Eine Gruppe Menschen trägt ein Banner vor sich her. Das Foto zeigt eine Demonstration in Berlin im September. Zugegen waren sowohl Prominente aus dem rechten Lager als auch Personen, die als Islamisten gelten.
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Eine Demonstration in Berlin. Zugegen waren sowohl Prominente aus dem rechten Lager als auch Personen, die als Islamisten gelten.

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Allianz in Krisenzeiten: Rechte und Islamisten nähern sich an

Rechtsextreme und Islamisten scheinen gerade in Krisenzeiten inhaltliche Schnittmengen zu entdecken. Wie Recherchen des Bayerischen Rundfunks zeigen, nähern sie sich an. Sie versuchen, Menschen für ihre politischen Ziele zu gewinnen.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

"Ami go home", skandieren rund einhundert Menschen mitten in Berlin. Unter ihnen ein Mann namens Bernhard Falk. Er spricht zu den Demonstranten. Falk redet von einer "Querfront", wirbt für den Austritt aus der NATO sowie "Freundschaft mit Russland". Auch den Abzug der US-Truppen aus Deutschland fordert Falk.

Falk für den Verfassungsschutz kein Unbekannter

Für den Verfassungsschutz ist Bernhard Falk kein Unbekannter. Allerdings hatte er in der Vergangenheit mit anderen Parolen auf sich aufmerksam gemacht. Bislang galt er als Islamist. Falk besucht Gerichtsverhandlungen islamistischer Terrorunterstützer. Er sieht sich als moralischer Beistand der Inhaftierten – und geht deshalb auch in die Gefängnisse. Nun agiert er als pro-russischer Aktivist, bringt Gleichgesinnte aus dem sehr konservativen islamischen Lager mit zu Veranstaltungen, nennt sich selbst einen "Putin-Unterstützer". So auch an diesem Tag im September vergangenen Jahres, als er vor dem Brandenburger Tor spricht.

Falk tritt hier als Schatzmeister der neu gegründeten Kleinstpartei "Aufbruch Frieden-Souveränität-Gerechtigkeit" auf. Sie hatte zu der Demonstration aufgerufen. Ihr Logo: Ein Wappen, das sowohl die Landesfarben Deutschlands als auch die Russlands zeigt. Zu ihren Zielen zählt die Partei unter anderem den Austritt aus der EU und der NATO. Das "Altparteienkartell" soll zerschlagen werden. Im Juni will die Partei mit ihrem Programm bei der Europawahl antreten. Offenbar ist sie zu einer Anlaufstelle für Menschen geworden, die auf den ersten Blick kaum gemeinsame politische Ziele haben.

Ex-AfD-Politiker nahm an Demo teil

So greift an diesem Tag nicht nur Islamist Falk in Berlin zum Mikrofon: Auch André Poggenburg, ehemaliger Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, spricht zu den Menschen. Laut dem sächsischen Verfassungsschutz kooperiert Poggenburg regelmäßig mit extremistischen Organisationen. Auch Markus Beisicht – Leverkusener Kommunalpolitiker, der sich Verfassungsschützern zufolge im rechtsextremen Milieu bewegt – ist an diesem Spätsommertag vor Ort. Diese Männer sind dabei nur prominente Aushängeschilder ihres politischen Lagers. Ihre Narrative verfangen nach Einschätzung der Extremismusforscherin Julia Ebner bei sehr viel mehr Menschen. Sie arbeitet am Londoner "Institute for Strategic Dialogue", einer Denkfabrik, die sich mit Konfliktforschung befasst.

Einfache Antworten: Narrative ähneln sich stark

Obwohl sich ihre Ideologien auf den ersten Blick voneinander unterscheiden, sagt Ebner, ähnelten sich die Narrative der beiden Lager. Besonders im Internet verschwimmen die Ideologien. Ebner beobachtet "ein sehr starkes Anti-Establishment und Anti-Eliten Rhetorik", die beide Lager miteinander verbinden. Dies sei ein "Eingangstor für viele Menschen" – etwa für jene, die frustriert seien angesichts politischer Entscheidungen oder jene, die den Medien und der Wissenschaft mehr und mehr misstrauen.

Forscherin Ebner stellt fest, dass manche Menschen zunehmend nach einfachen Antworten und Lösungen suchen. Aktuelle wirtschaftliche Krisen – ausgelöst durch Corona oder den Überfall Russlands auf die Ukraine – machten sie anfällig für ideologisch aufgeladene Erklärungsmuster.

Diese Menschen seien leicht zu manipulieren, sagt der Psychologe Ahmad Mansour, der seit Jahren ausstiegswillige Extremisten betreut: "Wenn die Welt und Ereignisse draußen nicht meinem Weltbild entsprechen, dann neige ich dazu, Vereinfachung zu suchen. Diese Vereinfachung findet gerade in Krisenzeiten statt. Man findet sie in Verschwörungstheorien und in radikalen Ideologien."

Antisemitismus verfängt in beiden Lagern

Ein Thema, das bei Rechtsextremen und Islamisten gleichermaßen auf der Agenda steht, ist der Antisemitismus. Das zeigt ein Blick in die Geschichte: So pflegte der Großmufti von Jerusalem Kontakte zu Adolf Hitler. Mit Unterstützung der Nazis hetzte der Großmufti in Schriften und Ansprachen offen gegen Juden.

Traditionen werden fortgesetzt – zum Beispiel ein Austausch mit der in Deutschland verbotenen Organisation Hisbollah, die laut Verbotsverfügung von 2020 zur gewaltsamen Vernichtung des Staates Israel aufruft. 2019 stattete eine Gruppe europäischer Rechtsextremer, darunter auch Deutsche, der islamistischen Hisbollah einen Besuch ab – und zwar im Libanon, wo die Organisation hauptsächlich aktiv ist. Ein TV-Sender, der der Hisbollah nahesteht, berichtete über die Delegation. Daraus geht hervor, dass die Delegation in der Hisbollah einen Verbündeten sieht – im Widerstand gegen Amerika und Israel.

Muslime als Partner rechter Ideologen

Ähnlich scheinen das auch andere Teile des selbsternannten patriotischen Lagers zu sehen. So gibt es aktuelle Schriften, herausgegeben von rechten Verlagen, die von Rechten kontrovers diskutiert werden. Zum Beispiel das Buch "Feindbild Islam als Sackgasse". In Deutschland fest verwurzelte Muslime werden darin als Verbündete beschrieben. Die echte Gefahr sei, "der antitraditionale Extremismus mit seinen grün-bunten Gestalten, der letztlich alle historisch gewachsenen Traditionen bedroht."

Das patriotische Lager habe Schnittmengen mit deutschen Muslimen, wenn es darum gehe, aktuelle Entwicklungen zu bekämpfen: "Die Zurückdrängung der gesellschaftszersetzenden Genderideologien, Stärkung der traditionellen Familie, Schutz der Kinder vor politischer Indoktrination. Die Befreiung Deutschlands aus den Ketten des Globohomo Hegemonen USA," so der Autor des Buches.

Vereint im Schwulenhass

Psychologe Mansour beobachtet darüber hinaus, dass Rechtsextreme und Islamisten sich in sozialen Netzwerken auch beim Thema Hass auf Homosexuelle einig sind. Das stellte auch Bayerns Innenminister Herrmann im Sommer 2023 mit Besorgnis fest.

Auf Anfrage des BR schreibt das Bayerische Innenministerium, dass gegen queere Personen gehetzt werde: "Dabei ist augenfällig, dass Rechtsextremisten und Islamisten nicht nur teils identische Narrative aufgreifen, etwa die Bewahrung traditioneller Familienstrukturen, sondern dabei auch ähnliche Memes und Grafiken verwenden." Beide Gruppierungen stellten sich gegen liberale, pluralistische Gesellschaften. Das Innenministerium spricht von einer gemeinsamen Strategie extremistischer Akteure und mahnt, demokratiefeindliche und gesellschaftsspaltende Aussagen könnten vermehrt in den bürgerlichen Diskurs Eingang finden.

Experten gehen noch weiter: Sie warnen davor, solche Koalitions-Entwicklungen zu unterschätzen. Denn finden Extremisten unterschiedlicher Couleur zusammen, dann ist ihre Schlagkraft auch größer. Sie können tiefer in die Gesellschaft hineinwirken, verstärkt gegen Andersdenkende vorgehen.

Experte fordert mehr politische Bildung im Netz

Psychologe Mansour sieht in den Sozialen Medien einen der Orte, in denen politische Bildung betrieben werden müsse. Er fordert effektive Gegenmaßnahmen im Netz, aber auch mehr politische Bildung an Schulen, um den demokratischen Zusammenhalt zu fördern und den Extremisten etwas entgegenzusetzen.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der Sendung "Funkstreifzug". Der Funkstreifzug läuft am Mittwoch, 17.1., um 12:17 Uhr im Radioprogramm von BR24. Der Podcast ist unter anderem hier zu finden.

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