Thomas Walther, Chefermittler der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen.
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Thomas Walther, Chefermittler der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen.

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Prozesse gegen Nazi-Verbrecher – Was Walther antreibt

Ex-Richter Thomas Walther, Chefermittler der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen, war Wegbereiter für die späte juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Einen letzten Prozess könnte Deutschland noch erleben, glaubt der 80-Jährige.

Über dieses Thema berichtet: Interview der Woche am .

Er hat als Richter an bayerischen Amtsgerichten gearbeitet, um dann, kurz vor der Pensionierung noch in die Zentralstelle zur Ermittlung von NS-Verbrechen nach Ludwigsburg zu wechseln.

Der inzwischen fast 80-jährige Thomas Walther hat in dieser Zeit und auch in seinem offiziellen Ruhestand noch mehrere Prozesse gegen frühere NS-Mittäter angestoßen. Einen letzten Prozess könnte es in Deutschland noch geben, sagt er im BR24-Interview der Woche.

"Hinschauen, hingucken, hinhören, zuhören."

Wenn Thomas Walther von "nie wieder" spricht, dann meint er damit nicht nur, dass sich die Verbrechen des 2. Weltkriegs nie wieder wiederholen dürften. Ihm ist vor allem wichtig, dass man nie wieder wegschauen dürfe.

"(Man) muss hinschauen und das Nie-Wieder (...) verbinden mit der Feststellung, dass wir nie wieder den politisch sanktionierten Massenmord an unliebsamen Menschen haben wollen. Das ist so lange ein frommer Wunsch, wie wir nicht vorher der Aufforderung nie wieder wegschauen, folgen. Also hinschauen, hinschauen, hingucken, hinhören, zuhören." Thomas Walther, Chefermittler der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen

Walther wirft der deutschen Justiz vor, die Prinzipien des Rechts zwar in allen Bereichen flächendeckend angewendet zu haben und dies auch noch tue, von diesen Prinzipien aber über Jahrzehnte abgerückt sei, wenn es um Verfahren gegen NS-Verbrechen ging.

"Das Lager an sich ist die Tat"

Dabei macht er deutlich, dass der Tatbestand der Beihilfe nach Paragraf 27 Strafgesetzbuch "jede Unterstützung der Haupttat ist" und somit vor Gericht verhandelt gehöre.

"Das Lager an sich ist die Tat.", stellt Walther klar und spricht von sogenannten Endzeit-Verbrechen. "Das sind also die Ereignisse und Taten, die so ab Sommer, spätestens September 44 (1944, Anm. d. Red.) stattfanden, wo also aus den Lagern des Ostens immer mehr Gefangene fluteten; die Konzentrationslager im Reich und Sachsenhausen, Ravensbrück und Dachau. Und da war eben das planmäßige Sterben eine ganz, ganz wichtige Aufgabe."

Dabei seien die Lebensverhältnisse in den Konzentrationslagern Tötungsinstrumente gewesen, so Walther: die mangelnde Ernährung, die mangelnde Unterbringung und die mangelnde Hygiene in den Lagern hätten zur Erfüllung dieser Aufgabe gedient, nämlich zum Tot der Häftlinge.

Auch 80 Jahre später kann ein Urteil Gerechtigkeit schaffen

Das ist einer der Gründe, warum der ehemalige Richter Walther auch Jahrzehnte nach den NS-Verbrechen Täter und Mittäter zur Verantwortung ziehen möchte. Egal, ob die Angeklagten mittlerweile 98 oder auch gar 102 Jahre alt sind:

"Ich habe in meiner Zeit als Richter auch gelernt, dass ein gerechtes Urteil für einen Angeklagten ein Stück Gerechtigkeit schafft. Und (...) 80 Jahre danach (...) sind eben nicht 80 Jahre Staub oder Knochen oder irgendetwas. (...) Ein Verurteilter (sagt) zwar nach außen hin mit guten Gründen 'Mensch, was müsste er mir in meinem Alter das noch antun?', aber irgendetwas in ihm (...) sagt (...): 'Ich weiß ja, das war so, und ich weiß ja auch, dass ich das so nicht hätte machen müssen."

"Die nationalsozialistische Gesinnung siegt nicht"

Walther glaubt, dass es auch bei einem Verurteilten die Erkenntnis geben könne, dass das "unbeugsame Recht auch ihm etwas geben kann in Bezug auf Gerechtigkeit."

Auf die Hinterbliebenen oder Angehörigen bezogen ist Walther von der Motivation getrieben, dass diese spüren könnten, "(dass) die nationalsozialistische Gesinnung nicht siegt. Sie siegt nicht, und ich sage das ganz bewusst im Präsens."

Ein letzter NS-Prozess in Deutschland ist möglich

Bevor Walter seinen persönlichen Schlussstrich zieht, könne es durchaus sein, "dass ich noch in einem Verfahren (...) nochmal mitwirke." Er habe durchaus die Hoffnung, dass es bei diesem Fall, der in Gießen verhandelt werden soll, noch zu einer Anklage kommen könne.

"Dies ist nach meiner jetzigen Vorstellung aber tatsächlich das Letzte, was ich noch begleiten möchte. Für mich ist es eine große Befriedigung, dass es überhaupt dazu gekommen ist, dass so ein Umdenken möglich geworden ist, und auch einigermaßen stabil bestehen bleibt." Thomas Walther, Chefermittler der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen

Dass dieser Prozess einer der Letzten sein könnte, der in Deutschland überhaupt noch stattfinden kann, liegt daran, dass die Zeitzeugen langsam sterben. " In vielleicht zehn Jahren wird es keinen mehr geben, der diese Zeit bezeugen kann, mit eigenen Augen erlebt hat. Wie sollen wir dann weitermachen?"

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