Darstellung des *innen Gendersternchen.
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Gendern

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Gendern: Richtig oder falsch?

In Deutschland wird kontrovers über das Gendern diskutiert - nun tagt der Rat für deutsche Rechtschreibung. Woher kommt die Idee der gendergerechten Sprache? Welche Wissenschaft steckt dahinter? Und: Ist ihre Relevanz überbewertet? Ein Überblick.

Über dieses Thema berichtet: Rundschau Magazin am .

Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen im Wort: In Deutschland werden immer wieder kontroverse Diskussionen über das Gendern geführt. An diesem Freitag tagt im belgischen Eupen der Deutsche Rat für Rechtschreibung, eine wichtige Instanz auf diesem Gebiet. Auch Empfehlungen zum Gendern sollen Teil der Sitzung sein. "Bislang kommen Zeichen wie der Genderstern im Regelwerk der deutschen Rechtschreibung überhaupt nicht vor", sagte der Vorsitzende des Rates, Josef Lange, im Gespräch mit dem Schweizer "Sonntagsblick". Staatliche Stellen hätten den Rat deshalb gebeten, sich zu positionieren. Die Geschäftsführerin des Rates, Sabine Krome, sagte, es werde über eine Aufnahme eines entsprechenden Abschnitts im Regelwerk gesprochen.

In den vergangenen Jahren ist das Thema in Medien und Öffentlichkeit immer wieder hochgekocht. Manche Befürworter des Genderns, aber mindestens genauso manche Gegner, reagieren hochemotional auf jede Bewegung in der Debatte. Aber worum geht es beim Thema Gendern im Kern? Welche Theorie steckt hinter der Idee einer inklusiveren Sprache? Wann kam sie auf? Und handelt es sich hier tatsächlich um ein Thema, das die deutsche Gesellschaft spaltet?

Die Ursprünge

Die Diskussion über gendergerechte Sprache ist keineswegs neu. Bereits in den 1970er-Jahren gab es fachwissenschaftliche Studien zu bestimmten Sprachformen. Erste gesellschaftliche Debatten waren bereits in den Sechzigern aufgekommen, über die USA fanden sie ihren Weg nach Deutschland. Dort begann alles mit dem Einsatz des Schrägstrichs: Feministinnen begannen ihn zu verwenden, um Frauen in der Sprache sichtbar zu machen. Lehrer wurden zu Lehrer/innen, eine erste Alternative zum generischen Maskulinum. Jedoch stieß bereits diese erste geschlechterbezogene Variante auf Widerstand, sogar unter Feministinnen. Sie bemängelten die Unterordnung der Frau durch die bloße Nebenrolle des Mit-Einbezogen-Werdens. Die Frau sollte mehr sein als nur ein Anhang.

Sprach-Leitfäden, sowohl auf deutschsprachiger als auch auf EU-Ebene, gibt es laut der Linguistik-Professorin Gabriele Diewald bereits seit den frühen Achtzigern. Über den Bindestrich und den Gender-Unterstrich-Gap landete man im deutschen Sprachraum unter Befürwortern schließlich bevorzugt beim sogenannten Genderstern, mit dem alle Geschlechter angesprochen werden sollen (also etwa "Lehrer*innen"). Die Idee dahinter: Sprache schafft Realität, insofern müssen alle Geschlechter in ihr sichtbar sein. Das dominierende generische Maskulinum, laut dem maskuline Formen wie "Pilot", "Lehrer" oder "Chef" auch Frauen und andere Geschlechter einschließen, wird daher angezweifelt.

Im Video: Was genau bedeutet Gendern?

Gendern: Die einen sehen darin die Chance auf Gleichstellung, andere fühlen sich bevormundet. Aber was genau bedeutet Gendern?
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Gendern: Die einen sehen darin die Chance auf Gleichstellung, andere fühlen sich bevormundet. Aber was genau bedeutet Gendern?

Die Debatte ist also deutlich älter, als man vielleicht auf den ersten Blick wahrnehmen mag. Die in den vergangenen Jahren erhöhte Aufmerksamkeit für inklusivere Sprache entstand aber nicht im luftleeren Raum: Der Duden hat in seinem Online-Wörterbuch das generische Maskulinum abgeschafft. "Die Leser" meint darin nur noch Männer. Werden auch Frauen angesprochen, werden sie explizit "Leserinnen" genannt. Darüber hinaus besteht in Deutschland seit Ende 2018 die Möglichkeit, dass Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, die Option "divers" im Geburtsregister eintragen lassen können. Deutschland gehört nun zu den wenigen Staaten weltweit, die die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern rechtlich anerkennen.

Die gendergerechte Sprache hat das Ziel, sprachlich eine Gleichberechtigung zwischen allen Geschlechtern herzustellen, nicht nur zwischen Männern und Frauen. Dies soll entweder durch die Verwendung neutraler Formen erreicht werden, beispielsweise "Lehrende" anstelle von "Lehrer", oder durch eine Sprech- oder Schreibweise, die alle Geschlechter in einem Wort einschließt, also etwa die genannten Sterne, Unterstriche oder Doppelpunkte.

Die Debatte

Gendergerechte Sprache gilt in Deutschland als umstritten. Konservative und rechte Parteien wittern in ihr einen "Genderzwang" und sprechen von "Umerziehung", andere befürchten eine schwerer verständliche Sprache oder ihre Verunstaltung. Offizielle Entscheidungen zum Thema gibt es in drei Parteien, nämlich bei Grünen, Linkspartei und AfD. Die Grünen haben bereits 2015 eine Sprachrichtlinie eingeführt, die geschlechtergerechte Sprache fördert. Im Jahr 2017 beschlossen die Linken, die Verwendung des Gendersterns einzuführen. Die AfD hingegen steht dem Gendern laut Grundsatzprogramm ablehnend gegenüber.

FDP und SPD haben auf Bundesebene keine Beschlüsse oder Anweisungen zum Umgang mit geschlechtsneutraler Sprache. Die FDP lehnt eine Verpflichtung zum Gendern ab und betont, dass es freiwillig sei. Die Verwendung von geschlechtsneutraler Sprache bei der SPD wird ebenfalls als freiwillig angesehen. Die CDU sprach sich beim Parteitag im Juni per Beschluss gegen "Gender-Sprache" in Behörden, Schulen, Universitäten und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus. Demnach soll keine "grammatikalisch falsche Gender-Sprache" verwendet werden. CDU-Chef Friedrich Merz sieht im Gendern einen Grund für das aktuelle Umfrage-Hoch der AfD: "Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD", schrieb er in seinem Newsletter.

Die Vorgaben

Das Bundesgleichstellungsgesetz gibt vor, dass alle Stellen der Bundesverwaltung die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern sprachlich zum Ausdruck bringen sollen. Diese Vorschrift richtet sich ausdrücklich nicht an Privatpersonen. Zuletzt geändert worden ist das Gesetz übrigens von der vorigen Bundesregierung, auch unter Beteiligung der CSU. Ebenfalls aus Vor-Ampel-Zeiten stammt die Vorgabe in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO), dass Gesetzentwürfe "die Gleichstellung von Frauen und Männern sprachlich zum Ausdruck bringen" sollen.

Mitte September 2021 - also in der Endphase der Großen Koalition - schickte die damalige Bundesfrauenministerin Christine Lambrecht (SPD) an das Kanzleramt, die Bundesministerien und weitere Behörden die Empfehlung, auf Gendersternchen, Unterstrich und Binnen-I zu verzichten. Die aktuelle Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) verwendet beispielsweise auf Twitter das Gendersternchen, in Pressemitteilungen des Ministeriums oder Gesetzentwürfen wird darauf aber nicht zurückgegriffen.

In Bayern hat das Innenministerium für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden eine Broschüre zur "bürgernahen Sprache in der Verwaltung" veröffentlicht. "Machen Sie die unterschiedlichen Geschlechter auch sprachlich sichtbar", heißt es darin. "Vermeiden Sie es, andere Geschlechter 'mitzumeinen', 'hineinzudenken' oder gar in eine Fußnote zu verbannen." Eine klare Absage an das generische Maskulinum. Die Broschüre empfiehlt stattdessen Paarformen ("Schülerinnen und Schüler"), geschlechtsneutrale Ausdrücke ("die Mitglieder") und Geschlechtsabstraktionen ("die Lehrerschaft", "das Lehrerkollegium"). Weiter heißt es: "Verwenden Sie bitte keine Schrägstriche, Klammern, großes 'Binnen-I' oder Sternchen."

Übrigens: Im Bayerischen Rundfunk gibt es keine einheitlichen Vorgaben zum Gendern. 2021 hat die Geschäftsleitung beschlossen, dass Redaktionen - unter Berücksichtigung bestimmter Grundsätze - jeweils eine eigene Entscheidung für ihren Bereich treffen können, je nach den Erwartungen ihrer jeweiligen Zielgruppe.

Die Relevanz

In der breiten Öffentlichkeit blickt man mit einem überraschenden Desinteresse aufs Thema: Für fast zwei Drittel der Menschen spielt gendergerechte Sprache laut einer repräsentativen Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag des WDR (Befragungszeitraum: September 2022) kaum oder gar keine Rolle. 41 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen das Thema "gar nicht" wichtig sei. Gefragt nach ihrer Zustimmung oder Ablehnung gegenüber geschlechtsneutraler Sprache gaben 41 Prozent an, diese in Zeitungen, Internet und Apps "sehr gut" oder "gut" zu finden, mit Blick auf Radio, Fernsehen und Podcasts sind es ebenfalls 41 Prozent. Jeweils mehr als 50 Prozent halten die genderneutrale Sprache für "gar nicht gut" oder "weniger gut". Im Vergleich zu einer Infratest-Umfrage für den WDR aus dem Jahr 2020 ist die Zustimmung zur genderneutralen Sprache deutlich gesunken. Damals lagen die Zustimmungswerte bei 54 Prozent (beim Lesen) beziehungsweise bei 52 Prozent (beim Hören).

Die Doppelnennung, also etwa "Lehrer und Lehrerinnen", finden zwei Drittel der Befragten gut. Worttrennungen durch Striche, Sterne oder Doppelpunkte befürworten nur 35 Prozent der Befragten. Auch die Sprechpause, die sogenannte "Gender-Gap", vor der weiblichen Endung eines Wortes lehnt die überwiegende Mehrheit der Befragten ab; 69 Prozent finden sie "gar nicht gut" oder "weniger gut". Die Studie zeigt auch: Das Thema ist jüngeren Menschen wichtiger als älteren Menschen.

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