Beratungen der Regierungschefinnen und -chefs der Länder im Bundeskanzleramt in Berlin unter der Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
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Beratungen der Regierungschefinnen und -chefs der Länder im Bundeskanzleramt in Berlin unter der Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

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"Menschen verlieren die Nerven": Frust nach Bund-Länder-Treffen

Viele hatten sich einen deutlichen Fahrplan für die angekündigten Entlastungen gewünscht. Umso größer ist die Enttäuschung nach dem gestrigen Treffen von Kanzler Scholz mit den Länderchefs. CDU-Chef Merz sieht einen "Abend der verpassten Chancen".

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Zu spät, zu unkonkret und nicht weitreichend genug – die Kritik nach dem Treffen zwischen Bund und Ländern wird immer lauter. Viele hatten sich klare Ergebnisse und einen deutlichen Fahrplan mit Blick auf die angekündigten Entlastungen gewünscht. Doch nach dem Treffen gibt es immer noch viele offene Fragen – die wohl größte: die Frage der Finanzierung.

Merz macht Scholz für fehlende Einigung verantwortlich

Die Union macht die Bundesregierung und Kanzler Olaf Scholz (SPD) für die fehlende Einigung von Bund und Ländern bei der Finanzierung von Entlastungen verantwortlich. Das Treffen sei "ein Abend der verpassten Chancen" gewesen, "der die Bürgerinnen und Bürger verunsichert zurücklässt", sagte Unionsfraktionschef Friedrich Merz der Funke Mediengruppe. Scholz und der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Stephan Weil (SPD), seien "alleine verantwortlich, dass es keine Ergebnisse gibt".

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisierte nach den ergebnislos gebliebenen Bund-Länder-Beratungen ein zu langsames Vorgehen. "Es dauert alles viel zu lange", sagte Kretschmer im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF. Die Länder hätten vergangene Woche gesagt, was kommen müsse. "Die Menschen verlieren die Nerven", warnte er. Zudem wüssten die Unternehmen nicht, wie es weiter gehen solle.

Rehlinger: Auch Länder müssten kompromissbereit sein

Nordrhein-Westfalens Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) warf der Bundesregierung mangelnde Kompromissbereitschaft vor. Der Bundeskanzler und sein Kabinett hätten "heute kaum Kompromissbereitschaft bei den ganz wesentlichen Fragen erkennen lassen", sagte Wüst am Dienstagabend in Berlin. Insbesondere bei der Lastenverteilung zwischen Ländern und Bund sei die Bundesregierung "nicht ansatzweise ausreichend entgegengekommen".

Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) dringt dagegen auch auf die Kompromissbereitschaft von Seiten der Länder. "Der Bundeskanzler hat mit einem massiven Entlastungspaket einen riesigen Schritt auf die Länder zu gemacht, nun müssen wir auch ein Stück weit entgegenkommen", erklärte Rehlinger in Saarbrücken. "Ich sehe auch die Länder in der Pflicht, ihren Anteil zu stemmen", hob die SPD-Politikerin weiter hervor. Für die Bewältigung der Energiekrise sei "ein nationaler Schulterschluss" erforderlich.

Bartsch: "Enttäuschung mit Ansage"

Der Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, bezeichnete das Ergebnis der Beratungen von Bund und Ländern als "eine Enttäuschung mit Ansage". "Während die Heizsaison begonnen hat, diskutieren Bund und Länder, wie die Bürger sie bezahlen sollen", sagte Bartsch. Er kritisierte, Gas- und Strompreisdeckel hätten längst "wie ein Bollwerk vor Bürgern und Unternehmen stehen müssen" und forderte, dass kommende Woche im Bundestag "alle Maßnahmen abschließend fixiert werden" müssten.

Auch Janine Wissler, die Bundesvorsitzende der Linken, kritisierte das späte Handeln der Bundesregierung. Im "Morgenmagazin" forderte sie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, um die Bürger dadurch zu entlasten.

Kommunen: schnelle Entscheidung bei Flüchtlingsaufnahme nötig

Enttäuscht reagierten auch Spitzenvertreter von Städten und Gemeinden. "Die Städte spüren die steigenden Energiepreise in ihren Schulen, Kitas und Schwimmbädern. Wir fordern, dass auch die Städte und ihre Einrichtungen von einer Gaspreisbremse profitieren können", sagte Städtetagspräsident Markus Lewe, der Oberbürgermeister von Münster (CDU) ist. Vom Bund fehle hierzu eine klare Aussage.

Lewe nannte es enttäuschend, dass sich Bund und Länder nicht auf einen Rettungsschirm für Stadtwerke hätten verständigen können. Zudem mahnte er eine schnelle Entscheidung zur Kostenteilung bei der Flüchtlingsaufnahme an. Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, bedauerte eine fehlende Einigung bei der Finanzierung der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen. Die Zeit dränge, "der Winter steht vor der Tür", mahnte er.

  • Zum Artikel: "Kommunen enttäuscht von Bund-Länder-Gipfel"

Handwerk fordert mehr Tempo

Das Handwerk forderte in einer ersten Reaktion nach dem Treffen mehr Tempo beim Krisenmanagement. Bund und Länder hätten es bisher verpasst, ein gemeinsames kraftvolles Signal gegen die vielen Krisen auszusenden, sagte der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Hans Peter Wollseifer. "Das ist in der jetzigen Lage zu wenig. Wir haben konkretere Ergebnisse von dieser Runde erwartet."

Wollseifer sagte, die Betriebe und Beschäftigten seien auf eine schnellstmögliche Umsetzung der seit langem geforderten Gas- und Strompreisbremse sowie Härtefallhilfen angewiesen. "Bei den Details und der Umsetzung muss jetzt aufs Tempo gedrückt werden." Zeit sei für viele Betriebe mittlerweile das knappste Gut.

Diakonie: Menschen können nicht bis zum kommenden Jahr warten

Auch der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, zeigte sich enttäuscht. Lilie forderte in Berlin: "Wir brauchen ein klares Signal politischer Handlungsfähigkeit. Dies gilt besonders für Einkommensarme." Menschen in einer bedrohlichen finanziellen Lage könnten nicht bis zum kommenden Jahr auf Entlastungen warten.

Auch die gemeinnützigen Einrichtungen der Diakonie, vom Pflegeheim bis zur Schuldnerberatung, bräuchten direkte Hilfen bei den Energiekosten, um nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten, sagte Lilie. Die Diakonie fordert für Menschen in der Grundsicherung, Wohngeldempfänger, Kinder und bedürftige Rentnerinnen und Rentner übergangsweise eine monatliche Sofortzahlung von 100 Euro. Damit werden nach Angaben des evangelischen Wohlfahrtsverbandes die nach Einkommen unteren 20 Prozent der Haushalte wirksam entlastet.

Mit Material von dpa, AFP, reuters und epd

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