Blonde Frau vor Palmen
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Jessica Hausner vor der Aufführung ihres Films "Club Zero" 2023 in Cannes.

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Jessica Hausner auf dem Filmfest München

Einladungen nach Venedig und nach Cannes, Mitglied der Academy, die die Oscars vergibt, Professorin für Regie in Wien, diverse Preise: Kein Wunder, dass das Filmfest München der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner eine Retrospektive widmet.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

2019 war der Science-Fiction-Thriller "Little Joe" von Jessica Hausner der erste Film einer österreichischen Regisseurin, der in den Wettbewerb von Cannes eingeladen worden ist – dieses Jahr war sie mit der Satire "Club Zero" zum zweiten Mal im Hauptsegment dabei. Diese und vier andere Werke der Filmemacherin wurden dieses Jahr beim Filmfest München im Rahmen einer Retrospektive gezeigt.

"Film ist keine Ware, Film ist Identität und Provokation", sagt Jessica Hausner. Als sie vor fast 25 Jahren die Filmproduktionsfirma coop99 mitgründete, war dieses Statement bereits Teil der Firmenphilosophie. Es hat noch immer Gültigkeit. Konventionelles Kino dürfen andere machen, so die Regisseurin: "Normalerweise ist eine Filmerzählung dazu da, um Sinn in das Chaos zu stiften. Deswegen schreiben wir Bücher, machen wir Filme, machen wir überhaupt Kunst. Aber meine Kunst besteht nicht darin, Sinn ins Chaos zu stiften, sondern ich beschreibe das Chaos."

Film ist Provokation

Die Spielfilme der heute 50-Jährigen heben sich seit jeher von gewohnten Sehmustern ab. Schon zu Studienzeiten an der Filmakademie Wien war sie Teil einer Gruppe, die als "Nouvelle Vague Viennoise" bezeichnet wurde. Radikal und komplex sind ihre Geschichten, in denen Genres vermischt werden, der Schluss zumeist offen ist und Frauen zwar die Hauptrolle spielen, aber oft ambivalente Antiheldinnen sind, die aus dem gesellschaftlich verordneten Verhaltenskorsett ausbrechen. Dazu passt, dass ihre Filmfiguren häufig noch sehr jung sind, ihre Persönlichkeit also noch in der Entwicklung ist.

In Hausners aktuellem Film "Club Zero" etwa geht es um Schüler, die das Essen verweigern, um Geist und Körper zu reinigen und die Umwelt zu retten. Dass ihre Entscheidung nicht frei ist, sondern von einer Lehrerin gesteuert wird, merken sie nicht. Ihre Rebellion ist eine Farce: "Als Kind hat man noch den Freibrief, dass man unangenehme Wahrheiten laut sagen darf – du stinkst, du hast hässliche Zähne. Als Erwachsene haben wir gelernt, das nicht mehr zu sagen. Dieser Übergang vom Natürlichen zur gesellschaftlichen Lüge – die gesellschaftliche Lüge ist nötig, sonst würden wir uns dauernd gegenseitig verletzen und beleidigen – aber trotzdem: Das ist ein wichtiger Übergang. Und Jugendliche sind noch nicht so gut da drin. Die machen noch Fehler, sie lernen erst."

Keine Feelgood-Filme

Diesen schleichenden Prozess aus Lernen und Scheitern will Hausner als Filmemacherin erzählen. Und zwar so, dass das Publikum selbst dazulernt und ähnlich unangenehme Situationen durchlebt wie die Figuren auf der Leinwand. Denn Feelgood-Filme zählen nicht zum Repertoire von Hausner, die vor ihrer Filmkarriere Psychologie studiert hat. Um ihre prototypische Mischung aus Authentizität und Rätselhaftigkeit zu generieren, beschäftigt sie gern Laiendarsteller. Sie bringen laut Hausner eine ganz bestimmte Qualität ans Set, die Auswirkung auf die Filmrezeption hat. "Man versteht nicht so leicht, was die Person empfindet oder denkt", sagt Hausner. "Ich will es ja so wie in der Wirklichkeit, wenn zwei Menschen mit einander reden – dann verstecken sie das Wichtige, und zwar oft so gut, dass der andere es wirklich nicht sieht. Dieses Element der Undurchschaubarkeit einer Person, das habe ich von Laiendarstellern gelernt und mittlerweile arbeite ich mit SchauspielerInnen so, als wären sie Laien."

Hausner ermutigt ihre Profidarsteller, ihr Minenspiel zu reduzieren, und die erlernten Techniken zu ignorieren, um nicht sofort lesbar zu sein. Das Unbehagen, das sich derart beim Publikum einstellt, gehört zu Hausner-Filmen wie das nonkonforme Verhalten ihrer Antiheldinnen: "Es ist eben nicht wie in dem herkömmlichen, von Männern erzählten Filmschaffen: Eine Frau ist so oder so und meistens auch nur eine (lacht), sondern in meinen Filmen gibt es Frauen, die komplett unterschiedlich sind. Und die es schaffen, alle Schattierungen darzustellen."

Gefragt in Cannes

Nicht jeder Kinobesucher kann sich mit Hausners Herangehensweise ans Filmemachen anfreunden. Aber so ist das eben mit Herausforderungen: Sie sind anstrengend und erfordern Mut. Dass es Jessica Hausner an Mut nicht mangelt, sieht man allein daran, dass sie dieses Jahr mit "Club Zero" schon zum zweiten Mal in den Wettbewerb von Cannes eingeladen wurde, den Olymp der cineastischen Grenzgänger.

Gibt es mehr Regisseurinnen, die in ihre Fußstapfen treten, herrscht vielleicht endlich mal Gleichberechtigung im Hauptwettbewerb der großen Filmfestivals. "Ich war mal vor einigen Jahren bei einer Veranstaltung, die hieß "50/50 by 2020". Dann war Corona in 2020. Dadurch sind wir sozusagen der Wahrheit entkommen. Aber jetzt kann man vielleicht sagen: "50/50 by 24"? Das wär mal was."

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