Russischer Soldat vor dem Eingang zur Atomanlage bei Saporischschja
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Russischer Soldat vor dem Eingang zur Atomanlage bei Saporischschja

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IAEA stuft Lage am ukrainischen AKW Saporischschja als ernst ein

Bei seiner Inspektion des russisch besetzten Atomkraftwerks Saporischschja hat der Chef der Atomenergiebehörde IAEA den Ernst der Lage betont und Maßnahmen zur Stabilisierung angekündigt. Sorgen bereiten den Experten derzeit vor allem drei Faktoren.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Bei seinem Besuch des russisch besetzten Atomkraftwerks Saporischschja im Süden der Ukraine hat der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, die dortige Lage als "ernst" eingestuft. Grossi war nach seinem gestrigen Besuch in Kiew am Morgen an der Anlage eingetroffen.

Aktueller Anlass des Besuchs ist die teilweise Zerstörung des Staudamms Kachowka, die der IAEA zufolge die "ohnehin prekäre" Sicherheitslage noch verschärft. Grossi kündigte an, es würden "Maßnahmen zur Stabilisierung" ergriffen. Details nannte er nicht.

Der Sicherheitsplan der IAEA

Rafael Grossi hatte das Akw bereits Ende März besucht und im Anschluss vor einer "Katastrophe" gewarnt. Ende Mai stellte er vor dem UN-Sicherheitsrat einen Plan zum Schutz des Kernkraftwerks vor. Dieser sieht unter anderem vor, "dass es keinen Angriff von der oder auf die Anlage geben soll" und Saporischschja nicht als Lager oder Basis für schwere Waffen genutzt werden dürfe.

Trotz Bemühungen der Vereinten Nationen kam eine entmilitarisierte Zone rund um das Gelände bisher nicht zustande. Die IAEA verfügt aber über ein Expertenteam vor Ort.

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Mario Grossi bei der Ankunft in Saporischschja

Saporischschja: Einst das stärkste Atomkraftwerk Europas

Im Ukraine-Krieg rückt das seit März 2022 von Russland kontrollierte Atomkraftwerk Saporischschja immer wieder in den Fokus. Um was für eine Anlage handelt es sich dabei eigentlich, welche Rolle spielt sie im Ukraine-Krieg und was besorgt die Inspekteure der UN?

Das AKW Saporischschja (auch: Enhodar) ist von seiner Anlage her das leistungsstärkste Kernkraftwerk Europas. Es liegt am Fluss Dnipro am Rand der Kleinstadt Enhodar, knapp 60 Kilometer von der Großstadt Saporischschja entfernt im Süden der Ukraine. Bei den insgesamt sechs Reaktoren handelt es sich um Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart vom Typ WWER-1000, die als vergleichsweise sicher gelten und eine Gesamtleistung von rund 6.000 Megawatt haben.

Vor dem russischen Angriffskrieg erzeugte das Atomkraftwerk Saporischschja etwa ein Fünftel des ukrainischen Stroms und ersetzte damit weitgehend das 1986 havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl, dessen Ruine zeitweise ebenfalls von Russland okkupiert war. Die Ukraine verfügt über beträchtliche Uranreserven und war laut IAEA vor dem Krieg der siebtgrößte Produzent von Kernenergie weltweit.

Gefahrenquelle 1: Atomare Großanlage in der Kampfzone

Russische Streitkräfte besetzten das Atomkraftwerk Saporischschja am 4. März 2022, also schon kurz nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine Ende Februar. Am Standort des Akw am Dnipro verläuft seither eine Frontlinie zwischen ukrainischen und russischen Truppen.

Seither geriet das Akw mehrfach unter Beschuss, dabei wurden Teile der Anlage beschädigt. Moskau und Kiew machen sich gegenseitig für Angriffe auf das Kernkraftwerk verantwortlich. Im November kam es auf dem Gelände zu zwölf größeren Explosionen - "was völlig inakzeptabel ist", so IAEA-Mann Grossi. Die ukrainischen Betreibergesellschaft erhob gegen die Besatzer den Vorwurf, Akw-Mitarbeiter verschleppt und gefoltert zu haben.

Immer wieder mussten Reaktoren wegen der Angriffe abgeschaltet werden. Seit September produziert keiner der sechs Reaktoren mehr Strom. Stattdessen benötigt es nun selbst Strom aus externen Quellen, damit die Kühl- und Sicherheitseinrichtungen zuverlässig arbeiten.

Gefahrenquelle 2: Ex-Stromerzeuger mit unsicherer Stromversorgung

Die Anlage ist weiterhin an das ukrainische Energienetz angeschlossen, wurde jedoch nach offiziellen Angaben seit Kriegsbeginn bereits sieben Mal zeitweise von der externen Stromversorgung abgeschnitten.

Energoatom warnte Ende Mai, dass die Notgeneratoren des Kernkraftwerks lediglich für eine Stromversorgung von rund zehn Tagen ausreichten - etwa für die Kühlung der Brennstäbe. Danach drohe "ein Unfall mit radioaktiven Konsequenzen für den gesamten Planeten". Die IAEA hatte damals an die Kriegsparteien appelliert, es müssten "alle Anstrengungen unternommen werden, damit Strom von außerhalb jederzeit verfügbar und sicher ist".

Gefahrenquelle 3: die Kühlwasserversorgung

Auch wenn die Anlage abgeschaltet ist, benötigt sie Kühlwasser: Der Brennstoff in den Reaktorkernen und in den Lagerbecken muss weiterhin ständig gekühlt werden, um eine Kernschmelze und die Freisetzung von Radioaktivität in die Umwelt zu verhindern. Seit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms wird über die Folgen für die Sicherheit des Atomkraftwerks Saporischschja diskutiert, das mit Wasser aus dem Stausee Kachowka versorgt wird. Auch hier streitet Russland seine Täterschaft ab.

Im Video: Die Lage am zerstörten Kachowka-Staudamm

Der leere Kachowka-Stausee auf dessen Grund tote Fische liegen (Aufnahme vom 07.06.23)
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Der leere Kachowka-Stausee auf dessen Grund tote Fische liegen (Aufnahme vom 07.06.23)

Die IAEA nannte die Lage wenige Tage nach dem Staudamm-Bruch "sehr unsicher und potenziell gefährlich", auch wenn das Akw im Moment "weiterhin Kühlwasser aus dem Kachowka-Stausee" pumpen könne. Doch gab es Ungereimtheiten beim sinkenden Wasserpegel im Stausee, die IAEA-Experten vor Ort wollten daher selbst Messungen vornehmen. "Es gibt ein ernsthaftes Risiko, weil das Wasser dort begrenzt ist," hatte Grossi am Dienstag in Kiew gesagt.

Mit Material von AFP und dpa

Karte: Militärische Lage

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