Die Römer in Augsburg (Augusta Vindelicum).
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Gerade wieder schwer angesagt: Alte Römer, hier: in Augsburg (Augusta Vindelicum). Kolorierter Holzstich, um 1850.

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Netz-Hype: Warum Männer angeblich oft ans Römische Reich denken

Glaubt man einem neuen Internet-Hype, denken ziemlich viele Männer ziemlich oft ans alte Rom. Wirklich? Und wieso das? Wir suchen Antworten: mit einem Geschichtsprofessor, einem Römerstadt-Bewohner, der Psychologie – und Monaco Franzes Haushälterin.

"Wie oft denkst du ans Römische Reich?"

Die Frage an sich – derzeit in hunderten TikTok-Videos von jungen Frauen an ihre Freunde oder an ihre Väter gerichtet und millionenfach angeklickt – ist seltsam genug. Noch seltsamer: Ziemlich viele der Gefragten geben an, ziemlich oft ans alte Rom zu denken: "erst letzte Woche", "zwei bis drei Mal im Monat" oder gar "praktisch dauernd".

Ausgelöst wurde der Internet-Hype um die Alten Römer wohl durch einen jungen Schweden, den Geschichts-Influencer Artur Hulu, der sich in seiner Freizeit gerne in den Legionär Gaius Flavius verwandelt: Seine auf Instagram gepostete Aufforderung an die "Ladies", ihr männliches Umfeld mal auf das alte Rom anzusprechen, gilt als der Stein, der die Lawine ins Rollen gebracht hat.

Antwort A - die bayrisch-lokalpatriotische: Auch ich in Arkadien!

Spinnen jetzt also auch die Nicht-Römer? Vielleicht - die Bayern aber nicht unbedingt.

"Lange Zeit ist die Wissenschaft, auch aus nationalem Denken heraus, davon ausgegangen, dass die Römer um 488 aus Bayern abgezogen sind", erklärt Dieter Weiß, Geschichtsprofessor an der Münchner LMU, der sich intensiv mit altrömisch-bayerischen Bezügen beschäftigt hat. Heute gäbe es viele Hinweise, dass dem nicht so ist – beginnend bei Orts- und Landschaftsnamen: "Nicht nur Passau, dass von Batava kommt, oder Marzling, das seinen Namen dem Römer Marcellinus verdankt. Der Walchensee ist der See, an dem die Walchen oder Welschen, also Romanen gesiedelt haben." Dazu kämen die baulichen Hinterlassenschaften, auf denen Bayerns älteste Städte gründen. "Die altbayerischen Bischofssitze außer Freising sind alle römischen Ursprungs."

Wer diesseits des Limes (also südlich einer Linie Miltenberg-Gunzenhausen-Passau) wohnt, muss seit jeher aufpassen, dass er – zwar nicht beim Gehen, aber beim Bauen – nicht über antike Sanitäranlagen, Ohrenschützer oder sonstige römische Reste und Relikte stolpert. Von Aschaffenburg über Kempten – als Cambodunum übrigens die älteste schriftlich erwähnte römische Stadt Deutschlands – bis Weißenburg dehnt sich das "Netzwerk Antike in Bayern", ein Zusammenschluss aus sieben archäologischen Zentren.

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Der rechte Ohrenschutz eines Paradehelms des römischen Soldaten "December" - zu sehen im Römerpark Ruffenhofen.

"Römer, Kelten und Germanen prägten das antike Bayern", schreibt das Netzwerk, wobei es heute eine Art ungeschriebene Rangfolge gibt: Wessen Stadt von den Römern gegründet wurde (wie etwa Regensburg, wo man gerne darauf hinweist, dass die Stadt kein Regenloch ist, sondern einst "castra regina" war, also königliches Lager) – der ist meist noch etwas stolzer als jemand, der sich über keltischen Boden bewegt (sofern dieser keinen Goldschatz birgt). Germanische Überreste gelten zivilisationsgeschichtlich eher als Trostpreis, weshalb schon König Ludwig I. mindestens "zwei bis drei Mal im Monat" an die Antike dachte, halb Bayern mit pseudo-antiker Architektur aufpimpte – und München sich bis heute für die "nördlichste Stadt Italiens" hält.

Westlich von München, in Augusta Vindelicum (Augsburg), sitzt Jürgen Enninger, Kulturreferent der Stadt, die 2028 zusammen mit Kempten und Straubing eine große Landesausstellung über das "Römerland Bayern" stemmen will. "Wenn Sie mich fragen: Ich denke gerade täglich fünfmal an Rom", sagt er. Ein Viertel der Augsburger Stadtgeschichte, so Enninger, sei römische Geschichte – von Christi Geburt bis nach 500. Und das ist heute noch spürbar. "Wenn Sie am Augustusbrunnen sitzen und aufs Rathaus schauen, da sind römische Steine verbaut. Und das Staatstheater, das gerade renoviert wird, liegt direkt an der Straße nach Kempten."

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Der - kürzlich von Barbaren geraubte - Goldschatz des Römermuseums Manching

Antwort B - die verspielte: Alte Römer tanzen anders...

Was Antwort A bröseln lässt wie Pompeji: Der Schwede Artur Hulu (alias Gaius Flavius) ist eindeutig hinter dem Limes zu Hause. Und auch amerikanische Männer scheinen Gaius Flavius – zahlreichen TikTok-Videos zufolge – erstaunlich oft ans alte Rom zu denken. Falls sie es nicht mit "Game of Thrones" verwechseln.

Was uns zu Antwort B bringt, dem "Homo Ludens". Der Mensch sei nur da ganz Mensch, wo er spielt, urteilte schon Schiller, und meinte damit: Theater. Aber auch Räuber und Schandi. Barbie und Ken. World of Warcraft. In Landshut spielten in diesem Jahr 2.500 Menschen der Jetztzeit Mittelalter, eine halbe Million andere schauten zu.

Und dann sind da eben alte Römer wie Gaius Flavius aus Linköping und die "AntikTok-Männer". Unbemerkt von Menschen, die stur in ihrer Gegenwart leben, haben sich in Bayern wie anderswo längst neue römische Legionen gegründet. "Reenactment" oder "Living History" nennt man das. (Die Selbstbeschreibung der Legio II Italica p.f. lesen Sie hier). "Der Lorbeerkranz, ein neuer Tanz / Schwingt Rhythmus in die Hüften der Stadt", singt Falco in seinem Song Alte, pardon, Junge Römer, und weiter: "Wir spielen jedes Spiel." Jürgen Enninger sieht das ähnlich: "Wissen Sie, wie sich die Ultras des FC Augsburg nennen? Legio Augusta!"

Antwort C - die melancholische: Spätrömische Dekadenz

Das Imperium: auch Wladimir Putin träumt von einem. In den USA will einer nochmal Präsident werden, den manche für einen gescheiterten Usurpator (vulgo: Putschisten) oder Nero mit Golfschläger statt Geige halten. Mit der Deutschen Bahn geht es langsamer voran als auf der Via Appia, die Sitten im Netz (O tempora, o mores!) verrohen, und wenn die Inflation so weitergeht, kostet ein Kopfsalat bald so viel wie einst ein Pfauenei. "Macht's nur so weiter", sagte schon 1982 Monaco Franzes Haushälterin Erni Singerl, während der feine Herr im Englischen Garten Schampus-Picknicks veranstaltet (Folge 8, zu sehen derzeit in der ARD-Mediathek).

"Gibt's denn bald überhaupts nix mehr, was ned teurer oder weniger wor'n is als wia gestern?" – "Na. Aber billiger und mehra als wia morgen is heid oiwei no." Erni Singerl und Willy Harlander auf dem Viktualienmarkt in "Monaco Franze, Teil 8"

Seuchenfurcht und Stromausfall, Überfluss, Überdruss, Niedergang: ein Hauch von "Fall des römischen Reichs" liegt in der Luft, könnte man meinen. Einer gibt auf TikTok zu Protokoll, er denke jeden Tag daran, ob er als Legionär überleben könnte. Ein anderer antwortet auf die Nachfrage, woran er bei Rom genau denke: "Wie es erbaut wurde ... und wie es gebrannt hat".

Jürgen Enninger hat ein einfaches Argument gegen die "Verfallstheorie": "Offiziell dauerte das Römische Imperium im Heiligen Römischen Reich fort".

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Die "Porta Praetoria" in Regensburg: Im Lauf der Jahrhunderte abgesackt, aber nicht untergegangen.

Antwort D - die web-psychologische: Alles Ansichtssache

Man würde Leuten wie Augsburgs Kulturreferent Jürgen Enninger die neu aufgeflammte Begeisterung fürs alte Rom ja gönnen. Könnte aber auch alles ein Missverständnis sein, wie einige Videos vermuten lassen: Antwortet der gut erzogene Mann auf die – mit vorgehaltener Kamera hinterhältig abgeschossene – Frage der Liebsten vielleicht vorsichtshalber mit Ja (im Sinne von: ja mei) – und muss, weil er ja nicht als Hanswurscht (lateinisch: balatro) dastehen möchte, hinterher begründen, warum er das gesagt hat? Oder, nochmal anders: Was, wenn fast nur jene Frauen ihre "römische Inquisition" ins Netz gestellt haben, deren Männer wunschgemäß mit "Ja" geantwortet haben?

Der Psychologe Paul Watzlawick erinnert in seinem Buch "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" an einen anderen Hype im Seattle der späten 1950er. Damals stellten immer mehr Autobesitzer fest, dass ihre Windschutzscheiben von "kraterartigen Kratzern" übersät waren. Das Phänomen beschäftigte bald die Medien, dann die Behörden. Lag es am Asphalt? Waren Atomtests die Ursache? Bis schließlich eine Kommission zum Ergebnis kam, dass es in Seattle nicht mehr verkratzte Windschutzscheiben gab als irgendwo sonst: Nur hatten dort, medial aufgescheucht, tausende Menschen ihre Autos inspiziert und – "selbstbestätigend und selbstverstärkend" – winzige Schäden bemerkt, auf die vorher niemand geachtet hatte. Es gab also, so Watzlawick, "keine Epidemie zerkratzter, sondern angestarrter Windschutzscheiben".

Eine Anekdote, die auch manches andere Social-Media-Phänomen erklären könnte.

Audio: Der Limes - die Außenhaut des Römischen Reiches

Alte Abbildung eines Limes-Wachturms
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Der Limes in Bayern

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