Eine Möwe, eine Meerjungfrau und ein Fisch in einer Szene des Films "Arielle, die Meerjungfrau"
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Halle Bailey als Ariel, Scuttle (l) und Flounder (M) in einer Szene des Films "Arielle, die Meerjungfrau"

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"Arielle": Warum der neue Disney-Film vieles richtig macht

Die Story ist die alte, die Figuren kennt man auch: Warum also eine Wiederauflage des Disney-Klassikers "Arielle, die Meerjungfrau"? Weil der neue Film das Märchen mit dem Blick von heute erzählt. Ein Wokeness-Traktat wird trotzdem nicht daraus.

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Um es kurz zu machen: Disney kann es noch. Die neue Arielle hat alles, was ein Märchenfilm 2023 braucht: Liebe und Sehnsucht, Drama und Kampf, große Augen und lange Haare, Musik mit viel Rhythmus und noch mehr Pathos, und für die Mamas einen Hauptdarsteller mit unwiderstehlich süßen Grübchen.

Lauter, schneller – und politischer

Die Story ist so gut wie identisch mit jener von 1989: Meerjungfrau Arielle interessiert sich für die Welt der Menschen, Vater Triton findet’s gar nicht gut, sie widersetzt sich seinen Regeln, rettet den schiffbrüchigen Prinzen Erik vor dem Ertrinken und verliebt sich ihn. Meerhexe Ursula zaubert ihr im Tausch gegen ihre Stimme Beine, und Arielle geht an Land. Drei Tage hat sie nun Zeit, einen Kuss wahrer Liebe vom Prinzen zu ergattern, den Prinzen in sich verlieben zu lassen – sonst gehört ihre Seele der Hexe.

Wieder ist der Film ein Musical, wir hören die gleichen Melodien und sogar die gleichen Witze, doch von einer kreativen Sackgasse zu sprechen, wäre unfair. Das fiele ja auch beim millionsten Shakespeare-Abend niemandem ein. Disney hat den Arielle-Stoff neu inszeniert und neu interpretiert und aus der alten Geschichte einen mitreißenden Film ganz von heute gemacht. Mal abgesehen davon, dass eine Realverfilmung im Jahr 2023 mehr Tricktechnik enthält als ein Animationsfilm von 1989, geht dieser Film in die Vollen: Er ist länger, lauter, schneller und dramatischer als das Original, die Wellen sind höher, die Fische bunter, das Frauenbild ist korrekter, die Botschaft politischer.

Wenn König Triton seine sieben Töchter zusammenruft, nimmt sich das optisch aus wie eine Tagung der Vereinten Nationen. Die Wurzeln der Hauptdarstellerinnen liegen sichtlich in den verschiedensten Regionen der Welt. Arielle selbst – gespielt von der Sängerin Halle Bailey – ist schwarz. Ein paar Schlaumeier hatten diese Entscheidung im Vorfeld kritisiert. Begründung: Arielle müsse eine rothaarige Weiße sein, weil ihr Schöpfer Hans Christians Andersen nun mal Däne war und weil so tief unten im Wasser keine Sonne keine Haut schwarz machen könne. Nochmal kurz zur Erinnerung: Disney reicht seine Filme selten zu Logik-Wettbewerben ein. Arielle ist ein Märchen, daran ändert auch die Realverfilmung mit echten Schauspielerinnen nichts.

Halle Bailey als Arielle in einer Szene des Films "Arielle, die Meerjungfrau" (undatierte Filmszene)
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Halle Bailey als Arielle in einer Szene des Films "Arielle, die Meerjungfrau" (undatierte Filmszene)

Der Prinz und die Meerjungfrau als Seelenverwandte

Jetzt wo Arielle schwarz ist, gewinnt vieles an Bedeutung: Die Meerhexe raubt nicht mehr irgendeinem verliebten jungen Mädchen die Stimme, es ist jetzt eine schwarze Frau, der die Stimme genommen wird, die kein Gehör findet, oder besser: die erst darum kämpfen muss. Natürlich ist die Geschichte einer jungen Frau, die ihre körperliche Unversehrtheit aufgibt, um einem Mann nahe zu sein, den sie kaum kennt, im Jahr 2023 erst einmal nicht so woke. Disney hat den Akzent verschoben. Arielles Streben an die Oberfläche gilt nicht mehr so sehr dem Prinzen Erik, gespielt vom noch recht unbekannten Jonah Hauer-King, Typ Ryan Gosling mit dunkleren Haaren. Es ist jetzt eine grundsätzliche Neugier und Lust auf die Welt der Menschen, die sie an Land treibt.

Außerdem wurde das bei Disney komplett überstrapazierte und bei Eltern allergische Reaktionen hervorrufende Liebe-auf-den-ersten-Blick-Motiv zumindest abgemildert. Noch bevor Arielle sich in den Prinzen verliebt, beobachtet und belauscht sie ihn – und siehe da: Auch Erik fühlt sich von seinen Eltern missverstanden, er hat eigene Pläne für seine Zukunft, will fremde Welten erforschen, fühlt sich im elterlichen Schloss wie ein Gefangener und sammelt genauso gern Klimbim wie Arielle. Kurzum: Der Prinz ist das irdische Pendant zur Meerjungfrau, ein Seelenverwandter! Aus oberflächlicher Liebe wird innere Verbundenheit und die Story damit auch zu einer Geschichte der Emanzipation zweier junger Menschen von ihren Eltern.

Ja, sie küssen sich!

Ebenfalls eine kleine Veränderung mit großer Wirkung: Ursula trickst Arielle aus. Sie raubt ihr die Erinnerung an den geschlossenen Pakt, Arielle weiß gar nicht mehr, dass sie den Prinzen innerhalb von drei Tagen küssen muss. Ein schlaues Detail, denn das befreit Arielle von der Rolle der zielorientierten Verführerin. In zuckersüßer Naivität kann sie jetzt verliebt, aber überzeugend absichtslos drei Tage lang neben Erik hertapsen. Die Texte zu den altbekannten Liedern sind aufgefrischt worden, dass es Damen an Land gut stehe, nicht zu sprechen, hört man zum Glück nicht mehr, genauso froh ist man über das erhaltengebliebene "Küss sie doch". Ein paar Panikmacher hatten gemunkelt, aus der Formulierung würde nun ein unromantisches "Frag sie doch".

An Land trägt Arielle Rüschen

Etwas überraschend ist die Optik an Land: Man stülpt Arielle Stiefeletten mit Absätzen an die neuen Füße, schnürt die Korsage fest zu und garniert das Ganze mit einem hellblauen Rüschenkleid. Gut, es ist immer noch ein Märchen nach einer Vorlage aus dem 19. Jahrhundert, aber in Verbindung mit dem guten Wetter, dem Strand, den vielen schwarzen Schauspielern unter Panama-Hüten und dem Copacabana-Calypso-Kongo-Bongo-Sound erinnert das optisch alles irritierend an die spätere Kolonialzeit in der Karibik. Der Unterschied ist, dass hier alle nett zueinander sind, und dass auch die Königin – Eriks Mutter – schwarz ist.

"Arielle" von 2023 erzählt mehrere Geschichten. Es geht um zwei junge Menschen, die eigene Vorstellungen von ihrer Zukunft haben, um einen Vater, der ebenso chefig wie zornig sein kann, letztlich aber doch nur aus Liebe handelt, im Alter noch dazulernt und seine Tochter freigibt. Es geht um die Versöhnung zweier Welten und um eine beispielhaft starke junge Frau. Völlig klar, dass Ursula am Ende nicht mehr von Erik, sondern – selbst ist die Frau – von Arielle getötet wird. Sie rammt den spitzen Schiffsbug in den Bauch der Meerhexe. Aber das wichtigste: Man kann das alles auch getrost vergessen und den Film einfach nur genießen.

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