Hamdiyah Al-Nuaim mit einem ihrer Söhne.
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Hamdiyah Al-Nuaim mit einem ihrer Söhne.

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Familie Al-Nuaim und die Angst vor der Abschiebung

2015 sind ein irakischer Vater und sein Sohn nach Deutschland geflohen. Vier Jahre später zogen die Mutter und der jüngere Sohn nach. Der Vater ist mittlerweile verstorben. Obwohl die Familie gut integriert ist, droht der Mutter nun die Abschiebung.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

In einer kleinen Stichstraße in Furth im Wald stehen einige unscheinbare Reihenhäuser. Diese haben ihre besten Jahre hinter sich, so wirkt es zumindest. An einem öffnet sich die Haustür. Hamdiyah Al-Nuaim bittet uns freundlich herein. Die 61-Jährige kocht gerade das Mittagessen für ihre beiden Söhne. Es duftet nach Reis und einer würzigen Soße. Zu dritt lebt die irakische Familie in der zweigeschossigen Wohnung mit kleinem Garten. Alles wirkt bescheiden-harmonisch. Doch der Schein trügt. Hamdiyah Al-Nuaim droht die Abschiebung. Aber der Reihe nach.

2015: Vater und Sohn flüchten über das Mittelmeer

Die kleine Frau mit Brille und Kopftuch erzählt uns, wie ihre Familie in der irakischen Heimat von den Milizen bedroht wurde. Drei ihrer Brüder hätten sich geweigert mitzumachen, seien deswegen ermordet worden. Auch die beiden damals minderjährigen Söhne Ameer und Abdulrahman sollten rekrutiert werden. Um ihre Kinder zu schützen, habe die Familie 2015 entschieden, das Land zu verlassen. Doch das Geld reichte nicht für alle vier.

So begaben sich zunächst Vater Awf Al-Taie und sein damals 15-jähriger Sohn Ameer auf die waghalsige Reise über das Mittelmeer. Ameer zeigt uns ein Video. Zu sehen sind sein Vater und er selbst neben vielen anderen Menschen mit Schwimmwesten auf einem völlig überfüllten Schlauchboot. Der Weg habe die beiden über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich bis nach Deutschland geführt, sagt Ameer. Sie hätten nachts in Wäldern und auf der Straße geschlafen.

2019: Der Vater stirbt kurz nach dem Familiennachzug

In Deutschland angekommen, beantragte Vater Awf in Passau Asyl. Er und sein Sohn erhielten im Sommer 2016 sogenannten subsidiären Schutz, durften bleiben. Doch der Familiennachzug wurde immer wieder abgelehnt. Erst als Awf Al-Taie Anfang 2019 an Krebs erkrankte, konnten Mutter Hamdiyah und der jüngere Sohn Abdulrahman nach Deutschland einreisen. Nur vier Monate nach der Familienzusammenführung erlag Awf Al-Taie seiner Krankheit. Nach Ablauf ihres eigenen subsidiären Schutzes beantragte seine Frau erneut Asyl. Doch das wurde zweimal abgelehnt.

2023: Abschiebebescheid im Briefkasten

Seitdem lebt Hamdiyah Al-Nuaim nur noch per Duldung in Deutschland. Im Juli dann der Schock: Im Briefkasten ihres kleinen Reihenmittelhauses fand die Irakerin einen rechtskräftigen Bescheid, der sie zur Ausreise verpflichtet. Zwar wurde ihre Duldung im Oktober ein weiteres Mal verlängert – allerdings nur noch für drei und nicht wie zuvor für sechs Monate. Aus Sicht des Regensburger Asylrechtsanwalts Philipp Pruy, der die Familie nun betreut, will die Ausländerbehörde ausreisepflichtige Personen damit unter Druck setzen. Er sieht trotzdem gute Chancen für einen Verbleib Al-Nuaims, da vorwiegend junge Männer in den Irak abgeschoben würden.

Die Angst bleibt

Und trotzdem: Die Angst bleibt der Mutter ins Gesicht geschrieben. Ganz unbegründet ist das nicht. Denn sie erfüllt nicht alle Voraussetzungen für eine Aufenthaltsgenehmigung. Zum Beispiel kann Al-Nuaim aktuell kein eigenes Einkommen verdienen. Nach einer Rückenoperation kann sie weder lange stehen noch sitzen. Aus Sorge vor der Vollstreckung der Ausreiseverpflichtung traut sie sich nur noch selten aus dem Haus. Als wir sie an diesem Mittag besuchen, kann sie ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie werde im Irak sterben, sagt sie auf Arabisch. Wenn sie nicht umgebracht würde, müsse sie sich selbst umbringen. Sie hätte dort niemanden, würde auf der Straße landen.

"Wir wollen nichts vom Staat"

Im Gegensatz zu ihrer Mutter sind die beiden Brüder geschützt. Beide absolvieren Ausbildungen: der 22-jährige Abdulrahman in einem Elektronikfachgeschäft, der ein Jahr ältere Ameer bei der Länderbahn. Während sein Bruder später Flugbegleiter werden will, ist Ameer seinem Kindheitstraum schon sehr nah. Im kommenden Jahr beendet er seine Ausbildung zum Lokführer. "Wir wollen nichts mehr vom Staat. Wir wollen unsere Mutter mit einer Verpflichtungserklärung aufnehmen und selbst für sie sorgen", beschreibt Ameer.

Ameer ist nun Deutscher

Wie gegensätzlich die Situation in der Familie ist, zeigt auch der nächste Morgen. Um 8:30 Uhr treffen wir Ameer und seinen Bruder vor dem Landratsamt in Cham. Ein besonderer Tag für den 23-Jährigen. Denn er erfüllt alle Voraussetzungen, um Deutscher zu werden. In einem unscheinbaren Büroraum, mit einem schwarz-rot-goldenen Wimpel auf dem Holztisch vor ihm, spricht Ameer stehend seinen Eid. Und dann bekommt er sie: die Einbürgerungsurkunde. Ein ganz besonderer Moment, wie er sagt. "Ich freue mich sehr, dass ich jetzt ein Teil Deutschlands geworden bin. Und ich hoffe, dass ich damit dabei helfen kann, dass meine Mutter bleiben darf."

Der Iraker in Tracht

Zurück im kleinen Reihenmittelhaus entdecken wir mehrere eingerahmte Bilder. Auf einem ist Ameer zu sehen – in bayerischer Tracht. Spätestens seitdem er bei Deutschlands ältestem Volksschauspiel, dem Drachenstich, mitgespielt hat, hat in Furth im Wald niemand mehr Zweifel daran, dass die Familie bestens integriert ist. Auch 900 gesammelte Unterschriften zur Unterstützung ihrer Mutter sprechen dafür. Was bleibt, ist allerdings ein rechtskräftiger Abschiebebescheid – und damit auch die Angst Hamdiyah Al-Nuaims vor einer Rückkehr in den Irak.

Dieser Artikel ist erstmals am 6.11.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Zum Audio: Familie Al-Nuaim und die Angst vor der Abschiebung

Hamdiyah Al-Nuaim mit einem ihrer Söhne.
Bildrechte: BR/Christian Akber-Sade
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Hamdiyah Al-Nuaim mit einem ihrer Söhne.

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