Präsident Joe Biden spricht vor den Republikanern, während Vizepräsidentin Kamala Harris und Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses, während der Rede zur Lage der Nation vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses im US-Kapitol zusehen.
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US-Präsident Joe Biden

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Rede an die Nation: US-Präsident Biden schaltet auf Attacke

Im November will US-Präsident Biden wiedergewählt werden. Doch Zweifel wegen seines Alters dominieren die politische Debatte in den USA. Bei seiner Rede an die Nation stand deswegen viel auf dem Spiel – und Biden gab sich kämpferisch. Eine Analyse.

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Die Ausgangslage für Joe Biden war denkbar schlecht: Er hat die historisch niedrigsten Zustimmungswerte eines US-Präsidenten, der sich zur Wiederwahl stellt. Die Diskussionen rund um die Frage, ob er zu alt sei, ob er nicht fit genug für das Amt sei, reißen nicht ab – auch im eigenen politischen Lager.

Schlechte Ausgangslage für Biden

Der Bericht des Sonderermittlers in Bidens Dokumentenaffäre (er hatte Geheimpapiere aus seiner Zeit als Vize-Präsident in seinem Privatanwesen) verschärfte die Debatte. Darin hieß es, der 81-Jährige sei ein "älterer Mann, mit guten Absichten und einem schlechten Gedächtnis", der sich nicht erinnern könne, in welchem Jahr sein Sohn gestorben sei.

"Ich sehe zwar nicht so aus, aber ich bin schon eine Weile dabei"

Für Biden war der Auftritt im Kongress damit eine der wichtigsten Reden seiner politischen Karriere: Es ging darum, Zweifel zu zerstreuen, er sei zu alt für die Aufgabe. Und in der Tat: Er hielt eine feurige, eine laute State of the Union. War Biden in den vergangenen Wochen nicht selten mit brüchiger Stimme zu hören, war die Energie bei seiner Rede zur Lage der Nation unübersehbar.

Die Altersdiskussion sprach er an – und tat es mit Humor. "Ich sehe zwar nicht so aus, aber ich bin schon eine Weile dabei", so Biden. Wenn man in ein gewisses Alter komme, sehe man bestimmte Dinge klarer als je zu vor. "Die Herausforderung, die vor unserer Nation liegt, ist nicht, wie alt wir sind, sondern wie alt unsere Ideen sind".

Biden attackiert Trump – ohne ihn beim Namen zu nennen

Seit Dienstag, dem Super Tuesday, an dem in 15 Staaten die innerparteilichen Vorwahlen stattfanden, sind auch die letzten Zweifel zerstreut, dass es zu einem erneuten Duell zwischen Biden und dem Ex-Präsidenten Donald Trump kommt. Das dürfte der Grund gewesen sein, dass Biden in seiner Rede auf Attacke schaltete - was ungewöhnlich für die State of the Union ist. Es war mehr Wahlkampfauftritt als Rede an die Nation.

Er nannte Trump nicht beim Namen, sondern sprach von "meinem Vorgänger" – und erwähnte ihn so ganze 13-mal. Er redete über ihn am Anfang seiner Rede und genauso am Ende. Während er die Ukraine und die freie Welt verteidigen wolle, sage Trump zum russischen Präsidenten Putin: "Mach was immer du willst." Während er den Angriff auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 als die größte Gefahr für die Demokratie seit dem Bürgerkrieg sehe, wollten Trump und seine Verbündeten die Wahrheit über den Umsturzversuch begraben.

Video: Auszug aus Bidens Rede

USA, Washington: Joe Biden, Präsident der USA, hält die Rede zur Lage der Nation vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses im Kapitol.
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USA, Washington: Joe Biden, Präsident der USA, hält die Rede zur Lage der Nation vor einer gemeinsamen Sitzung des Kongresses im Kapitol.

Trump habe bei wichtigster Pflicht versagt

So ging es weiter: Bei den Themen Frauenrechten, Stärkung heimischer Industrie, Gesundheitsversorgung, Corona und Migrationspolitik versuchte Biden einen starken Kontrast zwischen ihm und Trump herzustellen. Beinahe zusammenfassend sagte Biden: "Mein Vorgänger als Präsident hat bei der wichtigsten Pflicht versagt: Jeder Präsident schuldet dem amerikanischen Volk die Pflicht, sich zu kümmern."

Die restlichen Teile der Rede erfolgten nach bewährtem Prinzip: Biden hob den guten Zustand der Wirtschaft hervor, erklärte, welche Gesetze er noch in dieser Amtszeit verabschiedet sehen will und welche Pläne er für eine zweite Amtszeit hat. Für manche Themen – beispielsweise Abtreibungsgesetzgebung oder Gewerkschaftsarbeit - sitzen exemplarisch Bürgerinnen und Bürger im Publikum, die der Präsident erwähnt und vorstellt – auch das hat inzwischen Tradition.

Mehrfach sprach er das Thema Frauenrechte an und verwies auf die Entscheidung des höchsten Gerichts aus dem Jahr 2022, das allgemeine Recht auf Abtreibung außer Kraft zu setzen. Er wolle ein Gesetz, das die alte Rechtslage wieder herstellt. Das Thema befeuert die Basis der Demokraten und soll im November viele dazu bringen, ihr Kreuz bei Biden zu machen.

Kommt der Aufschwung bei den US-Amerikanern an?

Beim Gaza-Krieg forderte er erneut einen Waffenstillstand. Er verteidigte Israels Recht, sich zu verteidigen, doch nannte er die Lage angesichts von mehr als 30.000 toten Palästinensern und der Situation der Menschen in Gaza "herzzerreißend". Wegen seiner vermeintlich zu nachsichtigen Haltung gegenüber Israel ist er zuletzt sehr unter Druck des linken Flügels seiner Partei geraten.

Lange sprach er über die wirtschaftliche Lage, die geringe Arbeitslosigkeit, die Rekorde des Aktienmarktes, die gesunkene Inflation. Doch viele Amerikaner spüren diesen Aufschwung noch nicht – auch weil die Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren enorm gestiegen sind. Oder sie spüren ihn, glauben aber nicht, dass Biden und seine Politik dafür verantwortlich sind. Seine Zustimmungswerte sind ähnlich schlecht wie vor zwei Jahren, als die wirtschaftliche Lage noch eine weitaus schlechtere war.

Das wird eine große Herausforderung für Biden bis zur Wahl im November sein: Dass der Aufschwung möglichst bei vielen ankommt und dass er persönlich die Lorbeeren dafür erntet.

Patzer im Duell mit Republikanerin Greene

Viele Unterstützer werden nach dieser Rede erleichtert sein: Biden wirkte nicht wie der leicht zerstreute Kandidat der letzten Wochen. Für seine Verhältnisse verhaspelte er sich selten. Doch Reden vom Bildschirm ablesen ist etwas anderes, als frei zu sprechen.

So leistete sich Biden auch einen Patzer, als er vom Skript abwich. Auf dem Weg zum Podium gab ihm die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene - bekannt für wirre Verschwörungserzählungen - einen Pin, der an Laken Riley erinnert. Die Krankenschwester wurde in Georgia mutmaßlich von einem illegalen Einwanderer getötet. Biden nahm den Pin und sprach den Fall in seiner Rede an. Doch er nannte den Vornamen der Frau falsch – "Lincoln" statt "Laken" - und den Täter einen "Illegalen", ein bei Demokraten umstrittener Begriff, bevor er den Eltern des Opfers sein Beileid aussprach.

Noch im vergangenen Jahr lieferte er sich bei der Rede an die Nation noch ein Wortgefecht mit Republikanern beim Thema Sozialpolitik und wurde für seine Spontanität gelobt. Auch dieses Mal ging er beim Thema Steuern ins direkte Duell. Doch die Sache mit dem Pin ging nach hinten los.

Biden muss Niveau halten

Für die meisten wird dennoch das Bild eines energiegeladenen Biden überwiegen, der mit lauter Stimme seinem Kontrahenten Trump den Kampf ansagte. Der sich nicht auf das Argument versteifte, dass nur er die Demokratie vor Trump retten könne, sondern der klare Ziele hat - und bei Themen wie Frauenrechten und sozialer Gerechtigkeit noch viel vor.

Ziel muss es für Biden sein, diesen Eindruck nicht mit weiteren fahrigen Auftritten wieder einzureißen. Denn dann könnte die Altersdebatte schnell wieder in den Mittelpunkt rücken.

Zum Audio: Biden hat eine Wahlkampf-Rede gehalten

US-Präsident Joe Biden zur Lage der Nation
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US-Präsident Joe Biden zur Lage der Nation

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