Intensivpflegerinnen sind in Schutzkleidungen auf der Covid-19 Intensivstation mit der Versorgung von Corona-Patienten beschäftigt.
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Intensivpflegerinnen sind in Schutzkleidungen auf der Covid-19 Intensivstation mit der Versorgung von Corona-Patienten beschäftigt.

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Manipulation bei Intensivbetten: Vorwürfe, aber keine Belege

Haben Krankenhäuser die Zahlen zur Intensivbetten-Belegung möglicherweise manipuliert? Zum Zeitpunkt eines #Faktenfuchs-Artikels Anfang Mai gab es dafür keine Belege - die fehlen immer noch.

Aktuell wird ein noch unveröffentlichter Bericht des Bundesrechnungshofs zu Intensivbetten diskutiert, dazu gleich mehr. Am 7. Mai 2021 hatte der BR24-#Faktenfuchs einen Artikel veröffentlicht, der zu dem Schluss kam, der Vorwurf eines Corona-Leugners sei falsch. Der Mann hatte behauptet, Krankenhäuser hätten absichtlich die Zahl ihrer Intensivbetten falsch gemeldet, um in den Genuss staatlicher Zahlungen zu kommen.

Bundesrechnungshof moniert Fehlanreize für Krankenhäuser

Am 10. Juni 2021 wurde bekannt, dass der Bundesrechnungshof (BRH) "Fehlanreize" im System der Krankenhausfinanzierung moniert. Unter anderem wird in dem noch unveröffentlichten Bericht beanstandet, dass die Berechtigung zu Ausgleichszahlungen auch daran gemessen wird, wie stark die Intensivbetten ausgelastet sind.

Der Bericht, der dem #Faktenfuchs vorliegt, zitiert in diesem Zusammenhang ein Schreiben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 11. Januar dieses Jahres an das Bundesgesundheitsministerium (BMG). Darin äußerte das RKI laut dem BRH-Bericht die "Vermutung, dass Krankenhäuser zum Teil weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze meldeten, als tatsächlich vorhanden waren." Dadurch könne der Anteil freier Intensivbetten auf unter 25 Prozent gesenkt werden. Das ist eine Voraussetzung für das Erhalten von Ausgleichszahlungen.

Bayerisches Gesundheitsministerium sah im April keine Anhaltspunkte für Missbrauch

Nun wird dem BR von verschiedener Seite vorgehalten, Anfang Mai falsch berichtet zu haben.

Jedoch hat der #Faktenfuchs damals die Auskünfte der Behörden hinterfragt, mit dem Ergebnis: keine Belege oder belastbare Indizien für Manipulationen. Der #Faktenfuchs-Artikel wurde Ende April, Anfang Mai recherchiert. Zu diesem Zeitpunkt waren die Hinweise, die nun offenbar dem Bundesrechnungshof vorliegen, noch nicht öffentlich.

Im Zuge der ursprünglichen Recherche antwortete das bayerische Gesundheitsministerium dem #Faktenfuchs am 28. April, dass dem Ministerium "keine Anhaltspunkte für missbräuchliches Meldeverhalten" durch die Krankenhäuser vorlägen.

RKI spricht von "Vermutung"

Aus dem noch nicht veröffentlichten Bericht des BRH, der dem #Faktenfuchs vorliegt, geht nicht hervor, wie viele und welche Krankenhäuser weniger intensivmedizinische Behandlungsplätze gemeldet haben sollen als tatsächlich vorhanden.

Ferner werden in dem BRH-Bericht auch keine expliziten Belege für Abrechnungsmanipulationen angeführt, es ist von einer "Vermutung" die Rede, die das Robert Koch-Institut (RKI) am 11. Januar 2021 dem BMG in einem Schreiben mitgeteilt haben soll. Dieses Schreiben ist nicht öffentlich, es liegt dem BR24-#Faktenfuchs nicht vor. Das RKI teilte dem BR24-#Faktenfuchs am 11. Juni 2021 auf Anfrage mit, dass es "generell keine internen Schreiben zur Verfügung" stellt. Später am selben Tag schickt das RKI noch eine längere Stellungnahme nach:

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Die Antwort des RKI auf #Faktenfuchs-Anfrage vom 11. Juni.

Vermutungen können bislang nicht belegt werden

In einer Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums, die dem #Faktenfuchs vorliegt, heißt es zu den Manipulationsvorwürfen:

"Das RKI hat gegenüber dem BMG dabei explizit darauf hingewiesen, dass diese Befürchtungen nicht mit Daten oder Analysen belegt werden können. Es lagen zu keinem Zeitpunkt belastbare Erkenntnisse darüber vor, dass die an das RKI übermittelten Angaben zur Auslastung der intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten künstlich zu hoch angesetzt waren.

Des Weiteren weist das BMG darauf hin, dass Krankenhäuser insgesamt nur begrenzte Steuerungsmöglichkeiten hätten, um die weiteren Voraussetzungen für die Gewährung von Ausgleichszahlungen herzustellen: Sie könnten weder die 7-Tage-Inzidenz noch das Vorhandensein der erforderlichen Versorgungsstruktur beeinflussen.

Immer weniger Krankenhäuser haben Anspruch auf Ausgleichszahlung

Auch die Zahl der freien betreibbaren Intensivbetten sei vom einzelnen Krankenhaus nur begrenzt steuerbar, da es bei den Ausgleichszahlungen nicht auf die Verhältnisse im einzelnen Krankenhaus, sondern auf die Quote der freien betreibbaren Intensivbetten im Landkreis oder der kreisfreien Stadt ankomme. Diese Aspekte wurden auch im #Faktenfuchs-Artikel vom 7. Mai aufgeführt.

Angesichts der flächendeckend sinkenden 7-Tage-Inzidenzen haben zunehmend mehr Krankenhäuser keinen Anspruch mehr auf Ausgleichszahlungen, schreibt das BMG in seiner Stellungnahme weiter:

"Wenn der Vorwurf zuträfe, die von den Krankenhäusern gemeldeten Angaben seien in großem Umfang manipuliert, um die Voraussetzungen für den Erhalt von Ausgleichszahlungen herzustellen, wäre die logische Konsequenz, dass die Zahl der gemeldeten freien Intensivbetten jetzt wieder deutlich steigen müsste, da eine hohe Intensivbettenauslastung keine finanziellen Vorteile mehr für die Krankenhäuser hat. Eine derartige Steigerung kann derzeit aber nicht beobachtet werden."

Krankenhäuser bekommen Einnahmeverluste nur zu 90 Prozent ersetzt

Laut Krankenhausfinanzierungsgesetz bekommen die Krankenhäuser auch nicht alle Einnahmeverluste ersetzt, die ihnen 2020 im Vergleich zu 2019 corona-bedingt entgangen sind, sondern nur zu 90 Prozent.

In dem Faktenfuchs-Artikel vom 7. Mai hieß es, dass die erhobenen Vorwürfe, Krankenhäuser hätten die Zahl ihrer Intensivbetten absichtlich manipuliert, damit sie staatliche Zuschüsse beantragen können, falsch seien. Ohne die Indizien, die dem BRH jetzt offenbar vorliegen, war es nicht haltbar, den Verdacht eines Betrugs zu formulieren, wie es der Corona-Leugner in seinem Video getan hat. Zum damaligen Zeitpunkt waren keine derartigen Belege bekannt, auch in dem von uns untersuchten Video des Corona-Leugners wurden keine angeführt.

Wie uns das BMG am 11. Juni mitteilte, gab es zu keinem Zeitpunkt Belege dafür, dass die Zahl der betreibbaren Intensivbetten "künstlich zu hoch angesetzt war".

DIVI: Kliniken haben sich nicht bereichert

Die DIVI äußert sich wie folgt:

"Selbstverständlich gleichen wir Meldungen im DIVI-Intensivregister mit anderen Daten und weiteren Experten ab. Die DIVI hat keinen Hinweis darauf, dass eine bewusste Falschmeldung der Krankenhäuser erfolgt ist. Wir weisen den Verdacht entschieden zurück, Kliniken würden sich im großen Stil durch bewusste Falschmeldungen bereichern."

Die aktuelle Diskussion zeige aber, dass sich die Datenlage der einzelnen Kliniken deutlich verbessern müsse und man noch mehr Transparenz bräuchte. Die DIVI fordert deshalb eine bessere Digitalisierung der Krankenhäuser inklusive Real-Time-Datenerfassung. “Somit kann auch von vornherein jeglicher Verdacht eines Missbrauches ausgeschlossen werden”, heißt es in der Pressemitteilung weiter.

Das bayerische Gesundheitsministerium hat sich bislang nicht auf #Faktenfuchs-Anfrage geäußert.

Gab es tatsächlich Krankenhäuser, die absichtlich die Zahl ihrer intensivmedizinischen Behandlungsplätze manipuliert haben? Falls tatsächlich konkrete Belege für diese Vermutung bekannt werden sollten oder wir durch eigene Recherchen darauf stoßen, werden wir selbstverständlich darüber berichten.

Update vom 18. Juni 2021

Am 17. Juni berichteten Medien über das Schreiben des RKI ans BMG vom 11. Januar, auf das sich der Bundesrechnungshof in seinem Bericht bezieht. Das Schreiben liegt auch dem BR24-#Faktenfuchs vor. Darin heißt es:

"Zunehmend verpflichten Krankenhäuser hauseigene Controlling-Abteilungen mit der Übermittlung der Daten für das Intensivregister, teilweise offenkundig um monetäre Nachteile für den Standort zu vermeiden." Es sei aber "schwer einzuschätzen, in welchem Umfang sich diese veränderte Nutzung des Intensivregisters bereits verbreitet hat, bereits die Zunahme der Nachfragen ist Grund zur Sorge." Im Schreiben heißt es jedoch auch, es bestehe "keine Möglichkeit einzuschätzen, ob die starke Reduktion der freien [Intensivbetten-]Kapazitäten vollständig der belastenden COVID-19-Behandlungslage geschuldet ist oder zu einem Anteil auch der angepassten Nutzung durch finanzielle Anreize."

Konkrete Belege für Fälle, in denen Krankenhäuser ihre Intensivbettenzahl künstlich nach unten gerechnet hätten, um Ausgleichszahlungen zu erhalten, werden in dem Schreiben nicht genannt. Auch über das Ausmaß möglicherweise manipulierter Abrechnungen werden keine Aussagen getroffen. Tagesschau.de berichtete am 17. Juni, innerhalb des RKI gehe man davon aus, dass "nur in einem kleinen einstelligen Prozentbereich" freie Intensivbetten verheimlicht worden seien. Die Vorstellung, dass deshalb mit falschen Zahlen ein Lockdown begründet worden wäre, sei abwegig, heiße es im RKI.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte am 18. Juni in der Bundespressekonferenz, er könne grundsätzlich nicht ausschließen, dass es auch falsche Meldungen gegeben habe. "Andersrum haben wir jenseits von Vermutungen bis jetzt offenbar auch wenig stichhaltige Nachweise dafür. Das sagt im Übrigen auch der zitierte Brief, dass es diese Vermutung gibt, in dem Brief heißt es sogar ausdrücklich, dass das aus den eigenen Daten und Analysen nicht zu erkennen ist."

Spahn sagte weiter, dass sich das Bundesgesundheitsministerium seit Januar an der Aufklärung der Vorwürfe beteilige. "Aber es muss gleichzeitig auch von der anderen Seite jenseits von Vermutungen gearbeitet werden. Und da ist auch viel Vermutung im Raum."

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