielleicht nicht, aber es ist sehr schwierig, die russischen Geheimdienste aus freien Stücken zu verlassen. Deshalb fangen einige Leute, die aufhören wollen, an, sich seltsam zu verhalten, machen alle möglichen verrückten Dinge am Rande des Strafgesetzbuches und der internen Regeln, organisieren wilde Streiks, trotzen ihren Chefs, reden bei Besprechungen allerlei Unsinn, scheitern bei der Arbeit, usw. Manchmal funktioniert das und das begehrte Entlassungsvisum erscheint auf dem Schreibtisch." Womöglich habe Simonjan also beschlossen, diesbezüglich in den Ruhestand zu gehen. In jedem Fall sei sie "urlaubsreif".

"Ja, der Witz ist leicht zynisch"

Solcher Spott ist angesichts der Bedeutung von Simonjan als der wichtigsten Propagandastimme des Kremls für Putin und seine Getreuen ausgesprochen abträglich, wird doch ohnehin von Nationalisten permanent an der angeblich ineffektiven regierungsamtlichen Werbetätigkeit herumgemäkelt. Da wirken halbherzige Verteidigungsversuche ziemlich hilflos. So heißt es im Portal "News", die RT-Chefredakteurin gehöre zu den Menschen, die alles aus einem bestimmten Grund sagten: "Ja, der Witz ist leicht zynisch. Aber wie man so sagt, ein Märchen ist erfunden, enthält aber ein Körnchen Wahrheit. Es war einmal, als man im Mittelalter über Kanonen fantasierte, dem letzten Argument der Könige. Heutzutage gibt es stärkere Argumente."

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