16.10.2023, Hessen, Frankfurt/Main: Der österreichische Autor Tonio Schachinger hält nach der Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreis 2023 für seinen Roman ·Endzeitalter· die Urkunde. Der Preis für den besten deutschsprachigen Roman des Jahres wird jährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse vergeben. Foto: Arne Dedert/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
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Verleihung Deutscher Buchpreis 2023

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"Echtzeitalter" von Tonio Schachinger: Gaming statt Reclamhefte

Tonio Schachinger hat mit "Echtzeitalter" einen Coming-of-Age-Roman geschrieben, der galant alte Begriffe von Kultur und Bildung infrage stellt - und nun völlig zurecht mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

Über dieses Thema berichtet: radioTexte am .

Ein Junge kommt auf eine neue Schule, findet einen Freund, sein Vater stirbt, er entwickelt sich zu einem der weltweit besten Spieler von Age of Empires, verliebt sich. "Echtzeitalter" ist eine Coming-of-Age-Geschichte - zumindest mit dem Thema Schule für alle zugänglich.

Da ist der verknöcherte Deutsch- und Französisch-Lehrer mit definitiv sadistischen Energien, der die Klassenlektüre auswählt nach den drei goldenen Regeln: Nichts aus dem 20. Jahrhundert, keine Übersetzungen und nichts, was nicht als Reclamheft erhältlich ist. Da sind all die tief eingeprägten Schülermomente von Abfragen und sich in Antworten winden, von Bloßstellung und Risiko, Schadenfreude und aufsteigender Panik.

Immunwerden durch Autonomie

Schachinger erzählt klug und auch witzig davon, aber so, dass das Schmunzeln ein bisschen schmerzt. Und da ist das Immunwerden durch Autonomie, durch das eigene, nicht preisgegebene Leben anderswo. Für Till die Echtzeit im Computerspiel. Echtzeit, von Real-Time-Strategie-Game. Nicht nur Geballer, wie das für seine Mutter scheint, sondern zunehmend: Zukunft.

"Till ist ziemlich genau zehn Jahre jünger als ich, er ist 2002 geboren. Es gibt also noch die alten Traditionen, den alten Lehrbegriff. Er kann aber auch bereits sehen, wie die moderne Welt aussieht - und das gerade in den Bereichen, die am meisten abgewertet werden, noch am ehesten Berufschancen liegen. Als ich noch ein Kind oder Jugendlicher war, konnte man noch nicht davon ausgehen, dass es einen Markt dafür geben würde, einfach Computerspiele zu spielen und darüber zu reden", sagt Tonio Schachinger, und natürlich schwingt da auch eine gewisse Genugtuung mit.

"Age of Empires" auf Weltklasse-Niveau

Während Till sich eigentlich mit Stifter beschäftigen soll, steigt seine eigentliche Lernkurve online. Unsere Lernkurve steigt, die wir das lesen - aber eben nicht auf Weltklasse-Niveau "Age of Empires" spielen - im Zweifelsfall gar nicht. Tonio Schachinger überlässt in "Echtzeitalter" weder die eine noch die andere Position der Lächerlichkeit. Beides zu beschreiben und nicht preiszugeben, verständlich zu machen und nicht ins Referat abzugleiten - er schafft das meistens beeindruckend gut.

Es ist der zweite Roman des Österreichers. Das Debüt "Nicht wie ihr", das auch von einem Spieler erzählte - aber von einem Fußballprofi - stand 2019 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises - da war der Autor 27 Jahre alt.

Dass "Age of Empires" auch seine Leidenschaft ist, daraus macht er keinen Hehl, woher auch sonst die Beschreibungsleistung, die er im Roman erbringt. Seine Analyse: Erfolg im Spiel beruht auf der genauen Kenntnis der zahlreichen Meta-Regeln - so genau, bis man die Regeln durch das eigene Verhalten ändern kann. Und das gilt für "Erwachsenwerden" ja eigentlich auch.

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