Idlib nach dem Erdbeben
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Es fehlt an allem: Verheerende Lage in syrischer Erdbebenregion

Es fehlt an allem: Verheerende Lage in syrischer Erdbebenregion

Die Lage im syrischen Erdbebengebiet ist dramatisch. Menschen graben teils mit bloßen Händen nach Verschütteten. Und jetzt sind auch noch UN-Hilfslieferungen unterbrochen. Die Zahl der Toten in beiden Ländern ist auf mindestens 9.500 gestiegen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Die Lage im syrischen Erdbebengebiet ist dramatisch. Menschen graben teils mit bloßen Händen nach Verschütteten. Es fehlt an schwerem Gerät und Hilfsmitteln. "Die Zeit läuft ab. Hunderte sind immer noch unter den Trümmern eingeschlossen", schrieben die Weißhelme, die nach Überlebenden suchen, auf Twitter. Für die Rettungseinsätze werde dringend internationale Hilfe benötigt.

Menschen seit über einem Tag im Freien

Viele Menschen sind seit dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet seit Montagmorgen im Freien, bei Regen, Schnee und beißender Kälte. In Parks und auf Plätzen versuchen sie, sich mit Decken und Plastikplanen notdürftig vor Kälte und Nässe zu schützen.

Al Jazeera Correspondent Alaa Al-Youssef kämpfte bei einer Live-Schalte, bei der er in Nordsyrien vor einem völlig zerstörten Haus stand, mit den Tränen. "Von Katastrophe zu Katastrophe, die Lage ist unerträglich", sagte er.

Schlechte Infrastruktur, marode Straßen

Eines der am schwersten betroffenen Gebiete ist die Region Idlib, die unter der Kontrolle von Rebellen steht. "Die Infrastruktur ist sehr schlecht, die Straßen sind in einem schlechten Zustand, ebenso die Krankenhäuser. Es gibt wenig große Gemeinschaftsunterkünfte", sagte Simone Pott von der Welthungerhilfe BR24. Die Welthungerhilfe hat Kollegen vor Ort in der Türkei und in Syrien. In Syrien arbeite die Welthungerhilfe mit lokalen Partnerorganisationen zusammen. "Die schauen gerade, wo sie erste Hilfsgüter herbekommen wie warme Kleidung, Nahrungsmittel, Heizöfen." Es gehe darum, Hilfsgüter so schnell wie möglich zu verteilen." Das Welternährungsprogramm der UN versorgte die Flüchtinge in der syrischen Grenzregion bisher über die Türkei. "Unsere Leute verschaffen sich einen Überblick“, so Sprecher Martin Rentsch.

UN-Hilfslieferungen unterbrochen

Derzeit sind allerdings wichtige UN-Hilfslieferungen von der Türkei nach Syrien aufgrund beschädigter Straßen und anderer logistischer Probleme unterbrochen. Dies sei derzeit nicht möglich, sagt die Sprecherin des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, Madevi Sun-Suona. "Wir können noch nicht sagen, wann es weitergeht." In der Region waren schon vor dem Erdbeben etwa vier Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen.

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Nach UN-Angaben trafen die Beben in dem Bürgerkriegsland vor allem Menschen, die ohnehin schon unter desaströsen Bedingungen lebten. Einige der betroffenen Gebiete seien zudem abgelegen und nur schwer erreichbar, wie eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sagte. Es gebe nicht genügend Notunterkünfte, Decken und warme Kleidung. Zudem sind Elektrizität und Kraftstoffe nicht ohne Weiteres verfügbar.

Derzeit ist allerdings nur ein Grenzübergang, der türkisch-syrische Übergang Bab al-Hawa offen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte deshalb die Öffnung aller Grenzübergänge, um schnelle Hilfe zu ermöglichen. Es sei "das absolute Gebot jetzt, dass die humanitäre Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird". Alle internationalen Akteure - Russland eingeschlossen - sollten "ihren Einfluss auf das syrische Regime nutzen, dass die humanitäre Hilfe für die Opfer dort auch ankommen kann", betonte Baerbock. Es dürften keine zusätzlichen Hürden aufgebaut werden.

Damaskus will Hilfsgüter an alle Syrer weiterleiten

Die syrische Regierung versicherte unterdessen, dass Hilfsgüter auch in die nicht von Damaskus kontrollierten Gebiete des Landes weitergeleitet würden. Die Regierung werde Hilfe "an alle betroffenen Syrer und in alle Gebiete Syriens" weitergeben, sagte in New York der UN-Botschafter des Landes, Bassam Sabbagh.

Aufhebung der Sanktionen gefordert

Syrische Hilfsorganisationen riefen die USA und die EU derweil zur Aufhebung von Sanktionen auf. Sein Land brauche jetzt dringend Hilfe, sagte der Leiter des Syrisch-Arabischen Roten Halbmonds, Chalid Hbubati. "Ich fordere die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien. Das ist das Wichtigste für uns", sagte er. Für Rettungseinsätze würden Baumaschinen gebraucht. Die Sanktionen gelten seit 2011, als der syrische Präsident Baschar al-Assad gewaltsam gegen Proteste vorging, was zum bis heute anhaltenden Bürgerkrieg führte.

Ärzte: Situation ist "katastrophal und grausam"

Auch die medizinische Situation im Erdbebengebiet ist nach Berichten von Ärzten "katastrophal und grausam". In Idlib und Umgebung fehle es an schweren Maschinen zur Rettung von Verschütteten ebenso wie an Hilfsmaterial, sagte der Mainzer Arzt Gerhard Trabert, der mit Ärzten in Nordsyrien in Verbindung steht. "Die Lage in Idlib ist furchtbar, es sind so viele Menschen verschüttet."

In Kobane nahe der türkischen Grenze ist ein Mitarbeiter von Traberts Verein Armut und Gesundheit im Einsatz. Der aus Kobane stammende Arzt lebt inzwischen mit seiner Familie im Saarland, hält sich aber seit Januar in der von ihm geleiteten medizinischen Ambulanz für Diabetiker auf. Er habe geschrieben, dass auch in Kobane etliche Häuser eingestürzt seien, berichtete Trabert. In der Ortschaft Jable in der Nähe von Latakia an der Küste stürzte Berichten zufolge ein Gebäude ein, in dem eine ärztliche Gemeinschaftspraxis untergebracht war; vier Ärzte kamen ums Leben.

Kirchen und Moscheen öffnen für Obdachlose

In Syrien öffneten Moscheen und Kirchen ihre Pforten, um Betroffene aufzunehmen. Alle Gotteshäuser der christlichen Minderheit hätten ihre Türen für Obdachlose geöffnet, sagte der Franziskanerpater Bahjat Elia Karakach dem italienischen Pressedienst SIR. Allein in seiner Pfarrei in der schwer getroffenen Millionenstadt Aleppo übernachteten mehr als 400 Personen auf dem Boden und auf Sitzen.

Unicef fordert Hilfe für Familien

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) rief unterdessen zur Unterstützung für die Erdbebenopfer in beiden Ländern auf. Das stärkste Erdbeben in der Region seit fast 100 Jahren sei zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt für viele besonders verletzliche Kinder gekommen, erklärte Unicef-Sprecher James Elder in Genf. Obdachlos gewordene Familien seien Temperaturen unter null Grad Celsius, Schnee und Eisregen ausgesetzt. Vertriebene Familien im Nordwesten Syriens und syrische Flüchtlingsfamilien, die in der Türkei in "informellen Siedlungen" lebten, gehörten zu den am stärksten gefährdeten Menschen, betonte das Hilfswerk. Im Nordwesten Syriens habe bereits vor den Erdbeben eine akute Notsituation geherrscht.

Neugeborenes aus Trümmern gerettet

Besonders herzzerreißend ist die Rettung eines Babys im Nordwesten Syriens. Helfer zogen das nackte, staubbedeckte Neugeborene, an dem noch die Nabelschnur hing, aus den Trümmern eines vierstöckigen Wohnhauses in der Region Afrin. Die Mutter kam bei dem Erdbeben ums Leben. Das Mädchen ist die einzige Überlebende ihrer Familie. Auch sein Vater, seine drei Schwestern, sein Bruder und seine Tante konnten nur noch tot geborgen werden. Angehörige hatten nach der verschütteten Familie gesucht. "Dann haben wir ein Geräusch gehört und wir gruben", erzählt einer von ihnen, Chalil Sawadi, der Nachrichtenagentur AFP. "Wir haben Trümmer weggeräumt und diese Kleine gefunden, gelobt sei Gott."

In den Erdbebengebieten wie in Hama werden inzwischen die ersten Toten beerdigt. "Es ist schrecklich", sagte Abdallah al Dahan, ein Einwohner der Stadt. "In meinem ganzen Leben habe ich so was noch nicht gesehen, bei allem was uns schon widerfahren ist."

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Mit Informationen von afp, KNA, dpa, epd und Reuters

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