STIKO-Vorsitzender Thomas Mertens
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Stiko-Chef Mertens: Corona ist mittlerweile endemisch

Thomas Mertens, Chef der Stiko, hält Corona inzwischen für eine endemische Virusinfektion - die aber über Generationen erhalten bleiben werde. Das sagte er gegenüber dem BR. Nicht alle Experten sind dieser Ansicht.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

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Das Coronavirus sei mittlerweile endemisch: Das machte Thomas Mertens, der Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko), im BR-Interview klar und sieht damit die Pandemie für beendet an.

Bislang hat aber beispielsweise die WHO die Corona-Pandemie nicht für beendet erklärt, auch wenn WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bereits im September eine Chance auf ein Ende sah.

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Corona bleibe über Generationen erhalten

Das Coronavirus bleibe aber noch über Generationen erhalten, sagte Mertens. Er erklärte, man werde daher immer dafür sorgen müssen, diejenigen, die "ein Risiko haben, zu erkranken, zu schützen". Dies allerdings nicht nur durch Impfung, sondern unter Umständen auch durch das Tragen von Masken, so Mertens.

  • Wenn die Pandemie zur Endemie wird - und was das bedeutet

Maske in Innenräumen sei weiter sehr sinnvoll

Der Virologe wünscht sich, dass Menschen auch ohne eine Verpflichtung in Risikosituationen, etwa vollen Innenräumen, Maske trügen. Dass das sehr sinnvoll sei, "daran besteht mittlerweile überhaupt kein Zweifel mehr", erklärte der Stiko-Chef. Diese Schutzwirkung sei bei Influenzaviren noch besser als bei Sars-CoV-2, so Mertens. "Das heißt, es ist sicher sinnvoll für Menschen mit Risiken für schwere Erkrankungen, eine Maske zu tragen".

Risikogruppen sollten sich regelmäßig, "vielleicht jährlich" impfen

Im kommenden Winter müsse man versuchen, dass "alle Menschen, von denen wir wissen, dass sie ein hohes Risiko für eine schwere Erkrankung [...] haben, dass die jetzt flächendeckend geimpft sind." Bisher sehe er noch Nachholbedarf, was geeignete Konzepte angehe, um den Menschen den Sinn der Impfung nahezubringen.

Allerdings bekräftigte Mertens, seien die Auffrischungsimpfungen nur für explizite Risikogruppen notwendig. Er glaubt, dass auch in Zukunft in gewissen Abständen, "vielleicht jährlich" geimpft werden müsse, "möglicherweise mit angepassten Impfstoffen". Allerdings werde es auf Dauer nicht sinnvoll sein, die ganze Bevölkerung unseres Landes in sechsmonatigen Abständen "zu irgendeiner Auffrischungsimpfung aufzurufen, nur um Infektionen zu vermeiden, weil wir da mittlerweile wissen, dass die Impfstoffe zwar sehr gut vor schwerer Erkrankung schützen, aber sehr viel weniger gut vor Infektion."

Mertens weist Vorwurf zurück, Stiko habe zu langsam entschieden

Mertens wehrte sich im BR-Interview auch gegen den oft wiederholten Vorwurf, die Stiko habe in der Pandemie zu langsam entschieden und zu spät ihre Impfempfehlungen abgegeben. Die Stiko habe nicht langsamer entschieden als viele andere Impfkommission, etwa in den USA oder auch in Europa. Einzig Israel sei schneller gewesen - sei allerdings aufgrund seiner Größe und der Datenerfassung in einer Sondersituation, so Mertens.

Verhältnis zu Lauterbach sei "trotz aller Kritik entspannt"

Sein persönliches Verhältnis zu Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sei trotz aller Kritik "durchaus entspannt". Dass er in mancher Hinsicht andere Vorstellungen habe, sei für ihn kein großes Problem.

Infektiologe Bernd Salzberger sagt: "Sind im Übergang in die endemische Phase"

Der klinische Infektiologe Prof. Bernd Salzberger vom Uniklinikum Regensburg hat sich auf BR-Anfrage auch zum Thema geäußert. Er teilt schriftlich mit: "Das Virus ist mit uns und wird bei uns bleiben. Für mich sind diese hohen und kurzen Wellen (Sommer und Herbst) auch Ausdruck des Übergangs in eine endemische Phase."

Bezogen auf die gesamte Bevölkerung "haben wir mittlerweile eine relativ hohe Immunität", nach den Impfungen und Infektionen, so der Infektiologe. Das werde dazu führen, dass "wir in in größeren Abständen immer wieder mal Ausbrüche sehen, immer dann, wenn entweder durch Geburten oder durch nachlassende Immunität wieder viele infizierbare Menschen da sind."

Virologe Oliver Keppler: "Befinden uns eher in einer neuen Phase der Pandemie."

Nicht alle Experten pflichten dem Stiko-Chef Mertens bei. Der Virologe Prof. Oliver Keppler von der Ludwig-Maximilians-Universität München schreibt in einer E-Mail an den BR: "Mit diesen Fachbegriffen (endemisch d. A.) sollte man sorgsam umgehen." Seiner Ansicht nach seien die Infektionen und die Erkrankungen innerhalb der Bevölkerung nicht "mehr oder weniger gleichbleibend", was das Hauptcharakteristikum einer Endemie sei.

Es bestünden weiterhin "ausgeprägte Infektions- und Erkrankungswellen" und die Auswirkungen von Covid-19 auf das Gesundheitssystem, den Bildungssektor und "unser Sozialleben sind keinesfalls in einem entspannten Gleichgewicht". Sein Fazit: "Die aktuell erkennbaren Länder- und bevölkerungsübergreifenden Folgen dieser Infektionskrankheit zeigen, dass wir uns eher in einer neuen Phase der Pandemie befinden."

Aus diesem Grund könne es sich Deutschland nicht leisten, in komplett vorpandemische Automatismen überzugehen. "Gezielte Impfkampagnen und risikoadaptiertes Maskentragen sollten weitergeführt werden, der Schutz vulnerabler Gruppen muss weiter hochgehalten werden und insgesamt darf die chronische Belastung des deutschen Gesundheitssystems nicht bagatellisiert werden. Diese muss engmaschig beurteilt werden", so der Virologe Keppler zum BR und fügt hinzu: "Leider wird das Ausrufen einer Endemie gerne als Freibrief für den Wegfall jeglicher Anstrengungen gegen COVID-19 gesehen."

Virologin Protzer: "Sind sicher am Übergang in eine Endemie."

Für die Virologin Prof. Ulrike Protzer von der TU München steht es nicht im Vordergrund, wie man den Übergang momentan benennt. Sie teilte dem BR schriftlich mit: "Wir sind sicher am Übergang der Pandemie in eine Endemie." Wichtig sei aber zu wissen, was das Virus für uns bedeute. In Deutschland sei mittlerweile ein "guter Immunitätswall" aufgebaut worden. Die breite Mehrheit könne sich inzwischen "glücklich schätzen, dass ihr Immunsystem mit dem Virus umgehen kann", auch wenn es weiterhin gefährdete Menschen gebe und "lästige und anstrengende Infektionswellen". Die breite Mehrheit aber könne mit dem Virus leben, wie mit anderen endemischen Viren auch.

Sie räumt ein, dass das für diejenigen ironisch klingen mag, "die an den Folgen einer Infektion leiden, Long-Covid entwickelt haben und eine Behandlung brauchen. Aber man muss als Gesellschaft ja einen Weg finden, mit dem Risiko durch Viren und Infektionserregern, die wir nicht ausrotten können, rational umzugehen. Die allermeisten, glaube ich, haben diesen Weg für sich aber auch gefunden".

Die Virologin betont, dass die gefährdeten Menschen nicht vergessen werden sollten, wie ältere Menschen, Schwangere oder Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder Vorerkrankungen des Herz-Kreislaufsystems: "Die brauchen weitere Impfungen. Und die müssen wir alle zusammen weiter schützen, bei Bedarf auch durch das Aufsetzen einer Maske, wenn es in Innenräumen eng wird."

Update: Der Artikel wurde am 28.10. 2022 durch die Stellungnahmen von Bernd Salzberger und Oliver Keppler ergänzt. Am 31.10. 2022 ergänzt durch die Stellungnahme von Ulrike Protzer.

Schild in einem Schaufenster mit der Aufschrift "Maske Freiwillig" (Symbolbild)
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Schild in einem Schaufenster mit der Aufschrift "Maske Freiwillig" (Symbolbild)