Gletscherbaustelle in Sölden
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Errichtung der Pistentrasse am Rettenbachferner

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Sölden: Umstrittener Bergumbau für den Skiweltcup

In Sölden im Ötztal findet heute der Auftakt der Skiweltcup-Saison statt - begleitet von heftiger Kritik, sogar von Ski-Stars. Denn auf knapp 3.000 Metern Höhe wurden mit Sprengstoff und Baggern Felsen für die Weltcup-Piste abgetragen.

Über dieses Thema berichtet: Rucksackradio am .

Die Bilder gingen um die Welt und wurden zum Symbol für den Kampf der Tourismusindustrie mit der Natur: Auf knapp 3.000 Metern Höhe arbeiten Bagger am Rettenbachferner. Felsen werden weggesprengt, ein Helikopter fliegt im Dauereinsatz Baumaterial auf den Berg.

Die Naturschutzorganisation Greenpeace hatte Aufnahmen in diesem Jahr publik gemacht. Selbst Skistars wie die US-Amerikanerin Michaela Shiffrin kritisierten den Start des Weltcupauftakts als zu früh. Auch Felix Neureuther schimpfte über die Bauarbeiten.

Grund: die Gletscherschmelze

Anders als früher bietet der Rettenbachferner längst keine Garantie mehr für den Skisport. Im Gegenteil: Durch den rasanten Gletscherschwund zieht sich das Eis seit Jahren über eine steile Felsschwelle zurück. Der Fels unter dem Eis ist zu schroff zum Skifahren.

Seit 2017 rücken die Bergbahnen dem Berg deshalb in den Sommermonaten mit Sprengstoff und schwerem Gerät zu Leibe: Der Felsbuckel wird abgetragen, das Gelände verflacht und trassiert, denn genau dort verläuft die Weltcuppiste für den werbewirksamen Saisonauftakt. Es ist der Kick-off für die Wintersaison.

An diesem Wochenende schnellen die Buchungszahlen in der Regel in die Höhe. Im Sommer waren Dutzendfach Touristen geschockt, die auf der beliebten Alpenüberquerung, dem E5, vom Pitztal herüberkamen und direkt auf der Baustelle landeten.

Wachstum seit Jahrzehnten

Söldens Bergbahnchef Jack Falkner verteidigt die Maßnahmen auch gegen die ungewohnt heftige Kritik standhaft. Dank der Höhenlage hätte das Söldener Skigebiet vergleichsweise gute Zukunftsaussichten. Die Bauarbeiten, die auch vom Tiroler Landesumweltanwalt kritisiert werden, seien durch die behördlichen Genehmigungen gedeckt.

Jedes Jahr investieren die Bahnen Millionen in die Bearbeitung der Landschaft, in neue, bessere Infrastruktur. Die Bahngesellschafter hätten Gewinne kontinuierlich reinvestiert, erfolgreicher Tourismus brauche die ständige Weiterentwicklung in moderne Anlagen, Komfort und Skipisten. Mehr als 65.000 Menschen können von den 31 Liftanlagen in einer Stunde befördert werden. Sölden und das Ötztal mit seinen 20.000 Bewohnern leben vom Tourismus. 30.000 Gästebetten gibt es im Tal.

Hohe Verkehrsbelastung

Ausgerechnet in diesem Jahr hat ein eigens eingesetzter Nachhaltigkeitsbeauftragter im Ötztal seine Arbeit aufgenommen: Raphael Kuen ist selbst Ötztaler und heimatverbunden. Sein Ziel wäre ein Paradigmenwechsel: Alle Aktivitäten sollten nicht in erster Linie der touristischen Marke dienen, sondern dem Lebensraum und damit den Bewohnern und der Natur. So kämpft das Ötztal mit Flächenverbrauch und Bodenspekulation. Ausländische Investoren kaufen Hotels, die Einheimische nicht übernehmen wollen. Viele junge Menschen wandern ab.

Und wie überall ist die Verkehrsbelastung hoch, zu der die Einheimischen wesentlich beitragen. Im Ötztal gibt es jetzt eine Mobilitätsstrategie, Parkplätze sind nicht mehr kostenlos; eine "Umanand"-App soll Fahrgemeinschaften fördern. Außerdem gibt es Punkte, die man im regionalen Einzelhandel einlösen kann. Nur sieben Prozent der Gäste reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. Falkner, Chef der Bergbahnen Sölden, wundert sich nicht: Den Leuten gehe es in erster Linie um Bequemlichkeit.

Kulturtechnik Nachhaltigkeit

Kuen will die eigenen Stärken wiederentdecken, die im dauernden Tourismuswachstum verschütt gingen. Das Erfolgsrezept alpiner Täler wie dem Ötztal war es, mit den begrenzten Ressourcen klug zu haushalten - Wasser, Wiesen, Holz, landwirtschaftliche Produkte und Flächen so zu bewirtschaften, dass sie auch im nächsten Jahr und für die nächste Generation ausreichten.

In Vent, dem Bergsteigerdorf oberhalb von Sölden, steht Leo Moser für diese Tradition. Er ist Enkel des legendären Bergführers und Hüttenwirts Luis Pirpamer. Er wird selbst Bergführer und will in Vent mit seinen gewachsenen Strukturen für Natur- und Wandertourismus bleiben. Überhaupt gibt es eine junge Generation in Landwirtschaft, Gastronomie und Hotellerie, die ihren Betrieb und die Nachhaltigkeit zusammen denken will. Vielleicht geschieht der Wandel ja von unten her, durch eine junge Generation, die mehr will als wirtschaftlichen Erfolg.

Der junge Tourismusobmann des Ötztals hat bereits durchblicken lassen, dass intern längst über den frühen Weltcupstart diskutiert werde. Er geht davon aus, dass es in den nächsten Jahren einen anderen, späteren Termin geben werde.

Im Audio: Klimaschutz im Ötztal

Tourismusinfrastruktur im Tal. Große Wellnesslandschaft. Kann ein Tourismus-Hotspot nachhaltig werden
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Klimaschutzauftrag im Ötztal

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