Eine fahrende Trambahn der MVG in München.
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Verkehrsforscherin: Deutschlandticket sozial ein Rückschritt

Verkehrsforscherin Hille hält das 49-Euro-Ticket im Vergleich zum Vorgänger für einen Rückschritt. Sie führte in Erfurt eine Studie zum 9-Euro-Ticket durch. Menschen mit wenig Geld seien abgehängt. In Deutschland entstehe ein neuer Flickenteppich.

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Seit 1. Mai gilt das Deutschlandticket im Nah- und Regionalverkehr zum Monatstarif von 49 Euro. Ein einheitliches Ticket, das in ganz Deutschland einsetzbar ist: Das sei zwar ein wahnsinniger Erfolg, sagt Mobilitätsforscherin Claudia Hille, die unter anderem an der FH Erfurt lehrt und in Thüringens Hauptstadt eine Studie zum früheren Modell durchführte. Kritik übt sie aber am Preis des Tickets.

Deutschlandticket nicht für alle bezahlbar

In der Sendung "Dossier Politik" von BR24 sagte die in Thüringen lehrende Forscherin, das 49-Euro-Ticket sei sinnvoll, um mehr Menschen in die Bahn zu bringen. Aber es sei leider nicht für alle bezahlbar. "Im Vergleich zum 9-Euro-Ticket ist das Deutschlandticket, was die soziale Teilhabe angeht, ein Rückschritt." Dabei sei Mobilität für alle eine wichtige soziale Frage, so die Verkehrsexpertin.

Hille fordert deshalb ein bundesweit einheitliches Sozialticket für Menschen mit weniger Geld sowie ein bezahlbares Angebot für Kinder und Jugendliche.

Wurden Schüler und Rentner beim Deutschlandticket vergessen?

Die Verkehrsforscherin hat beobachtet, dass gerade junge Menschen im Sommer 2022 durch das 9-Euro-Ticket zum ersten Mal in der Lage waren, selbstbestimmt mobil zu sein. "Das erste Mal waren Kinder und vor allem auch Jugendliche in der Lage, überhaupt mal frei zu entscheiden, dass sie vielleicht doch mal in die Nachbarstadt fahren."

Das 49-Euro-Ticket aber entlaste vor allem Pendler. Für Jugendliche und auch für viele Familien ist der Deutschlandtarif nach den Erkenntnissen der Verkehrsforscherin zu teuer. Kinder ab sechs Jahren müssen ein eigenes Ticket zum vollen Preis lösen, Verbilligungen gibt es keine.

Bayern beschließt günstigere Tickets für Azubis und Studierende

Einzelne Regionen oder Bundesländer wie Bayern haben inzwischen günstigere Tickets für bestimmte Gruppen beschlossen. Zum Beispiel wird es ab 1. September in Bayern ein 29-Euro-Ticket für Auszubildende, Studierende und Freiwilligendienstleistende geben. Schüler aber zahlen den vollen Preis, Rentner und Empfänger staatlicher Hilfe ebenfalls.

Hille bemängelt, dass gerade "ein neuer Flickenteppich" entstehe und es vom Wohnort abhängig sei, ob man das Glück hat, einen Sozialtarif zu bekommen. "Es gibt eben auch Bundesländer, Thüringen gehört zum Beispiel dazu, wo wir keinen Sozialtarif haben und die Leute wieder abgehängt sind."

Verkehrsforscherin: Mobilität verbessert Lebenszufriedenheit

Hille leitete 2022 am Institut Verkehr und Raum der FH Erfurt eine wissenschaftliche Studie zum damals noch gültigen 9-Euro-Ticket. Ihr Team verteilte 6.000 Fragebögen in sechs ausgewählten Erfurter Stadtteilen. 1.157 Fragebögen kamen zurück und konnten ausgewertet werden.

Zentrales Ergebnis der Studie: Das 9-Euro-Ticket ermöglichte Menschen mit geringem Einkommen einen Zugang zu Mobilität und damit zu gesellschaftlicher Teilhabe. Wer es sich leisten kann, mobil zu sein, der fühle sich zugehörig, sagt Hille. "Damit steigt die Lebenszufriedenheit der Menschen enorm."

Als Beleg zitiert die Forscherin Sätze von Befragten, die im Fragebogen schrieben: "Das 9-Euro-Ticket hat mir gezeigt, dass man nicht allein sein muss." Das sei, sagt Hille, der soziale Kern in der Mobilitätsfrage.

Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer in Erfurt wurden außerdem gefragt, wie viel Geld sie bereit wären, für ein Deutschlandticket zu bezahlen: Die Befragten wünschten sich damals im Schnitt ein Ticket für 25 Euro pro Monat.

Dieser Artikel ist erstmals am 31. Juli 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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