Archivbild: Streikende der GDL stehen im Jahr 2007 im Hauptbahnhof in Nürnberg.
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Archivbild: Streikende der GDL stehen im Jahr 2007 im Hauptbahnhof in Nürnberg.

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Bahnstreik: Wie viel Einfluss die GDL hat

Neues Jahr, neuer Streik: Die Lokführer und -führerinnen haben erneut die Arbeit niedergelegt. Wie viel Einfluss haben Gewerkschaften, wer streikt besonders häufig und in welchem Umfang sind Arbeitskämpfe erlaubt? Die wichtigsten Antworten.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Es ist der dritte und längste Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in der aktuellen Tarifrunde mit der Bahn: Seit Mittwoch fällt ein Großteil der Fern- und auch Nahverkehrszüge sowie S-Bahnen in Ballungsgebieten aus. Der Streik trifft Millionen Reisende sowie Berufspendler und -pendlerinnen. Etwa die Hälfte der Menschen hat offenbar Verständnis für wiederholte Bahnstreiks: Im vergangenen November gaben laut ZDF Politbarometer 53 Prozent der Befragten an, erneute Streiks nicht nachvollziehen zu können. 44 Prozent äußerten sich verständnisvoll. Bei einer aktuellen Befragung des MDR mit rund 23.000 Befragten zeigte sich ein ähnliches Bild.

"Die Sympathie der Öffentlichkeit spielt in allen Arbeitskämpfen, in denen Bereiche der öffentlichen Versorgung betroffen sind, eine wichtige Rolle", erklärt Heiner Dribbusch, der vor seinem Ruhestand Referatsleiter Tarif- und Gewerkschaftspolitik des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung war. Solange nicht gerade in den Weihnachtsferien gestreikt werde, sei jedoch das generelle Verständnis für Streiks auch bei der Bahn relativ hoch. Auch Bahnreisende wüssten, "dass die Preise gestiegen sind" sowie dass Lokführerinnen und Lokführer "einen sehr anstrengenden Job mit ungünstigen Arbeitszeiten haben."

Sind Streiks häufiger geworden?

Seit Mitte der 2000er Jahre wurde mehr gestreikt als in den Jahrzehnten zuvor, erklärt Dribbusch, der in seinem aktuellen Buch "Streik" das Arbeitskampfgeschehen der vergangenen 20 Jahre analysiert hat. "Ein wesentlicher Grund dafür ist die zunehmende Zersplitterung des Tarifsystems", erklärt Dribbusch.

Im Jahr 2022 registrierte das gewerkschaftsnahe Forschungsinstitut WSI in Düsseldorf insgesamt 225 Arbeitskämpfe, also Tarifauseinandersetzungen mit zumindest einer Arbeitsniederlegung. In deren Verlauf kam es zu mehreren tausend Arbeitsniederlegungen. Der Auswertung zufolge hat sich das Arbeitskampfgeschehen in Deutschland im Vergleich der vergangenen Jahrzehnte auf einem mittelhohen Niveau verstetigt. Im internationalen Vergleich bewegt sich Deutschland aber lediglich im unteren Mittelfeld.

Wie viel Einfluss hat die Lokführergewerkschaft GDL?

Die Mitgliederzahl der GDL ist in den vergangenen Jahren "moderat" gestiegen, erklärt Dribbusch. Sie habe ihr "Ziel, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ernsthaft die gewerkschaftliche Führungsrolle bei der Bahn streitig zu machen, aber klar verfehlt", betont er. Seit Ende 2021 gebe sie auf ihrer Webseite unverändert an, "fast 40.000 Mitglieder" zu haben. Die EVG hingegen veröffentlicht jedes Jahr ihre Mitgliederzahlen. Sie hatte Ende 2022 mehr als viermal so viele Mitglieder wie die GDL: 185.370. "Inzwischen dürfte die Mitgliederzahl aufgrund der vielen Eintritte während der Tarifrunde der EVG im letzten Jahr gestiegen sein", meint Dribbusch.

Die Durchsetzungsmacht der GDL beruhe vor allem auf einem: der Durchsetzungsstärke der von ihr organisierten Lokführer und Lokführerinnen. "In dieser Berufsgruppe ist sie die größte Gewerkschaft", erklärt Dribbusch. Allerdings gebe es noch andere, durchsetzungsstarke Beschäftigungsgruppen bei der Bahn. Etwa stehe der Bahnverkehr auch dann still, wenn in den Stellwerken gestreikt wird – hier ist die EVG die mit Abstand führende Gewerkschaft.

Zu den ersten größeren Streiks der GDL kam es 2007. Weitere folgten in der Tarifrunde 2014/2015 sowie im Jahr 2021. Seit 2021 wendet die Deutsche Bahn das Tarifeinheitsgesetz (TEG) an. "Dies hat die GDL damals im Zuge des Tarifabschlusses hinnehmen müssen", sagt Dribbusch. Maßgeblich ist seitdem der Tarifvertrag jener Gewerkschaft, die im jeweiligen Betrieb die Mehrheit hat. Laut Deutscher Bahn AG kommen von etwa 300 ihrer Betriebe lediglich in 17 die Tarifverträge der GDL zur Anwendung. Die Tarifverträge der GDL gelten demnach für etwa 10.000 Beschäftigte, während die der EVG für 180.000 Bahnbeschäftigte zur Anwendung kommen.

Welche Gewerkschaften streiken besonders häufig - und mit welchem Erfolg?

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die IG Metall sind in Deutschland am häufigsten in Arbeitskämpfe verwickelt. In der Metallindustrie kommt es in nahezu jeder Tarifrunde zu großen Warnstreiks, bei denen Tausende von Betrieben betroffen sind.

"Bei ver.di spielt eine große Rolle, dass in ihrem Organisationsbereich sehr viele unterschiedliche Branchen sind", erklärt Dribbusch. "Besonderes Aufsehen erregen hier immer die Streiks im Erziehungsbereich (Kitas) sowie in den Kliniken", erklärt er. Die Arbeitskämpfe hätten dafür gesorgt, dass mittlerweile vielen Menschen klar ist, unter welchen schwierigen Arbeitsbedingungen der Sozial- und Erziehungssektor tätig ist.

Bei Amazon ist es ver.di trotz wiederholter Streiks seit mehr als zehn Jahren bisher nicht gelungen, einen Tarifvertrag durchzusetzen.

In welchem Umfang sind Streiks erlaubt?

Solange ein Streik als verhältnismäßig eingeordnet wird, um Druck auf die Arbeitgeber­-Seite auszuüben, kann beliebig lange gestreikt werden. Auch wiederholte Streiks sind grundsätzlich zulässig. In Krankenhäusern gelten meist besondere Bedingungen: Überraschend angekündigte oder Vollstreiks, die die Einrichtung komplett lahmlegen, verbieten sich, damit Patientinnen und Patienten nicht geschädigt werden. Oft werden Notdienstvereinbarungen abgeschlossen, um die medizinische Versorgung zu klären.

Im Einzelhandel sind plötzliche Streiks hingegen kein Problem. Zudem zeigt sich bei dieser Branche auch, dass "Arbeitskämpfe sehr lange dauern können, weil Unternehmen oder Arbeitgeberverbände sich unnachgiebig zeigen", denn es ist "trotz monatelanger Auseinandersetzungen bisher noch zu keinem Tarifergebnis gekommen", sagt Dribbusch.

"Wie lange sich der Arbeitskampf bei der Bahn hinzieht, bestimmt nicht allein die GDL, sondern ganz maßgeblich auch die Deutsche Bahn und ihre Kompromissbereitschaft", betont Dribbusch. Bisher sei es nach jeder Tarifrunde bei der Bahn am Ende zu einem Kompromiss gekommen. Das sei auch hier zu erwarten.

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