Flüchtlinge in einer Unterkunft an der Grenze zwischen Belarus und Polen
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Flüchtlinge in einer Unterkunft an der Grenze zwischen Belarus und Polen

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Wie Schlepper Flüchtlinge über Moskau nach Deutschland locken

Schlepper werben für eine Flüchtlingsroute, die weniger gefährlich ist als über das Mittelmeer. Russland vergibt freizügig Visa - über Moskau geht es dann über Land nach Deutschland. Experten sehen darin einen perfiden Plan Putins.

Über dieses Thema berichtet: report MÜNCHEN am .

Schöne Frauen, Party, Geld und Alkohol. So sehen TikTok-Videos aus, in denen junge Männer von Europa träumen. Tausendfach verbreitet im arabischen Raum. Und wer sich diesen Traum erfüllen will, findet auf TikTok auch Schleuser, die es möglich machen.

Sie werben mit 100-prozentiger Ankunftsgarantie. Posten dafür Videos von geschleusten Menschen, die in Deutschland angekommen sind. Oder in Moskau fröhlich ihre russischen Visa in die Kamera halten. Denn als sicherere Alternative zum Weg über das Mittelmeer oder die beschwerliche Balkanroute ist die sogenannte "Ostroute" wieder beliebt.

Einreisen über belarussisch-polnische Grenze steigen

Zuletzt war 2021 eine nennenswerte Zahl von Migranten über die belarussisch-polnische Grenze in die EU gekommen. Nun steigen die Zahlen wieder. Die Bundespolizei bestätigt - die Zahl der illegalen Einreisen über die polnisch-deutsche Grenze ist seit vergangenem Jahr deutlich gestiegen. Zwar kommen auch einige, die über den Balkan geschleust wurden, inzwischen über Polen nach Deutschland. Doch der Anteil derjenigen, die über Russland und Belarus kommen, ist erheblich.

Bis zu 10.000 Dollar für Schlepper

In der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Brandenburg hatte zeitweise jeder zweite Ankommende ein russisches Visum im Pass. Der Leiter, Olaf Jansen, bestätigt, dass sich die Route als "sichere, aber teure Variante" etabliert habe. Rund 7.000 bis 10.000 Dollar würden die Schlepper dafür kassieren.

Ein afghanischer Flüchtling in Eisenhüttenstadt bestätigt diese Summe. Er habe 7.000 Dollar bezahlt. Seit eineinhalb Jahren sei die Visavergabe an Afghanen durch Russland deutlich lockerer geworden, es sei einfach, ein Touristenvisum für drei Monate zu bekommen. Nach der Ankunft in Moskau gehe es dann weiter über Land, durch Belarus und Polen. Die Grenze nach Polen zu überqueren sei zwar beschwerlich, aber nicht unmöglich.

Die Schleuser arbeiten nach einem ausgeklügelten System, erklärt der Dienstgruppenleiter der Bundespolizei Forst, Frank Malack. Jeder Fahrer, jeder Helfer, der über die grüne Grenze führe, übernehme nur einen Teil der Strecke. Sie wüssten möglichst wenig voneinander. Die Hintermänner würden die Schleusergebühr etappenweise kassieren - von jeder erfolgreichen Etappe werde ein "Videobeweis" geschickt.

Solche "Videobeweise" finden wir auch auf der Homepage eines syrischen Schleppers. Wir kontaktieren ihn. Er bietet an, eine syrische Familie nach Deutschland zu schleusen, man brauche dazu nur die gültigen Pässe, den Rest - also Flug und Weiterreise von Moskau - organisiere er.

Andrea Lindholz (CSU) fordert mehr Druck auf Fluggesellschaften

Die Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Andrea Lindholz (CSU) ist über diese Entwicklung beunruhigt. Andrea Lindholz, CSU, findet, die Bundesregierung müsse gegen diese Schleuser vorgehen. Am sinnvollsten sei es, Druck auf die Fluggesellschaften auszuüben. Das habe auch 2021, als viele Migranten über Minsk in Belarus kamen, gewirkt.

Doch die Bundesregierung gibt sich zugeknöpft, will auf Anfrage nicht von einer einfacheren Visavergabe durch Russland sprechen. Das Innenministerium etwa schreibt: "Das BMI beobachtet fortlaufend die Entwicklung der irregulären Migration auf dem Luftweg. Dies gilt auch für den Luftverkehr nach Russland, um ggf. die Gegenmaßnahmen frühzeitig ergreifen zu können."

Statistik zeigt Anstieg der russischen Visa

Wenn man die offiziellen Angaben der russischen Behörden anschaut, dann findet man allerdings zumindest zwischen 2021 und 2022 einen deutlichen Anstieg der Visa, die etwa an Syrer, Iraner oder Afghanen vergeben wurden. Für 2023 liegen die Zahlen noch nicht vor, aber in der Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt erzählen uns einige Bewohner, dass Visa für Russland nach wie vor sehr leicht zu bekommen sein. Ob Touristen- oder Studienvisum, man müsse außer einem gültigen Pass kaum etwas vorweisen. Und die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet im März noch, das Außenministerium wolle die Vergabe von Visa etwa an Iraner erleichtern. Im Tourismus sehe man großes Potential.

Perfider Plan Putins?

Doch wer profitiert nun, neben den Schleppern, die sich die Schleusung nach Deutschland teuer bezahlen lassen? Der Migrationsforscher Gerald Knaus sieht einen perfiden Plan Putins hinter dieser ausgeweiteten Visavergabe. Putin wolle Ängste schüren, dass eine unkontrollierte Migration stattfinde. Und damit wolle der Autokrat er zur Destabilisierung Europas beitragen und ganz konkret rechtspopulistische Parteien stärken.

Beim Flüchtlingsgipfel am Montagabend in Berlin geht es eher um andere Themen, vor allem um die Flüchtlingskosten. Doch in der Pressekonferenz am sehr frühen Dienstagmorgen äußert sich Bundeskanzler Olaf Scholz auf unsere Anfrage auch zur Schleusung über Russland.

"Man wird immer wieder ganz konkret neu reagieren müssen auf ganz konkret veränderte Situationen. Es gibt nicht das eine Schema, über das man alle Herausforderung bewältigen kann, die uns in dieser Frage begegnen". Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

Man werde mit dem Auftreten neuer Routen über russische Flughäfen konkret umgehen müssen. "Und das ganze Setting der Instrumente nutzen, die wir haben." Konkreter wird der Bundeskanzler an diesem frühen Morgen nicht.

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