Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz
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Neue Regeln für den bayerischen Verfassungsschutz

Der bayerische Verfassungsschutz darf zu viel, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Heute treten die neuen Regeln in Kraft. Vor allem der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wird schwieriger.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Der bayerische Verfassungsschutz hat seit neuestem einen Podcast. "Abgehört" heißt er. Man könne ja etwas selbstironisch sein, sagen Beamte zu dem Titel. In der ersten Folge sprechen die Verfassungsschützer darüber, was sie eigentlich machen. Und dann sagt Florian Weber, Mitarbeiter der juristischen Abteilung: "Wir haben noch die sogenannten nachrichtendienstlichen Mittel", gemeint sind alle Maßnahmen, mit denen der Verfassungsschutz heimlich an Informationen kommt. "Und das wird jetzt ein bisschen kompliziert darüber zu sprechen, weil das Gesetz gerade geändert wird."

Bayerisches Verfassungsschutzgesetz war teilweise rechtswidrig

Vor etwas mehr als einem Jahr, am 26. April 2022, fällte das Bundesverfassungsgericht ein weitreichendes Urteil: Es erklärte das bayerische Verfassungsschutzgesetz für teilweise rechtswidrig. Langfristige Observationen oder Handyortungen würden gegen die Grundrechte verstoßen, so die Richter.

Dabei ging es ihnen allerdings weniger um die Frage, ob diese Maßnahmen eingesetzt werden, sondern unter welchen Bedingungen. Bis heute hatte der Freistaat Zeit, das Gesetz zu überarbeiten und klare Regeln zu schaffen. Für die Verfassungsschützer ging es – vereinfacht gesagt – um die Frage, ob sie künftig zur Gefahrenabwehr nur noch Zeitungen lesen und Facebook-Posts auswerten oder ob sie weiterhin nachrichtendienstliche Mittel anwenden dürfen.

Drei Kategorien

Das Gesetz regelt jetzt, wann und unter welchen Voraussetzungen der Verfassungsschutz Informationen sammeln und unter welchen Voraussetzungen er sie weitergeben darf. Im Gesetz sind dafür drei Kategorien von "Beobachtungsbedürftigkeit" vorgesehen: beobachtungsbedürftig, erheblich beobachtungsbedürftig und gesteigert beobachtungsbedürftig. Das Ziel der Kategorien: Je stärker Verfassungsschützer in die Grundrechte eingreifen, um Informationen zu sammeln, desto besser muss das begründet und gerechtfertigt sein.

Gericht muss entscheiden

Vertrauensleute etwa dürfen nur noch eingesetzt werden, wenn eine "Tätigkeit oder Bestrebung" – also Personen oder Gruppen – als "erheblich beobachtungsbedürftig" eingestuft wird. Dringen sie besonders tief in den persönlichen Lebensbereich einer Person vor, dann muss die beobachtete Person als "gesteigert beobachtungsbedürftig" eingestuft werden. Darüber entscheiden muss in Zukunft ein Gericht.

Einsatz von V-Leuten wird schwerer

Vertrauenspersonen, also die sogenannten V-Leute, gehören für den Verfassungsschutz zu den wichtigsten Quellen. Schon im vergangenen Jahr musste die Behörde einen Großteil ihrer Informanten abziehen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts galt eine Übergangsregel – und nach der durften sie nicht mehr eingesetzt werden.

Jetzt plant der Bayerische Verfassungsschutz ihren Einsatz wieder neu aufzubauen und bereitet Anträge vor Gericht vor. Einsätze von Vertrauenspersonen bei extremistischen Bewegungen, bei denen sich nicht nachweisen lässt, dass sie Straftaten begehen oder konkrete Straftaten planen, dürften dabei deutlich schwerer werden. Den Einzelfall muss jetzt ein Richter überprüfen.

Herrmann: "Gesetz kann sich sehen lassen"

"Für mich ist klar, dass wenn das Bundesverfassungsgericht klare Vorgaben macht, was aus seiner Sicht in einem Gesetz zu berücksichtigen ist, dass wir dies umsetzen", sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nun. Vor gut zwei Wochen hatte der bayerische Landtag das neue Verfassungsschutzgesetz verabschiedet. Heute tritt es in Kraft. "Das Ergebnis des Gesetzgebungsverfahrens kann sich sehen lassen", sagt Herrmann.

Sachverständiger: "Das ist so kompliziert geregelt"

Experten kritisieren die Neuerungen. "Das ist so kompliziert geregelt", sagt Mark Zöller. Er ist Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Strafrecht und Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und das Recht der Digitalisierung. Als Sachverständiger im Innenausschuss hat er sich intensiv mit den Änderungen am Verfassungsschutzgesetz auseinandergesetzt. "Selbst für Experten ist das fast nicht nachzuvollziehen." Ob die drei Kategorien daher in der Praxis helfen werden, "da habe ich meine Bedenken", sagt Zöller.

Kritik der Landtags-Opposition

Das monieren auch die Oppositions-Fraktionen im bayerischen Landtag. Die rechtssichere Anwendung werde erschwert, kritisiert etwa die FDP. SPD, Grüne und AfD argumentieren ganz ähnlich. Und selbst die Freien Wähler, die in Bayern mitregieren, schreiben auf BR-Anfrage: "Die Tauglichkeit wird die praktische Handhabung in Zukunft zeigen. Eine Evaluierung der Änderungen halten wir daher für sinnvoll."

Austausch zwischen Behörden strenger geregelt

In dem Gesetz geht es aber nicht nur darum, wann und wie Informationen gesammelt werden dürfen. Es geht vor allem auch darum, was mit diesen Informationen passiert.

Gabriele Tilmann leitet die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET). Sie sagt: "Die Informationsübermittlung an uns ist ganz immens wichtig." Regelmäßig steht sie im Austausch mit dem Landesamt für Verfassungsschutz. "Damit Bürgerinnen und Bürger hier sicher leben können, dass keine Anschläge passieren." In Zukunft dürfte dieser Austausch schwerer werden.

Historische Lehren: Verfassungsschutz ist keine Polizei

In Deutschland sind die Aufgaben von Polizei und Verfassungsschutz deswegen klar getrennt. Das ist eine Lehre aus dem Nationalsozialismus, als mit der Gestapo Geheimdienst und Polizei zusammenfielen. In der Bundesrepublik handelt der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem. Er hat im Vorfeld dafür zahlreiche Möglichkeiten, um an Informationen zu kommen. Polizei und Justiz sind für die Strafverfolgung und strafrechtliche Bewertung zuständig. Gibt der Verfassungsschutz zu viele Informationen an Polizei und Justiz weiter, würde er diese klare Trennung unterlaufen.

Dem Verfassungsschutzgesetz muss also ein Spagat gelingen. Denn auf der anderen Seite gibt es den Anspruch, dass Sicherheitsbehörden bestmöglich informiert sind und reagieren können – diese Notwendigkeit hatten die Untersuchungsausschüsse zum NSU oder zum Fall Anis Amri gezeigt.

Eingeschränkte Information für die Polizei

Das Gesetz sieht jetzt vor, dass das Landesamt für Verfassungsschutz nur dann personenbezogene Daten an Polizei oder Staatsanwaltschaften weitergeben darf, wenn es zur "Abwehr einer konkretisierten Gefahr" oder zur "Verfolgung einer besonders schweren Straftat" erforderlich ist, für die es ausreichend Hinweise gibt. Eine besonders schwere Straftat wäre beispielsweise ein Selbstmordanschlag.

"Wir gehen davon aus, dass wir nun von vielen Sachverhalten nicht mehr Kenntnis bekommen werden", sagt Gabriele Tilmann. "Da geht es zum Beispiel um Volksverhetzungen, die im Internet stattfinden, oder auch den Austausch von Bombenbauanleitungen."

Jurist: "Keine massiven Auswirkungen"

Der Jurist Mark Zöller bezweifelt, dass das neue Gesetz massive Auswirkungen auf die derzeitige Arbeit haben wird. "Es ist wieder ganz verschachtelt geregelt, wann man von einer besonders schweren Straftat reden kann", sagt er. Zum Beispiel fallen auch Straftaten darunter, "die im Zusammenhang mit der beobachtungsbedürftigen Bestrebung stehen".

Das bedeutet: Wird eine Person etwa beobachtet, weil sie einen Umsturz plant, dann kann auch jede Straftat gemeldet werden, die die Person im Zusammenhang mit diesen Umsturzplänen begeht. "Das kann auch ein einfacher Fahrraddiebstahl sein. Und das geht natürlich sehr weit", sagt Mark Zöller. Ob das mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts übereinstimmt, bezweifelt er.

Bund und andere Länder überarbeiten Gesetze

Neben Bayern überarbeiten gerade auch Bund und andere Länder ihre Verfassungsschutzgesetze. Sie dürften genau hinschauen, was Bayern jetzt gemacht hat und inwieweit jetzt wirklich Rechtssicherheit besteht.

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