Die Angeklagte Beate Zschäpe im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München zwischen ihren Anwälten. Zweite Reihe 2.v.l. der Angeklagte Ralf Wohlleben, in der hinteren Reihe die Angeklagten Holger Gerlach (rotes Shirt) und Carsten S. (grauer Kapuzenpulli, er hat seine Revision zurückgezogen) am 19.07.2017. Nicht im Bild: André Eminger.
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Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe will weitere Entscheidungen zum NSU-Verfahren bekanntgeben und über den Fortgang informieren.

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NSU-Urteile: Bundesgerichtshof entscheidet über Revisionen

Im Juli 2018 verkündete das Oberlandesgericht München sein Urteil im NSU-Verfahren. Zwei Jahre später legten die Richter die schriftlichen Gründe vor. Der Bundesgerichtshof hat nun das Urteil überprüft und gibt erste Entscheidungen bekannt.

Die Angehörigen der zehn Mordopfer des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) dürften heute einmal mehr unter besonderer Anspannung stehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe will weitere Entscheidungen zum NSU-Verfahren bekanntgeben und über den Fortgang informieren. Wo entschieden wird darüber, ob die Urteile in dem historischen Mammutprozess rechtskräftig werden oder ob den Angehörigen ein neues belastendes Verfahren um die Terrorserie von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe und deren Helfer bevorsteht.

Die Taten des NSU

Von 2000 bis 2007 hat der NSU aus rassistischer Gesinnung mindestens zehn Menschen getötet, fast alle türkisch- und griechischstämmig, meist Kleinunternehmer. Ihre Namen: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık und Halit Yozgat. Außerdem wurde die Heilbronner Polizistin Michèle Kiesewetter getötet. Zusätzlich beging der NSU mehrere blutige Sprengstoffanschläge – zur Finanzierung seines Terrors überfiel er Banken. Die Sicherheitsbehörden versagten, sprachen anfangs von den "Döner-Morden". Rechtsextremen Terrorismus hatten sie nicht auf dem Schirm.

Der Kern der Terrorzelle: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Die drei lernten sich in Jena kennen, radikalisierten sich in der Nazi-Szene, nach ersten rechtsextremen Straftaten tauchten sie Ende der 90er Jahre unter. Dann begannen die Morde. Es gab nachgewiesenermaßen vier weitere Helfer. Noch laufen weitere Ermittlungen gegen mögliche weitere lokale Helferinnen oder Helfer. Gefunden wurde bisher niemand. Als der NSU 2011 aufflog, töteten sich Mundlos und Böhnhardt, um der Festnahme zu entgehen. Zschäpe zündete die gemeinsame Wohnung an und stellte sich.

Die Urteile gegen Zschäpe, Wohlleben, Gerlach und Eminger

2018, nach über fünf Jahren Prozess, 438 Verhandlungstagen und der Vernehmung von mehr als 700 Zeugen das Urteil des Oberlandesgerichts München: lebenslang für Zschäpe wegen zehnfachen Mordes, schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, mit besonderer Schwere der Schuld. Juristisch nicht einfach, dass sie als Mittäterin gilt. Denn man konnte Zschäpe nicht nachweisen, dass sie auch nur einmal am Tatort war, wenn Mundlos und Böhnhardt mordeten. Trotzdem sahen die Münchner Richter die Morde auch als ihre Taten an, auch weil sie 2011 Bekenner-CDs verschickte.

Wegen Beihilfe zu Mord wurde Ralf Wohlleben zu zehn Jahren verurteilt. Die drei weiteren Helfer: Holger Gerlach erhielt drei Jahre, Carsten S. drei Jahre Jugendstrafe. André Eminger bekam zweieinhalb Jahre wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Zu wenig, fand die Bundesanwaltschaft, sie hatte zwölf Jahre gefordert und legte Revision zu seinen Lasten ein. Alle fünf Angeklagten hatten damals Revision eingelegt, der reuige Carsten S. nahm sie aber zurück.

Wie wird der Bundesgerichtshof das NSU-Urteil bewerten?

Es handelt sich bei Revisionen vor dem BGH nicht um Berufungsverfahren, bei denen erneut Zeugen gehört oder Beweisstücke angesehen werden. Die fünf Richterinnen und Richter des dritten Strafsenats entscheiden das NSU-Verfahren und alle anderen Revisionen aufgrund des schriftlichen Urteils und gegebenenfalls weiterer Akten. Sie überprüfen das Urteil auf Rechtsfehler. Gab es ein Verfahrenshindernis? Oder einen Verfahrensfehler? Sind die bestehenden Gesetze richtig angewandt worden? Ist beispielsweise die Verurteilung Zschäpes als Mittäterin richtig?

Nur in sehr seltenen Ausnahmefällen rügen sie Feststellungen der Vorinstanz in der Sache, also beispielsweise, wie die Richter zuvor einen Sachverhalt bewertet haben. Das bedeutet, dass der BGH sich normalerweise nicht in Bewertungen der Vorinstanz einmischt, sofern nicht offenkundig etwas übersehen wurde, die Feststellungen im Urteil offenkundig unlogisch sind oder Rechtsregeln verletzen.

Zur Frage der Mittäterschaft einer ortsabwesenden Täterin gibt es seit Jahren zahlreiche Entscheidungen und es ist vorstellbar, dass die Karlsruher Richter die Argumentation aus München für fehlerfrei halten. Auch denkbar ist, dass sie sich anhand des Urteils ein eigenes Bild vom damaligen Sachverhalt machen und zu einem anderen Ergebnis kommen.

Welche Entscheidungen kann der BGH treffen?

Halten alle fünf Richter des Senats eine Revision der Angeklagten für unzulässig oder für unbegründet, kann sie ohne weitere Verhandlung durch einen Beschluss verworfen werden. Es könnte also sein, dass alle oder einige Revisionen in wenigen Tagen ohne weiteres Verfahren erledigt sind. Dann sind die entsprechenden Urteil rechtskräftig.

Im Fall von Ralf Wohlleben, André Eminger und Holger Gerlach dürfte das zu einer weiteren Haftstrafe führen, weil die bisherige Untersuchungshaft kürzer als die jeweiligen Strafen waren. Zschäpe bliebe in Haft - aus der Untersuchungshaft würde dann Strafhaft. Bliebe es bei der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld, wäre eine Freilassung auf Bewährung nach 15 Jahren Haft ausgeschlossen.

Auch denkbar - und im Fall der Revision des Generalbundesanwalts zu Lasten des André Eminger sogar wahrscheinlich - ist eine mündliche Verhandlung vor dem BGH. In dem Termin würden die Richter strittige Punkte mit der Verteidigung und der Bundesanwaltschaft diskutieren und sich nochmals deren Rechtsansichten anhören. Danach würde der Senat durch ein Urteil entscheiden. Er kann das Münchner Urteil halten, abändern oder ganz oder teilweise an das Gericht zurückverweisen.

Theoretisch denkbar ist auch, dass der BGH ohne mündliche Verhandlung einstimmig entscheidet, dass Teile des Verfahrens neu aufgerollt werden müssen, weil schwere Rechtsfehler vorliegen. Wahrscheinlich wäre in einem solchen Fall wieder das OLG München – jedoch ein anderer Senat – zuständig.

Ob und wie viele Revisionen der Angeklagten mündlich vor dem BGH verhandelt werden, ist ungewiss. Käme es dazu, würde es wohl eine logistische Herausforderung in Corona-Zeiten werden. Denn theoretisch könnten nicht nur alle Verteidiger (alleine bei Zschäpe vier Pflichtverteidiger und ein Wahlverteidiger) sondern möglicherweise auch die Angeklagten selbst sowie die Nebenkläger und ihre Anwälte zu der Verhandlung kommen. Großer Andrang bei mündlichen Revisionsverhandlungen am BGH ist selten – im NSU-Prozess wäre aber sicher damit zu rechnen.

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