Gesprächssituation zwischen einer Kundin und einer Verkäuferin von Kochgeschirr. Sie präsentiert der Kundin Speisen, die sie frisch gebacken hat.
Bildrechte: Lukas Graw/BR

Viele bayerische Traditionsunternehmen mussten Insolvenz anmelden. Traditionsunternehmen sein, das ist kein Grund, sich zurückzulehnen.

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Das Ende der bayerischen Traditionsunternehmen?

Ein Traditionsunternehmen sein – klingt wie ein Ritterschlag. Doch in Bayern gingen in letzter Zeit viele Firmen insolvent. Eine lange Tradition weist daher lediglich auf eine erfolgreiche Vergangenheit hin. Über die Zukunft sagt das aber nichts aus.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

München Zentrum, direkt am Viktualienmarkt. Hier hat ein Geschäft in diesem Jahr seinen 225. Geburtstag gefeiert: Kustermann, ein Laden für Haushaltswaren. Ganz vorne, am Eingang, arbeitet Uschi Schubert-Theisinger. Sie steht an einem Herd. Backt Brot und Quiche. Spricht die Menschen an, sie sollten doch bitte probieren. Mit einem Gusseisentopf werde die Kruste besonders knusprig; sie könne ihnen, den Kunden, natürlich gerne einen Topf mitgeben.

Schubert-Theisinger ist seit einem Vierteljahrhundert in dem Unternehmen. Anpreisen, präsentieren, genau ihr Ding. Sie soll und möchte gute Laune verbreiten, den Einkauf zum Event machen – und das gehe heute besser denn je, sagt sie. Denn sie dürfe lauter, bunter, fröhlicher sein als früher. Shopping als Event, das ist heutzutage ein Muss. Andernfalls kaufen die Kunden im Internet. Dort gibt’s viele Töpfe und Pfannen deutlich günstiger als bei dem Traditionsunternehmen.

Was ist Tradition?

Eine konkrete Definition, was ein Traditionsunternehmen ist, gibt es nicht. Wer im Internet sucht, findet die Aussage: "Ein Traditionsunternehmen ist ein Betrieb, dessen Gründung weit zurückliegt." Nicht sehr konkret. Aber die Behauptung 'ein Unternehmen, das seit 50 Jahren existiert, hat Tradition' – die würden wohl viele gelten lassen.

In Oberbayern ist nur gut ein Prozent aller Unternehmen 50 Jahre oder älter, in Schwaben sind es immerhin rund zwei Prozent, das antworten die Bayerischen Industrie- und Handelskammern auf Anfrage. Die Zahlen sind aber nur Richtwerte, erläutern sie. Denn manchmal werden Gründungsjahre verändert, bei manchen Namensänderungen etwa.

Firmen müssen sich ständig neu erfinden

Klaus Gutknecht ist Professor für Marketing und Unternehmensstrategie an der FH München. Tradition sei kein Label, auf dem man sich ausruhen sollte, sagt er. Die Kunden wollten einen guten Mehrwert haben. Es gehe darum, sich an die Bedürfnisse der Kundschaft anzupassen und sich entsprechend zu ändern.

Aufgabe eines erfolgreichen Unternehmens sei es, sich klar zu werden, wie es sich zwischen klassischem Handel und Onlinegeschäft positioniert. Technologien mit offenen Armen empfangen und dann entscheiden, wie man sie nutzt. Kundenkontakt sei extrem wichtig. Unternehmen müssten konkret überlegen, wie sie sich bei Themen wie E-Mail-Marketing, Social Media und Onlineshops aufstellen. Nicht jede Firma müsse alles nutzen, aber sie müsse wissen, warum sie sich dagegen entscheidet.

Immer wieder gehen Firmen pleite

Regelmäßig gehen Firmen mit großen Namen pleite. Erst vor Kurzem hat der Spielzeughändler Haba Insolvenz angemeldet, der Feinkosthändler Schlemmermeyer auch. Das Modehaus Hallhuber schon zum wiederholten Mal.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion aufgrund von Kommentaren etwa des Nutzers "farbwbm" zu Gründen für Insolvenzen im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt.

Aber auch wenn es immer wieder Insolvenzen großer Namen gab, von einem Ende der Traditionshäuser könne man nicht sprechen, betont die IHK für München und Oberbayern. Die Wirtschaftslage sei allgemein schwierig – und betreffe traditionelle und junge Firmen gleich stark. Hohe Energiepreise in Deutschland, Fachkräftemangel, die Inflation, geringerer Konsum - nicht immer ist ein ökonomisches Missmanagement ausschlaggebend für das Ende eines Unternehmens. 💬

Wenn eine Firma lange existiert, war sie in der Vergangenheit erfolgreich. Über die kommenden Jahre sagt das aber nichts aus.

Seminare zur Unternehmensführung

Gutknecht gibt im Auftrag der gemeinnützigen Rid-Stiftung für den bayerischen Einzelhandel regelmäßig Seminare für junge Menschen, die erfolgreiche Unternehmen führen und das auch in Zukunft tun wollen. Christoph Mießl ist einer von ihnen. Er leitet Elephant Cargo, ein Geschäft für Lastenräder in Augsburg. Hinter dem Geschäft steckt Dynamo, eine ehemalige Fahrradwerkstatt, die aber seit rund 35 Jahren auch selbst Fahrräder verkauft.

Auch hier zeigt sich, wie sich das Unternehmen an den Markt angepasst hat. Erst Werkstatt, dann Fahrradhändler, jetzt eine eigene Filiale für Lastenräder. Das Ziel von Christoph Mießl: Aus den Kunden eine Gemeinschaft machen. Er und sein Team veranstalten monatlich Ausflüge. Gemeinsam mit der Stammkundschaft geht’s stilecht zu Hofläden in der Umgebung. Lastenrad und regionale Lebensmittel, das passt zusammen. Und die Lastenradkarawane ist dann gleich Werbung fürs Geschäft – besser als jede Plakatwand.

Wandel ist wichtig

Der Münchner Warenhändler Kustermann beweist seit mehr als 200 Jahren seine Wandlungsfähigkeit. Gegründet als Eisenwarenhandel, verkaufte es Nägel, Schrauben, Hämmer. Dann kam die eigene Schmiede, die Eisenwaren wurden größer. Auch jetzt noch gibt es Spuren davon in München. Gullydeckel von Kustermann, viele Jahrzehnte alt, aber immer noch zu finden, oder Werkzeug. Bekannt ist der Laden mittlerweile für sein Sortiment an Tischdecken, Geschirr, Porzellan und Töpfen.

Und der Wandel hört nicht auf. Das Unternehmen ist nämlich zum Vermieter geworden: Veranstaltungsräume in den oberen Stockwerken für Firmen, die bei ihren Konferenzen über den Viktualienmarkt blicken wollen. "Eventlocation Kustermann" – damit hätte der Schraubenverkäufer vor 225 Jahren sicher niemals gerechnet.

Aber ohne diese Flexibilität würde es das Geschäft vermutlich nicht mehr geben.

Dieser Artikel ist erstmals am 21. September 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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