Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler, aufgenommen im Rahmen seiner Regierungserklaerung im Deutschen Bundestags zur Lage in Israel.
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Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler, aufgenommen im Rahmen seiner Regierungserklaerung im Deutschen Bundestags zur Lage in Israel.

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"Unsere Herzen sind schwer": Bundestag solidarisch mit Israel

Es ist der Versuch, Worte für das Unbeschreibliche zu finden. Der Bundestag setzt sich zwei Stunden lang mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel auseinander. Eine nachdenkliche Debatte, bei der sich das Parlament auch seiner selbst vergewissert.

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Die Reihen auf den Besuchertribünen sind an diesem Vormittag gut gefüllt. Und auf den Presseplätzen müssen die Beobachter zeitweise zusammenrücken, so groß ist das Interesse an der Regierungserklärung des Kanzlers zur Lage in Israel. Ein Gast sticht heraus: Der israelische Botschafter Ron Prosor hat sich erhoben, denn die Abgeordneten unten im Plenarsaal spenden ihm stehend Beifall.

Olaf Scholz schaut noch kurz auf sein Manuskript und zieht die Ärmel seines Anzugs straff. Bloß keine Nachlässigkeit bei dieser wichtigen Debatte. Dann geht er ans Rednerpult und klappt die Mappe mit dem Bundesadler auf. Israel, stellt der Kanzler fest, sei am vergangenen Samstag "in einem Alptraum aufgewacht".

Scholz zu Hamas-Angriff: "Menschenverachtende Grausamkeit"

Mit ruhiger Stimme erinnert er an die erste Welle der Raketenangriffe auf Israel und daran, wie "schwer bewaffnete palästinensische Terroristen mordend durch Städte und Dörfer" gezogen seien. Auch auf das Massaker bei einem Musikfestival in der Nähe des Gazastreifens geht Scholz ein. Mehr als 250 junge Menschen seien hier "regelrecht hingerichtet" worden. Die Bilder aus Nahost zeugen nach seinen Worten von "menschenverachtender Grausamkeit."

Dann wendet sich der Kanzler direkt an die Menschen in Israel. Ihnen ruft er von Berlin aus zu: "Wir trauern und wir bangen mit Euch!" Eine Geste des Mitgefühls, die die Abgeordneten mit Zwischenapplaus unterstreichen. "Unsere Herzen sind schwer angesichts des großen Leids, das Terror, Hass und Menschenverachtung über Euer Land, über Israel gebracht haben", sagt Scholz. Für Deutschland gibt es nach den Worten des Kanzlers deshalb nur einen Platz: den an der Seite Israels.

Scholz bei Regierungserklärung zu Israel um Empathie bemüht

Scholz steht nicht in dem Ruf, ein gefühliger Regierungschef zu sein. Immer noch haftet ihm das wenig schmeichelhafte "Scholzomat"-Image an. Doch an diesem Donnerstag scheint er ernsthaft zu versuchen, Empathie auszudrücken. Ein Signal nicht nur an Israel, sondern auch an jüdische Menschen hierzulande, die sich oft genug in ihrer Sorge vor wachsendem Antisemitismus alleingelassen fühlen.

Dass Judenhass ein Problem auf deutschen Straßen ist, wurde in den vergangenen Tagen überdeutlich. Scholz würdigt die Solidaritätskundgebungen mit Israel, geht aber auch auf "beschämende Bilder aus Deutschland" ein. Gemeint sind Kundgebungen in Berlin und anderswo, bei denen Hamas-Anhänger den Angriff der Terrororganisation gefeiert haben.

Bundesregierung verstärkt Druck auf Hamas-Anhänger in Deutschland

"Hass und Hetze nehmen wir nicht tatenlos hin", verspricht Scholz und kündigt ein Verbot von Hamas-Aktivitäten in Deutschland an. Sicherheitsbehörden schätzen, dass sich die Terrororganisation hierzulande auf einen Kreis von rund 450 Menschen stützt. Sie sollen Strukturen aufgebaut haben, die die Behörden jetzt verstärkt in den Blick nehmen dürften. Schon jetzt allerdings ist klar, dass eine Unterstützung der Hamas strafbar ist. Insofern dürfte das "Betätigungsverbot" für die militante Palästinenserorganisation in Deutschland eher symbolische Bedeutung haben.

Doch Gesten und Symbole sind wichtig an so einem Tag. Das weiß auch Friedrich Merz. Normalerweise lässt der Chef der CDU/CSU-Fraktion bei seinen Bundestagsreden eine gewisse Freude an der Provokation erkennen – gerade, wenn er dem Kanzler antwortet. Doch diesmal bedankt sich Merz für dessen Regierungserklärung. Und bei den Abgeordneten von Union, SPD, Grünen und FDP für einen Entschließungsantrag, der später einstimmig verabschiedet wird. Darin spricht der Bundestag Israel seine "volle Solidarität" aus.

Unionsfraktionschef Merz warnt vor Flächenbrand in Nahost

Es folgt noch mehr Lob für den Kanzler: Die Unionsfraktion begrüße es, dass die Bundesregierung alle diplomatischen Mittel einsetzen wolle, um mäßigend auf die Nachbarstaaten Israels einzuwirken. "Ein Flächenbrand in der Region muss unter allen Umständen verhindert werden", sagt Merz. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betont in seiner Rede die Solidarität mit Israel und würdigt die Zusammenarbeit mit den Ampel-Fraktionen. Und so ist eine weitere Botschaft an diesem Tag, dass Demokraten in schwerer Stunde zusammenhalten sollten – über die Grenzen von Regierung und Opposition hinweg. Dennoch rührt sich in den Ampelreihen kaum eine Hand, als Merz seine Rede beendet hat, was das Bild der Einigkeit etwas trübt.

Der AfD-Abgeordnete Alexander Gauland wirft der Regierung Lippenbekenntnisse vor: "Solidaritätserklärungen helfen weder den Israelis noch machen sie den geringsten Eindruck auf die Terroristen und ihre Unterstützer." Dass es in Deutschland nach wie vor zu antisemitischen Kundgebungen kommt, nennt Gauland unerträglich. Er selbst stand allerdings schon in der Kritik, weil er die NS-Zeit vor Jahren als "Vogelschiss" in der deutschen Geschichte bezeichnet hatte.

Linke fordert andere Iran-Politik

Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch verurteilt den Terrorangriff der Hamas. Zugleich fordert er, die deutsche Iran-Politik zu überdenken. "Wir wissen alle, dass der Iran die Hamas aktiv unterstützt." Ein Punkt, den zuvor schon Scholz in seiner Regierungserklärung aufgegriffen hat. Auch aus Sicht des Kanzlers wäre die radikale Palästinenserorganisation zu einem solchen Angriff ohne Hilfe aus Teheran nicht in der Lage gewesen.

Was genau aus dieser Kritik am iranischen Regime folgt, bleibt nach dieser Debatte unklar. Kein Zweifel besteht aber daran, dass sich die Bundesregierung bei der Wahl ihrer Gesprächspartner aus der Region einen gewissen Spielraum erhalten will. Beim Mittagessen im Kanzleramt sitzt diesmal der Emir von Katar mit am Tisch, ein schon länger geplantes Treffen. Der Golfstaat unterstützt militante Palästinenser im Gazastreifen – einerseits. Andererseits verfügt Katar über Gesprächskanäle, die in dieser bedrohlichen Lage nützlich sein könnten. So sehr an diesem Tag demokratische Prinzipien beschworen werden, wird eben auch deutlich: In der Not stehen die Türen in Berlin auch Autokraten offen.

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