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Ehemaliger Schlüsseldienst-Laden (heute Döner-Imbiss), in dem Theodoros Boulgarides vom rechtsradikalen NSU ermordet wurde.

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München: Wie erinnern sich Nachbarn an die Opfer des NSU?

Am Mittwoch soll das Urteil im NSU-Prozess fallen. Auf das Konto von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe sollen zehn Morde gehen, zwei begangen in München. David Friedman hat Nachbarn und Passanten gefragt, ob sich wer an die Opfer erinnert.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 am Samstagvormittag am .

Der Mord an Theodoros Boulgarides

Theodoros Boulgarides aus Griechenland haben die tödlichen Schüsse in seinem Laden - einem Schlüsseldienst - ereilt. In der Trappentreustraße. Am 15. Juni 2005. Ich frage in einem benachbarten griechischen Restaurant nach, ob sich jemand - 13 Jahre nach dem Mord - noch an Boulgarides erinnert.

"Wir wollen nichts dazu sagen, bestimmt nicht." Griechische Anwohnerin

Viele schweigen lieber

Der ehemalige Schlüsseldienst ist seit Jahren ein Döner-Imbiss. Der fünfte seit dem Tod des Griechen. Der aktuelle Kebab-Koch reagiert mit gesenktem Kopf auf meine Fragen: 

"Wir können auch nicht mehr sagen, ja? Tut mir leid. Tschüss." Türkischer Anwohner

Vor dem Döner-Laden steht ein deutsch-türkischer Elektriker. Er ist zu jung, um Boulgarides gekannt zu haben. Aber:

"Nachdem ich diese Geschichte gehört habe, habe ich schon ein komisches Gefühl, wenn ich hier reingehe. Übernachten möchte ich hier nicht." Elektriker

Ich gehe in das Wohnhaus über dem Döner-Laden. Und hoffe, dass einige Bewohner mit mir über Boulgarides sprechen:

"Ich will nichts sagen, nein. Ich will nicht sprechen. Tschüss." Griechin an der Haustür

Ist es Angst oder Scheu, dass niemand mit mir über Theodoros Boulgarides sprechen will? Ich gehe nach draußen. Und frage zwei Häuser weiter nach. Vor einer Bar. Da steht ein deutschstämmiger Münchner vor der Tür.

Persönliche Erinnerungen und eine Lücke, die bleibt

"Ich hab‘ ihn persönlich gekannt, vom Sehen. War ein sehr netter Mann, war in der Gegend sehr beliebt. Ich hab einmal einen Schlüssel nachmachen lassen, als ich einen verloren hatte und ich weiß, dass die Leute aus dem Viertel alle dahin gingen, weil er eben eine Anlaufstelle war. Er hat mit Sicherheit eine Lücke hinterlassen, ganz klar." Roland Hamm

Zurück vor der Gedenktafel am Haus. Jemand hat eine weiße Rose aufgesteckt. Am Boden darunter liegen welke Blumen. Rote Grablichter brennen. Eine Radfahrerin steigt ab und liest die Namen auf der Tafel.

"Also, ich fahr jeden Tag hier durch und es macht mich wirklich immer traurig. Ich denke mir, das gehört leider jetzt zu unserer Gesellschaft. Wir waren eine freie Gesellschaft einfach, ob Frau oder Mann. Heute gibt es keine Freiheit mehr. Der NSU hat ein Stück Freiheit zerstört, auf alle Fälle, ja." Radfahrerin              

Eine zweite Frau gesellt sich dazu. Und kommt - gewollt oder ungewollt - in ein für Ausländer lebensgefährliches Fahrwasser. Weil sie die NSU-Morde mit der aktuellen Flüchtlingskrise vermengt:

"Das passiert einfach in der heutigen Zeit. Weil so viel Ausländer auch da sind." - "Aber die Ausländer, sind die da schuld, dass sie ermordet werden?" - "Ich weiß es nicht, also, sie tun ja auch viel dazu, dass es so ist, ja? Es werden ja auch viele Frauen angegrabscht und überhaupt, ja, was davor nicht so war." - "Naja, aber der Herr Boulgarides hat hier nur Schlüssel verkauft!" - "Ja - ich find's schade, ich find's traurig, aber mei, was passiert ist, ist passiert."          

Ortswechsel.

Der Mord an Habil Kilic

Habil Kilic aus der Türkei ist in seinem Lebensmittelladen hingerichtet worden. In der Bad-Schachener-Straße in Ramersdorf. Am 29. August 2001. Der Laden ist immer noch ein Lebensmittelladen mit türkischen und griechischen Spezialitäten. Aber auch hier will der aktuelle Pächter nichts sagen. Umso beredter ist ein blonder Junge vor der Tür. Er stellt sich als Simon vor. 17 Jahre sei er alt und wohne direkt über dem Laden. Er glaubt, dass der Pächter einfach Angst habe vor Deutschen.

"Ich hab zum Beispiel mal eine Woche lang vor seinem Laden einfach immer mal geraucht, um halt einfach einfach mal die Straße ein bisschen im Blick zu haben, weiß ich nicht warum, und dann hat man gesehen, wie er mich tagsüber auch manchmal komisch angeguckt hat, so hey, möchtest Du mir was Böses oder kann man Dir vertrauen, wer bist Du, was machst Du?" - "Habt ihr dann miteinander geredet, um das zu entschärfen?" - "Das hat sich natürlich entschärft, weil er auch weiß, dass ich hier um die Ecke wohne und manchmal hier einkaufe, also das ist kein Problem, ich bin sozusagen der Nachbar, das ist keine Gefahr. Alles ok." Simon    

Heute haben viele Angst        

Immer wieder stoße ich auf die Angst türkischer Ladenbesitzer vor deutschen Bürgern. Das sei früher nicht so gewesen, vor den NSU-Morden, sagt mir ein türkischstämmiger Münchner vor dem Laden. Und es werde immer schlimmer, erklärt er. Weil Deutsche immer häufiger südländisch ausschauende Münchner mit neu angekommenen Flüchtlingen vermengten.

"Jeder schaut uns dann anders an, das akzeptieren die nicht, dass wir seit vierzig Jahren hier sind. Das sehen die nicht, auch wenn ich seit vierzig Jahren da bin, denken die, ich bin seit einem Jahr da. Es ist viel schlimmer geworden." - "Also, da wird man mit frisch angekommenen Flüchtlingen in einen Topf geworfen?" - "Ja, es ist leider so, ja." Türkischstämmiger Münchner       

Dann hält ein deutsch-italienischer Mann an. Er wohne über dem Laden und habe Habil Kilic gut gekannt.

"Das war ein netter Mann, der hat seinen Tante-Emma-Laden halt hier gehabt, mit Obst, dienstags hat er Fisch gehabt, sonst auch so Spezialitäten aus der Türkei, aus Griechenland, aus Serbien." - "Wie war er denn vom Charakter her?" - "Ein ganz ruhiger Mensch. Ein ganz, ganz netter, ruhiger Mensch." Anwohner

Aus dem Haus kommt der Bruder des Mannes dazu. Er stellt sich als Franko vor. Ja, sagt er, der Mord sei immer noch Thema im Haus.

"Durch den Prozess, der jetzt läuft, immer wenn man am Laden vorbeigeht, hat man ein bisschen Angst, dass da wieder was kommt, also, es ist schon ein komisches Gefühl, also es ist immer noch ein sehr großes Thema." - "Tatsächlich?" - "Ja. Das ist ein ganz ein netter Mensch gewesen. Da ist ja immer noch an der Tür das Siegel, wo er erschossen wurde." Franko

Ein Mensch, der Spuren hinterließ

Ich werde hellhörig. Ein Siegel? Und bitte Franko, mir das Siegel der Ermittler zu zeigen. Er führt mich in den Hausgang, vor eine graue Stahltür. Rund um das freigelegte Schlüsselloch kleben tatsächlich immer noch die Papierreste des Verschlusssiegels der Polizei. Deutlich ist die Zahl 01 darauf zu erkennen. 2001 - das Todesjahr von Habil Kilic.

"Das Haus hat beschlossen, das dranzulassen?" - "Wir haben gesagt, wir lassen das dran, dass wir im Gedenken bei ihm sind und immer wissen, was da vorgefallen ist, dass man das nicht einfach unter den Teppich kehrt. Jeden Tag erinnert das, jeden Tag. Ich sag's Ihnen ganz ehrlich: Die, die das gemacht haben, ich wünsch ihnen, dass sie eingesperrt werden, aber dass sie nie so enden, wie der Mann. Ich tät' auch sagen, in fünfzehn oder zwanzig Jahren, da kommen sie raus, und dann herkommen und da hinschauen. Weil das wird immer noch da sein, wenn es nicht abgerissen wird. Das sollen sie sich anschauen, denn wenn Du ein bisschen ein menschliches Gefühl hast, dann tut Dir das weh. Ich weiß nicht, was Sie jetzt für ein Gefühl haben, aber es schockiert Sie auch, ja?" Franko