Der Kurs der SPD, so viel steht nach diesem Parteitag fest, er geht nach links.
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Berlin: Delegierte stimmen beim ordentlichen Bundesparteitag der SPD auf dem Berliner Messegelände über einen Antrag ab.

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Sehnsucht nach Links – Die SPD und ihr Parteitag

Drei Tage haben die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag in Berlin darum gerungen, die Partei für die Zukunft fit zu machen. Zum ersten Mal seit 2019 traf man sich wieder in Präsenz. Überlagert wurde der Parteitag von den ungelösten Haushaltsfragen.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

"Kurs halten" steht auf einem Plakat mit einem Kanzler mit Augenklappe, Unterzeile: "Unser Kanzler für die Zeitenwende". Das Plakat empfängt die Delegierten am Eingang des Parteitags, wer fünf Euro übrighat, kann es kaufen. Der Kurs der SPD, so viel steht nach diesem Parteitag fest, er geht nach links.

Vor allem die Jusos, die SPD-Jugendorganisation, prägten die drei Tage, sie griffen zum Teil direkt den Bundeskanzler an, die Asylpolitik der Ampelregierung, forderten die Abschaffung der Schuldenbremse. Sie war deutlich zu vernehmen, die Sehnsucht nach Links, nach einem stärkeren Profil, auf diesem Parteitag. Aber wer gedacht hatte, es gäbe eine krawallige Abrechnung der Delegierten mit der SPD-Parteispitze und dem Kanzler aufgrund der Performance in der Ampel-Koalition und der aktuellen Umfragewerte von 14 Prozent, der sah sich getäuscht. "Eine große Geschlossenheit" erkannte der bayerische Delegierte Michael Schrodi, ein Signal nach außen, dass die SPD auch die nächsten zwei Jahre hinter dem Kanzler stellt.

Fulminante Ergebnisse für die Parteispitze

Die Sehnsucht nach Links spiegelt sich auch in der Wiederwahl der Parteispitze wider. Beide Vorsitzenden erzielten satte Mehrheiten, die Parteilinke Saskia Esken mit 82,6 Prozent noch einmal fast sechs Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil, der eher dem pragmatischeren Flügel zugerechnet wird, kam zwar auf knapp 86 Prozent, erhielt aber etwas weniger als 2021.

Mit besonderer Spannung war das Ergebnis des ehemaligen Juso-Vorsitzenden und jetzigen Generalsekretärs Kevin Kühnert erwartet worden. Kühnert war in den vergangenen zwei Jahren vom linken Heißsporn zum moderierenden Funktionär mutiert und hauptsächlich damit beschäftigt, zusammen mit der Parteispitze und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich dem Bundeskanzler den Rücken frei- und die SPD ruhig zu halten. Etliche hatten erwartet, dass Kühnert dafür ein eher mittelmäßiges Ergebnis bekommen würde. Über 92 Prozent Zustimmung überraschten dann selbst die größten Kühnert-Fans. Honoriert wurde sein Einsatz, vor allem hinter den Kulissen zwischen den unterschiedlichen Flügeln und Positionen der SPD zu moderieren und Kompromisse zu finden.

Schuldenbremse, Haushaltsfragen und ein sozialer Olaf Scholz

Überhaupt gab es etliche Überraschungen. In der Debatte um die Abschaffung der Schuldenbremse hatten die linken Jusos zunächst einen Kompromiss vorgelegt: "Grundsätzlich lehnen wir abstrakte Begrenzungen für die Kreditaufnahme in den Verfassungen des Bundes und der Länder ab." Zur großen Freude von Juso-Chef Philipp Türmer stimmte der Parteitag dann geschlossen für eine noch schärfere Fassung: "Starre Begrenzungen der Kreditaufnahme von Bund und Ländern, wie wir sie derzeit in den Verfassungen vorfinden, lehnen wir ab." Ein Sieg für die Parteilinke, die dann noch einen weiteren Punkt verbuchen konnten: Die Delegierten beschlossen ebenfalls, der Bundesregierung mit auf den Weg zu geben, für den Bundeshaushalt 2024 die Schuldenbremse ein weiteres Mal auszusetzen. Um Planungssicherheit für Unternehmen und die deutsche Wirtschaft zu gewährleisten und Investitionen in den klimaneutralen Umbau nicht zu gefährden.

Der Kanzler reagierte auf seine Weise auf die diversen Ausführungen zur Schuldenbremse: Er erwähnte sie in seiner Rede mit keinem Wort. Dafür versprach er, mit ihm als Kanzler werde es "keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland" geben. Konkreter wurde er nicht. Es reichte aber, um die Sehnsucht nach einer klaren sozialen Ansage, die viele in der SPD von ihrem Kanzler hören wollten, zu stillen. Scholz wurde für seine Rede gefeiert und von Saskia Esken mit den Worten geadelt: "Man hat gespürt, dass Du hier zu Hause bist." Wobei Scholz sich und seinem Kurs treu geblieben ist.

Eine menschliche Asylpolitik ohne die Innenministerin

Eine lebhafte Debatte entspann sich um die Migrationspolitik. Wie weit würde die SPD hier nach links rücken? Wo doch der Kanzler per Interview verkündet hatte: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben." Auch hier gab es am Ende einen Kompromiss: Ein menschlicher Umgang mit Geflüchteten, Abschiebungen dann, wenn kein Bleiberecht besteht und die Unterstützung der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer, das sind nun die Positionen der SPD.

Auch hier hatten die Jusos zunächst deutlich schärfere, linkere Anträge formuliert: Sie wollten die Grenzschutzagentur Frontex abschaffen und einen Abschiebestopp in den Irak. Vor allem der Irak-Antrag scheiterte nur knapp. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die wegen ihrer Positionen von den Jusos heftig attackiert wird, hatte es im Übrigen gar nicht erst zum Parteitag geschafft – sie wurde von einem G7-Innenministertreffen in Japan daran gehindert. Der Kanzler verzichtete in seiner Rede darauf, beim Konfliktthema abgelehnter Asylbewerber seine Interview-Aussage von Abschiebungen in großem Stil zu wiederholen. Es hätte die frisch austarierte Balance zwischen Kanzler und Partei empfindlich gestört. Das Motto, das Scholz ausgab, lautete schließlich "Wir müssen zusammenhalten und einen klaren Kurs haben."

Lichtblick für die bayerische SPD

Die Bayern-SPD ging trotz des miserablen Landtagsergebnisses von 8,4 Prozent gestärkt aus diesem Parteitag hervor. Drei Delegierte, die Landesvorsitzenden Ronja Endres und Florian von Brunn sowie der Bundestagsabgeordnete Sebastian Roloff, wurden in den SPD-Parteivorstand gewählt und wollen die bayerischen Interessen dort künftig stärker vertreten. Ronja Endres sagte BR24, im Parteivorstand würden "bayerische Interessen wie eine starke Industrie oder bezahlbares Wohnen adressiert. Die Bundesregierung ist SPD-geführt, damit ist das ein großer Einfluss auf ganz konkrete Politik."

SPD-Chefin Esken auf dem Parteitag
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SPD-Chefin Esken auf dem Parteitag

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