Das Al Schifa Krankenhaus in Gaza-Stadt. (Archivbild: 8.11.2023)
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Die größte Klinik im Gazastreifen ist nach Angaben eines Arztes außer Betrieb.

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Israels Vormarsch in Gaza: Größtes Krankenhaus außer Betrieb

Die Lage in den Krankenhäusern im Gazastreifen wird immer dramatischer. Im Al-Schifa-Krankenhaus, dem größten der Region, soll die Lage besonders prekär sein. Während die Gefechte weiter toben, beraten muslimisch geprägte Länder in Riad.

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Die größte Klinik im Gazastreifen ist nach übereinstimmenden Medienberichten außer Betrieb. "Es gibt keinen Strom mehr", sagte der Arzt des Schifa-Krankenhauses, Ghassan Abu Sitta, am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Es seien auch Raketen auf dem Gelände eingeschlagen. "Die Mehrheit des Personals hat das Krankenhaus verlassen." Die Verletzten, die konnten, seien gegangen. Schwerverletzte werden nach seinen Angaben noch von einem medizinischen Kernteam betreut.

Offenbar zwei tote Neugeborene

"Infolgedessen starb ein Neugeborenes im Brutkasten, in dem sich 45 Babys befinden", sagte Aschraf Al-Kidra, der Sprecher der Gesundheitsbehörde im von der radikal-islamischen Hamas kontrollierten Gazastreifen, zu Reuters. Weitere Säuglinge seien vom Tod bedroht. Die israelische Ärzteorganisation Physicians for Human Rights Israel berichtete, wegen Stromausfällen auf der Neonatologie-Intensivstation des Al-Schifa-Krankenhauses seien zwei Frühchen gestorben, 37 weitere Frühchen seien "in echter Lebensgefahr".

Der Chirurg Mohammed Obeid bestätigte den Tod der beiden Neugeborenen und berichtete, auch ein erwachsener Patient sei durch den Ausfall seines Beatmungsgeräts ums Leben gekommen. "Wir wollen, dass irgendwer uns die Garantie gibt, dass sie die Patienten evakuieren können, denn wir haben etwa 600 stationäre Patienten", sagte er in einer von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen veröffentlichten Audiobotschaft.

Anwohner berichteten, das israelische Militär habe auch in der Nacht zu Samstag in und um Gaza-Stadt Ziele angegriffen. "Die Situation ist schlimmer, als sich irgendjemand vorstellen kann", sagte Kidra. Der gesamte Komplex des Al-Schifa-Krankenhauses werde belagert, die meisten Gebäude würden ins Visier genommen. Das israelische Militär teilte mit, auf dem Gelände des Krankenhauses hielten sich noch immer mehrere Tausend Menschen auf, die in Sicherheit gebracht werden müssten.

Am Samstagabend kündigte das israelische Militär an, am Sonntag dabei zu helfen, Babys aus dem Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt in eine sicherere Klinik zu bringen. Die Mitarbeiter des Krankenhauses hätten darum gebeten, sagt Konteradmiral Daniel Hagari. "Wir werden die nötige Unterstützung leisten." Wie das inmitten der militärischen Auseinandersetzung mit der Hamas gelingen sollte, blieb unklar.

Israel: Greifen Schifa-Krankenhaus nicht an

Nach Angaben des Mediziners Ghassan Abu Sitta soll inzwischen nur noch eine Klinik im Gazastreifen in Betrieb sein. Dort sei das Gelände in ein Lazarett umfunktioniert worden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte am Freitag schon mitgeteilt, es seien derzeit nur noch 20 der 36 Krankenhäuser im Einsatz. Die übrigen Kliniken liefen unter anderem wegen Treibstoffmangels nur im Notbetrieb. Die Kliniken brauchen Treibstoff für Generatoren, um Strom zu erzeugen.

Der Direktor der Schifa-Klinik, Mohammad Abu Salamija, bestätigte, dass der Betrieb dort ausgesetzt worden sei. Zwei Granaten seien im Innenhof eingeschlagen. Auf einem Teil des Geländes brach nach seiner Darstellung zudem ein Feuer aus. Der Klinik-Direktor sprach von "israelischen Angriffen".

Ein Sprecher der israelischen Armee erklärte am Nachmittag, dass das Schifa-Krankenhaus derzeit nicht von israelischen Truppen angegriffen werde. Diese lieferten sich allerdings Gefechte in der Nähe der Klinik. Die Menschen könnten das Krankenhaus aber noch immer sicher verlassen.

Erkenntnissen israelischer Geheimdienste zufolge missbraucht die in dem Küstengebiet herrschende Hamas das Schifa-Krankenhaus als Kommando- und Kontrollzentrum. Auch diese Angaben lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen.

Israel korrigiert Zahl der Opfer des Hamas-Massakers auf 1.200

Das israelische Militär hat als Reaktion auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober den Gazastreifen abgeriegelt und greift dort ununterbrochen Ziele an. Dabei sollen nach palästinensischen Angaben bereits mehr als 10.000 Menschen ums Leben gekommen sein. Laut Hilfsorganisationen ist jedes dritte Opfer ein Kind. Auch hier lassen sich die Angaben nicht überprüfen, Experten halten die Opferzahlen jedoch für glaubwürdig.

Unterdessen hat Israel laut einem Sprecher des israelischen Außenministeriums die Zahl der Opfer bei dem Massaker auf 1.200 Menschen nach unten korrigiert. Bisher war die Zahl der Toten von israelischer Seite immer mit rund 1.400 angegeben worden. "Etwa 1.200 ist die offizielle Zahl der Opfer des Massakers vom 7. Oktober", teilte Lior Haiat am Freitagabend mit. Die Zahl sei am Tag zuvor aktualisiert worden. "Es ist eine aktualisierte Schätzung", schrieb Haiat. Die Zahl könne sich noch ändern, etwa, wenn alle Leichen identifiziert worden seien.

Karte: Die Lage des Gazastreifens

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Nord-Gaza (rot): Dort greift das israelische Militär die Hamas an, Zivilisten sollen in den Süden fliehen, doch auch dort gibt es kaum Schutz.

Abbas fordert Schutz von Zivilisten vor "völkermordendem Krieg"

Während im Zentrum von Gaza die Gefechte zwischen der israelischen Armee und der Hamas anhalten, beraten am Wochenende in Riad zahlreiche Staats- und Regierungschefs arabischer und muslimisch geprägter Länder über die Lage im Gazastreifen.

Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas forderte auf dem Gipfel angesichts der israelischen Angriffe internationalen Schutz für die palästinensische Bevölkerung. Ihr stehe ein "beispielloser völkermordender Krieg" bevor, sagt Abbas. Er fordert die USA auf, Druck auf Israel auszuüben, damit es seine Offensive im Gazastreifen stoppe.

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman forderte ein Ende des Krieges und die Freilassung der von der Hamas verschleppten rund 240 Geiseln. Die Belagerung des Gazastreifens müsse beendet werden, humanitäre Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung müssten ermöglicht werden. Israel trage "die Verantwortung für die Verbrechen gegen das palästinensische Volk".

Die Gipfelteilnehmer betonten in ihrer Abschiedserklärung, das israelische Vorgehen im Gazastreifen könne nicht als Selbstverteidigung bezeichnet "oder unter irgendeinem Vorwand gerechtfertigt" werden. Sie betonten zudem die Bedeutung eines mit dem Westjordanland vereinten Gazastreifens "als Territorium des Palästinenserstaates" mit Ost-Jerusalem als dessen Hauptstadt.

Baerbock: Zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden

Außenministerin Annalena Baerbock wies auf das humanitäre Völkerrecht hin. "Das humanitäre Völkerrecht kennt zivile Opfer. Es beinhaltet jedoch zugleich klare Leitplanken", sagte die Grünen-Politikerin am Samstagabend nach einem Treffen mit dem israelischen Außenminister Eli Cohen in Tel Aviv. "Dazu gehört sowohl das Gebot, die Zivilbevölkerung zu schützen, als auch die Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen." Es gelte, immer zwischen den angestrebten Zielen und den eingesetzten Mitteln abzuwägen. "Die Antwort auf die Frage, wie Israel in Gaza vorgeht, berührt auch die langfristige Sicherheit Israels", sagte Baerbock.

Krankenhäuser seien eben die besonders sensiblen Orte im Rahmen des humanitären Völkerrechts, sagte Baerbock. "Daran hat sich Israel wie jeder Staat der Welt zu halten. Genauso, wie Israel wie jeder andere Staat der Welt das Recht hat, sich zu verteidigen." Baerbock sprach von einem "Dilemma". Forderungen nach einer sofortigen Waffenruhe wie die des französischen Präsidenten Emmanuel Macron wies die Bundesaußenministerin erneut zurück.

Im Video: Krankenhaus im Fokus

Nach einem Einschlag beim Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt hat das israelische Militär betont, nicht auf das Krankenhaus zu feuern.
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Nach einem Einschlag beim Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt hat das israelische Militär betont, nicht auf das Krankenhaus zu feuern.

Mit Informationen von dpa und Reuters

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