Die Illustration zeigt das COVID-19-Virus. Die aus der Zelle herausragenden Strukturen sind die "Spikes" (Zacken) der Krone (Corona). In diesem Bild sind die Atome der Spikes zu erkennen –über 20.000 pro Spike
Bildrechte: picture alliance / Maximilian Schönherr

Der Ursprung des Coronavirus ist immer noch nicht endgültig geklärt.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Studie um Labor-Theorie des Coronavirus sorgt für Diskussionen

Immer wieder erscheinen Studien, die nahelegen, dass der SARS-CoV-2-Erreger aus einem Hochsicherheitslabor in China entwichen sein könnte. Eine neue Studie, an der auch ein Würzburger Forscher beteiligt war, führt unter Experten zu Diskussionen.

Seit Januar 2020 diskutieren Forschende aus aller Welt über den Ursprung des SARS-CoV-2-Erregers. Zwei Theorien werden dabei diskutiert:

  • Das Virus ist auf einem Wildtiermarkt in der chinesischen Provinz Wuhan entstanden und von dort auf den Menschen übergesprungen.
  • Das Virus ist in einem Hochsicherheitslabor entstanden und durch einen Unfall in die Umwelt gelangt.

Experten halten Wildtiermarkt für wahrscheinlichsten Ursprungsort

Für beide Theorien gibt es keine abschließend befriedigenden Beweise, doch die Mehrheit der Experten sagt: am plausibelsten ist die Theorie vom Wildtiermarkt.

Die Weltgesundheitsorganisation hat dazu im Jahr 2020 schon eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, die wilde Fledermäuse als wahrscheinlichste Überträger ausgemacht hat. Die Labor-Theorie sei demnach "extrem unwahrscheinlich". Und erst im Sommer 2022 kamen zwei weitere Studien zum Schluss, dass der Wildtiermarkt der wahrscheinlichste Ort ist, an dem das Virus entstanden ist. Unter anderem deshalb, weil die frühesten Covid-19-Fälle bei Händlern oder Menschen auftraten, die auf dem Markt lebende Tiere kauften oder verkauften.

Labor-Theorie hält sich in der Diskussion

Doch weil die chinesische Regierung den Zugang zu wichtigen Daten verwehrt und sich zugleich in der Nähe des Wildtiermarkts ein Hochsicherheitslabor befindet, in dem auch zu Coronaviren geforscht wird, gehen immer wieder Forschende der Frage nach, ob an der Labor-Theorie nicht doch etwas dran sein könnte.

Eine Studie, die nun auf dem Preprint-Server BioRxiv veröffentlicht wurde, sorgt für Diskussionen unter den Expertinnen und Experten. Die Studie wurde bislang noch nicht von Fachkollegen begutachtet, aber wird auf Social Media schon weit verbreitet. Die drei Forschenden, unter ihnen der Immunologe Valentin Bruttel von der Universität Würzburg sagen: Es gebe Hinweise auf einen künstlichen Ursprung des Virus.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!

Das Argument der Autoren: Im Genom des Erregers haben sie ein auffälliges Muster von "Markierungen" im Erbgut gefunden, das natürlicherweise so nicht auftauche. Im Gegenteil, es sei ein Hinweis auf künstliche Viren. Grundsätzlich entstehen diese "Markierungen" auch in der Natur, wenn Gensequenzen aneinander gesetzt werden. Auffällig sei aber zum Beispiel, dass die Markierungen so regelmäßig seien, so die Forscher. Natürlicherweise seien diese unregelmäßig verstreut.

Darüber hinaus vermissen die Forscher andere Stellen im Genom des Virus, die in verwandten Coronaviren vorhanden seien. Der Schluss: Diese "Schnittstellen" im Genom seien künstlich entfernt worden, weil sie bei der künstlichen Herstellung des SARS-CoV-2-Erregers stören würden.

Eine Anfrage von BR24 an Valentin Bruttel blieb bislang (Stand 25.10.2022, 15:30 Uhr) unbeantwortet.

Fachleute sehen die Studie kritisch

Die Universität Würzburg hat mittlerweile zum Preprint eine eigene Stellungnahme veröffentlicht, die BR24 vorliegt. Die Virologen Florian Erhard, Oliver Kurzai und Prof. Lars Dölken sind sich einig: "Anders als von den Autoren behauptet, kann das Schnittstellenmuster auch natürlich entstanden sein – ähnliche Muster finden sich auch bei eng mit SARS-CoV-2 verwandten Coronaviren."

Zwar sei das Preprint "sorgsam ausgearbeitet und erfüllt die grundlegenden wissenschaftlichen Anforderungen insbesondere im Hinblick auf eine einwandfreie und transparente Darstellung der verwendeten Methodik." Doch methodisch hätte die Studie erhebliche Schwachstellen. Darum könnten die wesentlichen Schlussfolgerungen einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten oder würden überinterpretiert.

Die Forscher der Universität Würzburg sind darum der Ansicht: "In der Summe ergibt sich aus den in der Studie vorgelegten Analysen keine sichere Evidenz für die von den Autoren formulierte Schlussfolgerung, dass SARS-CoV-2 synthetischen Ursprungs sei. Die Frage nach dem genauen Ursprung von SARS-CoV-2 bleibt damit weiterhin offen."

Auch auf der Social Media-Plattform Twitter ergreifen seit der Veröffentlichung auf dem Preprint-Server einige Experten das Wort. So zum Beispiel der Göttinger Virologe Friedemann Weber.

Friedemann Weber teilt dem BR schriftlich mit, dass der eventuelle Laborursprung zwar eine valide wissenschaftliche Hypothese sei. "Im Gegensatz zu den Arbeiten über den natürlichen Ursprung habe ich dazu aber noch nichts Überzeugendes gesehen", so der Virologe.

Die Studie ist "wissenschaftlich nicht sehr hochwertig" und "ich selbst habe mich daran gestoßen, dass die Technik der Virusgenerierung aus DNA sehr einseitig und verzerrt dargestellt wurde."

Seiner Ansicht nach ist die plausibelste Erklärung für den Ursprung des SARS-CoV-2-Erregers, dass das Virus "durch ein gezüchtetes oder aus der Wildnis gefangenes Wirtstier auf den Markt in Wuhan gelangte. Das Tier hat es sich wahrscheinlich von einer Fledermaus geholt. Züchtung, Gefangennahme, Transport, die Zurschaustellung und natürlich die Schlachtung auf dem Markt stellen einen enormen Stress dar, der das Immunsystem der Tiere unterdrückt und die Vermehrung von Krankheitserregern fördert." Diese Art von Übersprung als Zoonose sei auch schon bei vielen anderen Erregern so dokumentiert, auch bei SARS-CoV-1 im Jahr 2003.

Der Immunologe Kristian Andersen vom Scripps Research Institut in Kalifornien sagt auf Twitter, die Studie entspräche nicht mal dem Niveau von "Kindergarten Molekularbiologie".

Laut Kristian Andersen sei das Ergebnis der "auffälligen" Markierungen nur weißes Rauschen in den Daten.

Auch der Mikrobiologe Alex Crits-Christoph von der Universität Berkley hält die Studie für schlecht gemacht.

Alex Crits-Christoph sagt: Die "auffälligen" Markierungen in diesen regelmäßigen Abständen fänden sich auch in natürlichen Coronaviren, die in Fledermäusen vorkommen. Darüber hinaus gebe es sogar natürliche Viren, in denen noch mehr solcher "Regelmäßigkeiten" auftreten, was ein Argument dafür sei, dass sie natürlich entstehen könnten.

Die auffälligen Stellen könnten für die Forschung dennoch interessant sein, falls sie tatsächlich künstlich hergestellt worden wären, sagt der assoziierte Professor Justin B. Kinney vom Cold Spring Harbour Laboratory in New York, weil so Labortechniken weiterentwickeln werden könnten.

Fazit

Die Labor-These kann zwar weiterhin nicht ausgeschlossen werden, ist aber laut überwiegender Experten-Meinung unwahrscheinlich. Da die chinesische Regierung sich mit Informationen zum ursprünglichen Ausbruch in Wuhan aber zurückhält, wird sich die Frage nach dem Ursprung des SARS-CoV-2-Erregers wohl nie so beantworten lassen, dass Kritiker beider Seiten überzeugt sind.

Für die Forschung bleibt dieser Zustand unbefriedigend. Je nachdem, wo der Ursprung war - ob auf einem Wildtiermarkt oder in einem Labor - müssten nämlich unterschiedliche Konsequenzen gezogen werden, um zukünftige Pandemien zu verhindern.

Das ist es auch, was Friedemann Weber von der Universität Gießen besonders ärgert: "Für mich persönlich besteht der Skandal darin, dass in China trotz der Erfahrungen mit SARS-CoV-1 anno 2003 die Tiermärkte nicht reguliert wurden. Unter solchen Bedingungen musste das einfach passieren."

Update: Der Artikel wurde am 27.10. durch die Aussagen von Friedemann Weber ergänzt.