Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sitzt vor Beginn des Untersuchungsausschuss Stammstrecke im Konferenzsaal des Bayerischen Landtags
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sitzt vor Beginn des Untersuchungsausschusses" Stammstrecke im Konferenzsaal des Landtags

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"Sehe keinen Skandal" - Söder verteidigt Umgang mit Stammstrecke

Im Stammstrecken-Ausschuss kritisiert Ministerpräsident Söder die Bahn und verteidigt das Vorgehen der Staatsregierung. Vorwürfe, Informationen aus Wahlkampfgründen zurückgehalten zu haben, nennt er "Quatsch". Die Opposition überzeugt er nicht.

Markus Söder (CSU) kann die ganze Aufregung der vergangenen Monate offenbar nicht verstehen. Ja, die zweite Münchner Stammstrecke werde teuer und der Bau dauere länger, sagt der bayerische Ministerpräsident im Untersuchungsausschuss des Landtags. "Ist das jetzt wirklich so total überraschend? Hat jemand geglaubt, dass so ein Bauprojekt billiger und schneller werden könnte?" Die Staatsregierung halte am Weiterbau fest - mit einer engmaschigen Begleitung durch den bayerischen Landtag. "Ich sehe in dem Ganzen keinen Skandal, aber ich sehe eine gewaltige Herausforderung."

Vorwürfe, die Staatskanzlei habe Informationen über die Kostenexplosion Ende 2020 zurückgehalten, um eine mögliche Kanzlerkandidatur Söders bei der Bundestagswahl 2021 nicht zu gefährden, weist der Ministerpräsident als "Quatsch" zurück: "Zum damaligen Zeitpunkt habe ich mir nicht mal vorstellen können, dass ich gefragt werde, ob ich Kanzlerkandidat werden könnte."

Einen Vermerk aus der Staatskanzlei, die Stammstrecke sei im Wahlkampf "kein Gewinnerthema", könne er nicht bewerten, da er ihn nicht kenne. "Soweit ich das richtig sehe, geht's um den Vermerk eines sehr engagierten Mitarbeiters." Die Einschätzung eines Mitarbeiters müsse nicht automatisch die Sicht der gesamten Staatskanzlei sein.

Söder: "Bahn hat nicht geliefert"

Ähnlich wie zuvor schon andere Zeugen stellt Söder im Ausschuss zur zweiten Stammstrecke klar: "Der Freistaat plant nicht, der Freistaat baut nicht, der Freistaat zahlt nur." Für Planung und Bau sei die Bahn zuständig. Er teile die Einschätzung, dass dieses System kritikwürdig sei. "Aber es ist nicht möglich, das jetzt im Verfahren zu ändern."

Basis für alle Entscheidungen seien verlässliche Fakten und Daten. "Ohne die Zahlen der Bahn gibt es keine Basis der Entscheidung." Und eben solche verlässliche Zahlen sei das Unternehmen lange schuldig geblieben. "Die Bahn hat nicht geliefert."

"Es gab Sorge, aber Zahlen gab es nicht"

Tatsächlich hatte das bayerische Kabinett seit September 2020 Kenntnis von sich abzeichnenden Kostensteigerungen von 3,8 auf 5,2 Milliarden Euro und einer deutlich späteren Inbetriebnahme - 2033/34 statt 2028. Die Zahlen, die Experten damals in einem internen Fachgespräch genannt hatten, wurden kurz danach aber von der Bahn selbst lediglich als "Diskussionsgrundlage" bezeichnet. Zuletzt bezifferte die Bahn die Kosten mit 7,2 Milliarden Euro, die Fertigstellung ist für 2037 vorgesehen.

Söder verweist darauf, dass die Bahn noch bei der Umplanung des Projekts 2019 versichert habe, der Zeit- und Kostenrahmen werde eingehalten. "Wir haben uns darauf verlassen müssen." Die Staatsregierung sei aber nicht naiv gewesen und habe daher eine Baubegleitung eingerichtet. Er räumt ein, 2020 habe es dann Indizien gegeben, dass es teurer werden könnte. "Sorge war da, aber die Zahlen gab es nicht."

"Bahn ist nicht kontrollierbar"

Die Kernfrage sei, ob öffentlicher Druck auf die Bahn etwas an der Lage geändert hätte. "Spekulation macht es nicht billiger, macht es nicht schneller", sagt der Ministerpräsident. Seine Lebenserfahrung mit der Bahn sei, dass das Schimpfen zwar "emotional verständlich" sei, sich das Unternehmen davon aber nicht beeindrucken lasse. "Die Bahn ist schlechte Presse gewohnt, hat noch nie eine gute gehabt." Kooperation sei erfolgreicher als Konfrontation.

Das Vorgehen des früheren Bundesverkehrsministers Andreas Scheuer (CSU) in Sachen Stammstrecke will Söder nicht bewerten. Er kenne die "Strukturen zwischen Bund und Bahn bestenfalls aus der Entfernung", sagt der Ministerpräsident. "Mein Eindruck ist, dass die Bahn nicht kontrollierbar ist."

Söder verteidigt Großprojekt

Zugleich bekräftigt Söder sein Bekenntnis zu dem Großprojekt. Es handle sich um ein Jahrhundertbauwerk und werde für Generationen wichtig sein. Die Hauptschlagader des öffentlichen Nahverkehrs sei für den gesamten Großraum München von existenzieller Bedeutung. Es handle sich keineswegs nur um ein Münchner, sondern um ein bayerisches Projekt - und um eine Weichenstellung für die Zukunft. Wegducken komme nicht in Frage: "Mutlosigkeit der Gegenwart ist eine schwere Sünde für die Zukunft", betonte Söder.

Nötig sei der Bau, weil das Münchner Verkehrsnetz jetzt schon überlastet sei. "Pendler brauchen die zweite Stammstrecke", betont Söder. "Die Umwelt braucht die zweite Stammstrecke." Denn sonst drohe eine Zunahme des Autoverkehrs. Daher sei ihm völlig unverständlich, wie der Bund Naturschutz einen vollständigen Baustopp fordern könne. Alles zuzuschütten, wäre laut Söder mit Milliardenkosten verbunden, "ohne eine Lösung zu haben". Er fügt hinzu: "Die zweite Stammstrecke ist ein Muss."

Freie Wähler glauben Söder

Nach Meinung des Ausschussvorsitzenden Bernhard Pohl von den Freien Wählern ist es Söder "tatsächlich zu glauben", dass er Informationen nicht aus wahlkampftaktischen Gründen zurückgehalten habe. Die Bahn habe vorliegende Zahlen als nicht belastbar bezeichnet. "Wenn die bayerische Staatregierung oder die Bauministerin hier an die Öffentlichkeit gegangen wären, dann hätte es nur ein öffentliches Gemetzel zwischen Freistaat und Bahn gegeben", mutmaßt Pohl. Dies hätte "der Sache nicht gedient".

SPD: Bürger für dumm verkauft

Die SPD-Abgeordnete Inge Aures zeigt sich dagegen von Söders Ausführungen nicht überzeugt. "Das lasse ich nicht gelten", sagt sie BR24. Sie habe aber nichts anderes von Söder erwartet, als "dass er sich dreht und wendet - und so tut, als wüste er nichts." Die Aktenlage sei eine andere - es sei nachgewiesen, dass es schon frühzeitig Zahlen gegeben habe, betont Aures. "Zwei Jahre haben sie das vertuscht, unter dem Tisch gehalten und die Bürger für dumm verkauft."

Grüne: Informationen lagen vor

Ähnlich äußert sich der Grünen-Politiker Martin Runge. Söders Argumentation, es habe keine belastbaren Zahlen gegeben, sei "wenig glaubhaft". Es habe immer wieder Informationen von Baubegleitung und Bahn gegeben, "dass die Kosten sich deutlich in die Höhe steigern und dass der Zeitplan auch nicht ansatzweise gehalten werden kann". Diese Zahlen seien nur noch nicht vom Aufsichtsrat der Bahn abgesegnet gewesen. Zumindest der Landtag "als derjenige, der für die Gelder zuständig ist", hätte Runge zufolge immer wieder mal informiert werden müssen.

Die Staatskanzlei habe aber im Dezember 2020 die Maßgabe herausgegeben, "die Füße stillzuhalten". Dies habe bis März 2022 gegolten. Dass der Ministerpräsident davon nach eigenen Bekunden nichts gewusst habe, sei "sehr erstaunlich".

FDP: Söder trägt die Verantwortung

Für Sebastian Körber von der FDP sind die zeitlichen Zusammenhänge eindeutig: "Markus Söder wollte Bundeskanzler werden." Deswegen habe er die "Alarmmeldungen" seiner damaligen Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) übergangen. "Jetzt wird es halt noch teurer für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler", beklagt der FDP-Abgeordnete. "Und die Pendlerinnen und Pendler in München werden noch häufiger im Stau stehen. Und die Verantwortung dafür hat Markus Söder."

Die Zweite S-Bahn- Stammstrecke in München entwickelt sich zum Kosten-Desaster.
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Heute trat Markus Söder als bisher prominentester Zeuge im Stammstrecken-Untersuchungsausschuss aus.

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