28.11.2023, Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei einer Regierungserklärung zur Haushaltslage im Bundestag.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht bei einer Regierungserklärung zur Haushaltslage im Bundestag

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"Staat wird seinen Aufgaben gerecht": Scholz wirbt um Vertrauen

Kanzler Scholz sieht Deutschland wegen der Milliardenlöcher im Haushalt vor harten Herausforderungen, sichert den Bürgern aber weiter staatliche Hilfe zu. An Modernisierungsplänen hält er fest. Unionsfraktionschef Merz griff den Kanzler scharf an.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

In seiner Regierungserklärung hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Bürgern verlässliche staatliche Leistungen zugesichert – ungeachtet der Haushaltskrise. "Der Staat wird seinen Aufgaben weiterhin gerecht", versicherte Scholz im Bundestag. Im Alltag der Menschen werde sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt nichts ändern, "völlig unabhängig davon, ob Sie Kindergeld oder Bafög bekommen, eine Rente oder Wohngeld".

Zugleich stimmte Scholz die Menschen aber auch auf Einsparungen ein. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts schaffe eine neue Realität, die es schwieriger mache, wichtige Ziele in Deutschland zu erreichen. Denn die Republik sei in den vergangenen Jahren von unvorhergesehenen äußeren Krisen erschüttert worden. Deutschland stehe nun vor Herausforderungen, wie sie das Land "in dieser Konzentration und Härte wohl noch nie erlebt" habe. In den Haushaltsberatungen gelte es, Spielräume auszuloten, Schwerpunkte zu setzen "und natürlich auch Ausgaben zu beschränken". Wo konkret er Sparpotenzial sieht, sagte Scholz nicht.

Energiepreisbremsen werden beendet

Der Kanzler kündigte zwar an, dass die Strom- und Gaspreisbremsen in Deutschland zu Beginn nächsten Jahres beendet werden. Das sei möglich, weil überall wieder Tarife verfügbar seien, die unterhalb der Obergrenzen der Preisbremsen lägen. Die Gasspeicher seien so gut gefüllt, dass mit keinen plötzlichen Preissprüngen zu rechnen sei. Sollten die Preise aber unerwartet wieder steigen, sei die Bundesregierung jederzeit in der Lage, kurzfristig gegenzusteuern.

Die Bürgerinnen und Bürger können sich laut Scholz darauf verlassen, dass der Staat seine Zusagen einhalte. Niemand werde alleingelassen mit den Herausforderungen, "mit denen wir es aktuell so geballt zu tun haben". Es gehe um den Zusammenhalt im Land, um den Sozialstaat. "Wir alle kommen besser zurecht, wenn wir niemanden zurücklassen."

Scholz hält am Modernisierungskurs fest

An der geplanten Modernisierung der Wirtschaft will der Kanzler trotz der Milliardenlöcher im Haushalt festhalten. Seiner Ansicht nach wäre es ein "unverzeihlicher Fehler", die Modernisierung des Landes zu vernachlässigen. Sie schaffe die Voraussetzung für gute Arbeitsplätze und eine starke Wirtschaft.

Nur wenn Deutschland sich modernisiere, werde es auch künftig auf unvorhergesehene Krisen kraftvoll reagieren können. "Die großen Modernisierungsvorhaben für unser Land sind nicht hinfällig geworden. Im Gegenteil." Nach Jahren des Stillstands müsse jetzt Tempo gemacht und der Reformstau gelöst werden. Weltweit investierten Länder in moderne und digitale Infrastruktur, saubere Energieversorgung und klimafreundliche Technologien. In den nächsten Jahren entscheide sich, wo künftig Innovation und Wohlstand zuhause seien. "Ich will, dass Deutschland ganz vorne dabei ist."

Scholz: Urteil betrifft auch Bundesländer

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 in den Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt. Das Geld war als Corona-Kredit bewilligt worden, sollte aber nachträglich für Projekte für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden.

Scholz betonte, das Urteil betreffe die bisherige Praxis des Bundes genauso wie jene vieler Bundesländer, die zum Teil in ähnlicher Weise wie der Bund Sondervermögen nutzten.

Merz: "Sie können es nicht!"

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz sprach Scholz mit Blick auf die Haushaltskrise die Fähigkeit für sein Amt ab. "Sie sind ein Klempner der Macht", sagte der CDU-Politiker. "Ihnen fehlt jede Vorstellung davon, wie dieses Land sich in den nächsten Jahren weiter entwickeln soll." Verglichen mit früheren SPD-Bundeskanzlern müsse man spätestens nach dieser Regierungserklärung zum Schluss kommen: "Sie können es nicht!" Der Kanzler gefährde mit seiner Politik den Wohlstand und die Zukunft des Landes.

Merz beklagte, die Regierung habe versucht, die Verschuldungsgrenze in einer bisher nicht gekannten Weise zu umgehen. Scholz selbst sei der Urheber dieser "verfassungswidrigen Konstruktion" gewesen. "Dazu hätten wir erwartet, dass es wenigstens mal ein Wort des Bedauerns von Ihnen gegeben hätte." Die Union werde dem Kanzler weiter auf die Finger schauen und dafür sorgen, dass er zur Einhaltung der Verfassung gezwungen werde. Die Union werde "an der Schuldenbremse des Grundgesetzes festhalten". Deutschland habe in der Europäischen Währungsunion eine Vorbildfunktion in puncto stabile Staatsfinanzen und müsse diese wahrnehmen.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte den Kanzler dafür, dass er ein klares Bekenntnis schuldig geblieben sei, die Schuldenbremse 2024 einhalten zu wollen. "Die Ampel ist ein Schulden-Süchtiger, den man bei der Beschaffungskriminalität entdeckt und erwischt hat." Deutschland habe kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem. Die Union reiche der Ampel nicht die Hand dafür, "dass das Abschaffen der Schuldenbremse legalisiert wird".

Weidel verlangt von Scholz Rücktritt – Bartsch kritisiert Kanzler

AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erneuerte ihre Rücktrittsforderung an Scholz. "Keine zwei Jahre Ampel – und Deutschland steckt in der Dauerkrise und steht am Rand der Zahlungsunfähigkeit." Der "Verfassungsbruch" beim Haushalt sei beispiellos in der Geschichte Deutschlands. Für die Wirtschaftspolitik der Ampel müssten Mittelstand, Bürger und Rentner bluten. Deutschland brauche "eine neue Regierung, um aus diesem Krisensumpf herauszukommen", sagte Weidel.

Der Linken-Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch erklärte, nach diesem Urteil hätte er von der Regierung "mehr Demut" erwartet. Vielen sei nicht klar, wie es nun weitergehen solle. Er forderte Scholz auf, der Bevölkerung zu versichern, dass es keine Sozial-Kürzungen geben werde.

Koalition uneins über Zukunft der Schuldenbremse

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge erneuerte ihre Forderung nach einer Reform der Schuldenbremse. Denn sie verhindere in der derzeitigen Form Investitionen beispielsweise in die Modernisierung der Infrastruktur. "Wenn wir, wenn wir künftigen Generationen kaputte Autobahnbrücken hinterlassen, dann hinterlassen wir ihnen auch Schulden. Denn künftige Generationen können diese Brücken in Zukunft ja nicht alle zusammenbrechen lassen."

Zugleich plädierte Dröge für die Modernisierung der Wirtschaft. Der Ampel gehe es um die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland. "Uns geht es darum, Hunderttausende Arbeitsplätze in diesem Land zukunftsfähig zu erhalten."

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sprach sich in seiner Rede hingegen dafür aus, die Schuldenbremse zu verteidigen. "In der Koalition gibt es unterschiedliche Meinungen dazu", sagte der FDP-Politiker. "Die Schuldenbremse ist unter Druck geraten." Dürr verwies auf Umfragen, denen zufolge die Schuldenbremse "bei den Menschen im Land außerordentlich beliebt" sei.

Söder: "Maßlos enttäuscht"

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder zeigte sich in München "maßlos enttäuscht" von der Regierungserklärung des Kanzlers. Scholz habe keinen Ansatz präsentiert, wie ein verfassungsgemäßer Haushalt gelingen könne. "Das Einzige, was gesagt wurde, ist, dass die Energiepreisbremsen nicht mehr verlängert werden. Da werden viele Bürger besorgt sein."

Aus Söders Sicht müssten Prioritäten gesetzt werden - zum Beispiel durch eine Streichung des Heizungsgesetzes und eine Veränderung beim "völlig überzogenen" Bürgergeld. Außerdem könne beim Kanzler selbst gespart werden - konkret bei der Erweiterung des Kanzleramts: Dieser "überdimensionierte Prunk-Palast, der jetzt für circa eine Milliarde gebaut werden soll", könne gestrichen werden.

Füracker sieht für Bayern keine Probleme

Bayerns Finanzminister Albert Füracker (CSU) kritisierte die Regierungserklärung als "rückwärtsgewandt". Scholz habe vor allem über das Jahr 2023 gesprochen. Die Menschen wollten aber wissen, wie es weitergeht in Deutschland, sagte Füracker bei BR24live. Er könne nur hoffen, dass sich die Ampel jetzt auch schnell mit dem Jahr 2024 beschäftige.

Folgen für Bayern befürchtet er durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nicht: Anders als der Bund habe der Freistaat seine Kreditermächtigungen nicht in Anspruch genommen, also "im Vollzug keinerlei Schulden" beispielsweise für die Hightech-Agenda gemacht. "Und wenn man keine Schulden macht, kann man gegen die Verfassung nicht verstoßen."

Mit Informationen von dpa, AFP und epd

CSU-Chef Söder im Video:

Markus Söder
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Markus Söder

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