Zwei Frauen sitzen in einem Café und unterhalten sich, die eine hat einen Eisbecher und die andere einen Eiskaffee
Bildrechte: BR/Markus Konvalin

Elena Fischers Debütroman heißt "Paradise Garden" – so wie der Eisbecher, den Mutter und Tochter darin essen, wenn wieder mal Geld da ist

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Eis essen, Mama begraben: So ist der Roman "Paradise Garden"

Frisch veröffentlicht, Spiegel-Bestseller, nominiert für den Deutschen Buchpreis: "Paradise Garden" von Elena Fischer sollte man sich näher anschauen. Und tatsächlich – der tieftraurig-lebensfrohe Debütroman ist in jeder Hinsicht eine Entdeckung.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Immer, wenn ein neuer Monat beginnt, ist es für die 14-jährige Billie und ihre Mutter Marika so, als ob ein neues Leben anfängt. Bis zum Tag davor haben sie noch Nudeln mit Ketchup gegessen, weil das Geld trotz der beiden Jobs, die Marika gleichzeitig wuppt, nicht reicht. Doch am ersten Tag des neuen Monats feiern Mutter und Tochter das Leben, mal mit einer kleinen Spritztour im alten Nissan, der schon längst keinen TÜV mehr hat, mal mit dem größten Eisbecher, den das Café Venezia auf der Karte hat: dem "Paradise Garden". Genauso heißt der wunderbare Debütroman von Elena Fischer.

Nudeln mit Ketchup essen und von Urlaub träumen

"Am Anfang wollte ich eine Vater-Tochter-Geschichte schreiben", erzählt die 1987 geborene Autorin, "aber irgendwie hat dann Billie immer mehr Raum eingenommen und ich fand´s plötzlich spannend, dass sie ihren Vater sucht. Ich glaube, dadurch wurde dann auch die Mutter sehr wichtig, und ich hab dann auf einmal ständig Marikas Stimme im Kopf gehört und hab dann im Grunde nur noch aufschreiben müssen, was sie zu Billie sagt und hab jetzt ein ganzes Notizbuch mit Marikas Lebensweisheiten."

Eine dieser Lebensweisheiten lautet, dass man überall Urlaub machen kann, auch auf dem Laubengang oben im 17. Stock, wo nachts das Rauschen der vorüberfahrenden Autos so klingt wie das Meeresrauschen. In dem Sommer, als Billie 14 ist, wollten die beiden endlich auch einmal in Urlaub fahren, doch dann kommt erst Billies ungarische Großmutter dazwischen und kurz darauf der Unfalltod von Marika. An diesem Tag fällt Billie auseinander. Als ihre Mutter beerdigt wird, wartet Billie am Grab darauf, dass ihr unbekannter Vater kommt. Doch stattdessen kommt ihre erste Periode.

An diesem Tag fällt Billie auseinander

Nach der Beerdigung kehrt Billie nicht in das Jugendheim zurück, in dem man sie untergebracht hat. Sie folgt auch nicht dem Wunsch ihrer Großmutter, ihren ungarischen Wurzeln nachzugehen. Stattdessen nimmt Billie den alten Nissan und macht sich auf die Suche: nach ihrem Vater und nach dem Grund dafür, dass sie immer wieder vom Meer träumt, obwohl sie noch niemals da gewesen ist.

Dieser großartige, so wunderbar frech und phantasievoll erzählte Debütroman ist eine Coming-of-age-Geschichte, eine Roadstory und eine Tragikomödie zugleich. Elena Fischer gelingt mit ihrem Buch etwas Besonderes: von einem Leben im Schatten zu erzählen, geprägt von Prekariat und Heimatlosigkeit, und dies aber mit Hoffnung bergendem Humor zu tun.

"Was mich ganz besonders interessiert hat", erzählt sie, "das war: Wie kann ich's ausdrücken, dass wir zeitgleich Melancholie und Euphorie empfinden können, Lebensfrust, Lebenslust, aber auch zum Beispiel Einsamkeit und Verbundenheit. Und ich hab mich gefragt: wie wirkt sich diese Gleichzeitigkeit auf uns aus und auf unseren Blick auf die Welt?"

Vielleicht wie der Genuss eines Eisbechers, den man sich eigentlich gar nicht leisten kann, der einem aber dennoch zusteht.

"Paradise Garden" ist jetzt bei Diogenes erschienen, ist für den Deutschen Buchpreis nominiert und kostet 23 Euro.

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