Angespannte Personalsituation in Kitas
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Der Verband "Kita-Fachkräfte Bayern" hat im Landtag eine Petition überreicht - unter anderem fordert er einen besseren Betreuungsschlüssel

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Die Not der Kitas und die Suche nach einem Ausweg

Kita-Fachkräfte schlagen Alarm: zu wenig Personal, zu viel Druck. Eine Petition spricht sogar vom "Kita-Kollaps". Bayerns Sozialministerin Scharf hält das Personalproblem in den kommenden Jahren für lösbar. So lange wollen nicht alle warten.

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Sowohl den Eltern als auch dem Kita-Personal ist wichtig, dass Kinder in den Kitas, wo viele bis zum späten Nachmittag bleiben, liebevoll betreut und gefördert werden. Aber gerade das ist viel zu oft nicht der Fall. Denn: Es gibt zu wenig Personal.

Pädagogin: "Das kann ich nicht verantworten"

Die Pädagogin Carina Neumann hat zehn Jahre lang in verschiedenen Kitas gearbeitet, auch als Leiterin. Personalnot war an der Tagesordnung, wie sie berichtet. "Ich kann mich an einen Satz erinnern von einer wirklich gestandenen Erzieherin, die zu mir gekommen ist und gesagt hat: 'Carina, ich möchte nicht die verrückte Erzieherin sein, die Kinder schlägt. Aber heute war ich kurz davor. Ich muss mich jetzt mal zwei, drei Tage krankmelden. Ich kann nicht mehr.' Und dieser Satz, der hat sich bei mir so eingebrannt." Was ihr als Leitung in einem solchen Fall übrig bleibe, fragt Carina Neumann. Sie könne es nicht verantworten, in so einem Fall "komm' morgen wieder in die Gruppe" zu sagen.

Stattdessen suchte Carina Neumann in solchen Situationen das Gespräch mit ihren Vorgesetzten, den Trägern der Kitas. Doch ohne den gewünschten Erfolg. "Für mich war es halt wichtig, die Kinder zu schützen und auch die Mitarbeitenden zu schützen. Und ja, dadurch habe ich auch zweimal tatsächlich eine Kündigung erhalten, weil ich auch Träger beim Jugendamt und beim Gesundheitsamt gemeldet habe."

Petition im Münchner Landtag übergeben

Inzwischen ist Carina Neumann in der Weiterbildung tätig, auf Social Media setzt sie sich für eine Verbesserung der Situation in den Kitas ein. Unter anderem unterzeichnete sie die Petition 'Stoppt den Kita-Kollaps #rettetdiekitas!' des Verbands der Kita-Fachkräfte in Bayern. Ein besserer Betreuungsschlüssel, also weniger Kinder pro Fachkraft, ist eine der Forderungen, die er im Bayerischen Landtag dem Sozialausschuss überreichte.

Die Vorsitzende des Sozialausschusses im Bayerischen Landtag, Doris Rauscher (SPD), kennt die Probleme in den Kitas seit Jahren. Aus ihrer Sicht spitzt sich die Situation immer mehr zu: "Wir stehen tatsächlich vorm Kita-Kollaps. Es ist eine harte Begrifflichkeit, aber ich finde von den Petentinnen ist es ganz gut gewählt worden. Wir wissen ja, die Finanzierung passt hinten und vorn nicht mehr."

Eltern müssen Engpässe abfedern

Auch Elternverbände unterstützen die Petition. Sie fordern mehr Verlässlichkeit. Immer wieder müssen sie spontan Kita-Schließungen auffangen. "Es ist schlecht für die Kinder, diese On-Off-Betreuungssituation im Kindergarten", sagt Stefan Heier vom Bayerischen Elternverband. "Für die Eltern ist es schlimm, im Beruf. Ich muss dann in der Früh meinen Arbeitgeber anrufen: 'Ja, ich kann doch nicht kommen, weil die Kita zu ist.' Das sind Sachen, die funktionieren halt einfach nicht. Und da muss sich was tun."

Für die zuständige Ministerin Ulrike Scharf (CSU) dagegen ist das Personalproblem durchaus lösbar in den kommenden Jahren. "Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben, die im letzten Herbst auch bekannt gegeben worden ist, dass wir, wenn der Zuwachs an Personal so weiterwächst, wie wir es in den letzten Jahren erfahren haben, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden, nämlich wirklich diesen Personal- und Fachkräftebedarf decken werden können", so Scharf.

Ganz anders sieht das die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie beobachtet sogar eine zunehmende Berufsflucht, also Kita-Personal, das die Branche verlässt. Das beginne auch schon in der Ausbildung, betont Hilger Uhlenbrock von der GEW: "Weil die Kollegen da mitkriegen, wie der Personalstand ist und dass sie das, weshalb sie eigentlich in den Beruf gehen, gar nicht ausüben können und ganz viele letztendlich also ganz platt sagen: 'Da setze ich mich doch lieber an die Kasse, bevor ich mich diesem Stress hingebe.'"

Anspruch: Frühkindliche Bildung statt 'Verwahrung'

Die Erzieherin Bianka Dangl leitet eine große Kita im Münchner Norden. Der Anspruch: Die Kinder sollen frühkindliche Bildung bekommen, nicht einfach nur 'betreut' oder gar 'verwahrt' werden. Dafür ist das pädagogische Fachpersonal ausgebildet. Aber die Arbeitsbedingungen sind oft schwierig, wie Dangl erläutert.

"Da gibt es so viele Bereiche, die wir abdecken wollen. Und das ist halt wirklich frustrierend, wenn wir aufgrund des Personalmangels oder auch Personalausfällen über Krankheitswellen hinweg, wir dem gar nicht nachkommen können und die Kinder nicht so begleiten können und fördern können, wie es unser eigener Anspruch ja auch ist."

Fast 20.000 unbesetzte Stellen in bayerischen Kitas

Ein Problem, das fast alle Kitas in ganz Bayern haben. Fast 20.000 unbesetzte Stellen für Fach- und Ergänzungskräfte in der Kinderbetreuung gibt es aktuell. "Wir haben natürlich auch unbesetzte Fachkraftstellen, mehrere sogar", bestätigt Dangl. "Und deswegen haben wir auch nicht voll belegte Plätze in den Gruppen. Also, wir haben ganz viele Plätze noch frei. Wir hätten Kapazitäten."

Etwa dreißig weitere Kinder hätten in der Einrichtung Platz. Familien, die einen Platz haben, müssen zum Beispiel bei Krankheitswellen damit rechnen, dass die Kita anfragt, ob das Kind zu Hause bleiben könne oder früher abgeholt oder später gebracht werden könne, wie Kita-Leiterin Dangl sagt. "Um eben zu vermeiden, was dann kommen würde: eine Gruppenschließung, Öffnungszeiten reduzieren, und das sind die Maßnahmen, die die Aufsichtsbehörde ja dann mit uns durchführen würde."

Stress in der Kita reduzieren – aber wie?

In Neustadt an der Donau hat im vergangenen September die Eltern-Initiative 'Donaupfauen' eröffnet. Dem Personal zuliebe gilt dort nur eine Öffnungszeit von 7.30 Uhr bis 14.00 Uhr, wie Kathrin Hummel, die pädagogische Leitung der Donaupfauen erläutert: "Gestartet sind wir zu dritt, und wir waren alle junge Mamas. Ich selbst habe von vornherein gesagt, dass es bei mir nicht länger als bis um zwei geht." Als Mutter von zwei kleinen Kindern wolle sie auch für ihre beiden noch da sein.

Die kurzen Arbeitszeiten machen auch die Suche nach weiteren Kita-Fachkräften einfach. Das Team ist aktuell sehr gut aufgestellt. Und obwohl auch in Neustadt viele Eltern einen Betreuungsplatz bis 16.00 Uhr suchen, unterstützt Bürgermeister Thomas Memmel die Eltern-Initiative. "Wir kämpfen um jeden Kindergartenplatz, den wir zur Verfügung stellen können. Dann ist vielen damit geholfen, einfach nur einen Teil des Tages mit einer Kinderbetreuung abdecken zu können, bevor ich gar keine habe."

Bei den Donaupfauen haben sich die Familien auf die kurzen Öffnungszeiten eingestellt. Schon um kurz vor eins werden viele Kinder abgeholt. Ein drohender Kita-Kollaps lässt sich mit solchen Kompromiss-Lösungen aber wohl nicht verhindern.

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