Archivbild: Verkehrsminister Wissing, im Hintergrund sein Vorgänger Scheuer
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Schadenersatz von Scheuer wegen Pkw-Maut? Wissing will's wissen

Ministerhaftung ist kaum möglich, sagen Juristen. FDP-Verkehrsminister Wissing hat das in seinem Ministerium prüfen lassen - und gibt jetzt zusätzlich ein Gutachten in Auftrag. Nur um sicher zu gehen oder auch mit Blick auf die Wahlen in Bayern?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Den Mautbetreibern stehen 243 Millionen Euro Schadenersatz zu. Steuerzahlergeld. Andreas Scheuers (CSU) Nachfolger im Amt des Bundesverkehrsministers, Volker Wissing von der FDP, ist sichtlich verärgert, als der Schaden bekannt wird. Er will Regressforderungen gegen Scheuer prüfen, ob Scheuer also persönlich mitbezahlen muss. Das war vor drei Wochen.

Wissings Ministerium beschäftigt zwar viele eigene Juristen, der Minister setzt aber nun zusätzlich auf Hilfe von außen und gibt ein Rechtsgutachten in Auftrag, das Regressansprüche rechtlich prüfen soll. Man könne die Akte bei 243 Millionen Euro "nicht einfach in den Keller legen", sagte der FDP-Politiker der Nachrichtenagentur dpa.

Bundesminister in Haftung nehmen – Stand heute ist das kaum möglich

Bürgermeister und Bundesbeamte können persönlich haftbar gemacht werden, wenn sie grob fahrlässig handeln, Bundesminister aber wohl nicht. Die Bundesregierung und auch der Bundestag könnten das ändern, wenn sie die Rechtsgrundlage dafür schaffen würden.

Von einem Ex-Minister Regress einzufordern, das hält auch der Rechtswissenschaftler Prof. Volker Boehme-Neßler derzeit für "unmöglich". Die meisten "in der Community" sähen es so wie er, sagt Boehme-Neßler im Gespräch mit BR24. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages erklärte 2019: Es gebe laut Grundgesetz "die Möglichkeit des Staates", in "Fällen von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit Regress beim handelnden Amtswalter zu nehmen." Dafür bedürfe es eines Gesetzes oder einer vertraglichen Grundlage. "Das einschlägige Bundesministergesetz sieht eine solche Rückgriffmöglichkeit jedoch nicht vor."

Ministerien geben sich zugeknüpft

Den Regierungssprechern dürfte das eigentlich nicht verborgen geblieben sein. Immer wieder wird etwa das Justizministerium mit der Frage konfrontiert, ob Regress von Ministern irgendwo gesetzlich vermerkt ist. Antworten gibt es keine. Das Bundesverkehrsministerium, das dabei federführend ist, verweist stoisch auf laufende Prüfungen und seit Montag auf das nun beauftragte Gutachten.

Rechtsexperte sieht Gutachten als "politische Psychologie"

Es gehe dem Verkehrsminister wohl darum, sich abzusichern, und das Urteil einer unabhängigen Instanz einzuholen, sagt Rechtswissenschaftler Boehme-Neßler. Dabei gehe es vor allem um ein politisches Signal an die Wähler. Nach dem Gutachten könne Wissing dann sagen: "Ich habe alles getan, was ich tun konnte." Der Bundesverkehrsminister verfüge im Ministerium über hoch spezialisierte Juristen. Die hätten in den vergangenen Wochen geprüft - dass das Rechtsgutachten aus fachlicher Sicht notwendig ist, bezweifelt Boehme-Neßler. Es gehe vielmehr um "politische Psychologie".

Gutachten könnte sich bis zur Landtagswahl ziehen

Und eine weitere Motivation vermutet Boehme-Neßler: Dass jetzt ein Gutachten in Auftrag gegeben wird, sei ein "unfreundlicher Akt" gegenüber der CSU. Denn Rechtsgutachten dauern normalerweise länger. "Das könnte sich bis in den Spätsommer oder in den Frühherbst ziehen", erwartet Boehme-Neßler. "Und dann kommen wir in die Nähe der Landtagswahl in Bayern. Und das ist natürlich für Markus Söder und die CSU unschön."

Der Sprecher des Bundesverkehrsministeriums dagegen betont am Montag mehrfach, es gehe nicht um politische, sondern um rechtliche Fragen, die angesichts der Schadenersatzhöhe geprüft werden müssten. Die CSU-Abgeordneten in Berlin wollten sich auf BR24-Anfrage nicht äußern. Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU im Bundestag, sagte der dpa in München, es handle sich um ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver. "Eine Regressforderung ist vollkommen abwegig."

Der Bund muss wohl 243 Millionen Euro zahlen

Andreas Scheuer (CSU) hatte die Verträge mit den Mautbetreibern unterzeichnet, obwohl noch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs ausstand. Es sollte klären, ob die geplante Maut mit dem Europarecht vereinbar ist. Im Juni 2019 urteilte das Gericht, die geplante Maut diskriminiere Ausländer. Scheuer begann noch am selben Tag damit, die Verträge mit dem Betreiberkonsortium Autoticket zu kündigen. Das Konsortium klagte. Seither wurde hinter verschlossenen Türen vor einem Schiedsgericht über Schadenersatzansprüche verhandelt. Aus den ursprünglich geforderten 560 Millionen Euro wurden 243 Millionen, wie Anfang Juli bekannt wurde.

Scheuers vorzeitige Unterzeichnung der Verträge macht die Sache nun teuer. Dabei hatte es im Vorfeld reihenweise Warnungen gegeben, etwa von Europarechtlern, vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, von der EU-Kommission, dass der Plan, in Deutschland ansässigen Autofahrern die Mautgebühr über die Steuer zu erstatten, während nur ausländische Autofahrer die Maut tatsächlich zahlten, als Diskriminierung gewertet werden könnte. Scheuer wollte das Mautprojekt trotzdem schnell umsetzen, damit mögliche Anlaufschwierigkeiten abgeräumt wären, wenn die CSU in den Wahlkampf 2021 startete. Zusätzlich hatte Scheuer den Betreibern noch hohe Ausfallgarantien zugesagt.

Und die Kosten für die Mautaufarbeitung steigen immer noch an

Für das Verkehrsministerium ist die Sache auch noch nicht ganz ausgestanden. Es gibt noch ein zweites, laut Ministerium deutlich kleineres Schiedsverfahren. Darin geht es um den Vertrag "Automatische Kontrolle" der Maut, den Scheuer nach dem Gerichtsurteil ebenfalls kündigen ließ. Unklar ist, wann das Gericht hierzu entscheidet und auch, ob dem Bund daraus noch Schadenersatzzahlungen erwachsen könnten. Ausgeschlossen ist das nicht. Klar ist, dass mit jedem Tag, den der juristische Streit um die Pkw-Maut andauert, die Folgekosten der Maut-Bruchlandung steigen: Die Anwaltskosten, die beim Bund für beide Verfahren bis Ende Mai aufgelaufen sind, liegen bei 19 Millionen Euro, die Gerichtskosten bei 1,4 Millionen.

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