Wellen (Symbolbild)
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Corona-Sprache: "Die Menschen sind ja nicht doof"

"Welle" und "Mutation", "Klopapier" und "Öffnungsrausch": Der Umgang mit Sprache hat sich während der Corona-Pandemie verändert. Das gilt besonders für die Kommunikation von Politikern, erläutert Sprachforscher Friedemann Vogel im Interview mit BR24.

Friedemann Vogel, Jahrgang 1983, arbeitet als Germanistik-Professor an der Universität Siegen. Seit einem Jahr beschäftigt er sich auch mit politischer Sprache in Corona-Zeiten.

BR24: Politiker und Virologen warnen während der Pandemie regelmäßig vor einer "Welle". Was löst dieses Bild aus?

Vogel: Die "Welle" ist eine typische Katastrophen-Metapher, die in der politischen Kommunikation vielfach eingesetzt wird. Die Botschaft: Eine Gefahrensituation baut sich auf und droht dann über einen hereinzubrechen - mit negativen und unabsehbaren Folgen.

Inzwischen sind wir in Deutschland bei Corona-Welle Nummer drei. Nutzt sich so eine Metapher ab?

Wenn man eine Warnung zu oft ausspricht und extrem stark betont, kann sie natürlich ihren Effekt verlieren. Irgendwann könnten die Menschen entgegnen: "Na und, ist es halt die zehnte Welle, wir haben doch alle überlebt." Aber das ist nicht gesagt. Denn die Wellen-Metapher verwenden Politiker schon seit Jahrzehnten, sie ist weit verbreitet. Und jedes neue sprachliche Bild müsste sich erstmal in der Öffentlichkeit durchsetzen. Sprachliche Abwechslung ist zwar immer gut, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Aber die Menschen sind ja nicht doof. Am Ende kommt an: Warnung, Warnung, Warnung!

Sind Dauer-Warnungen nicht gefährlich – und fördern Leichtsinn?

Vielleicht an einem Ort, der bisher nicht stark vom Infektionsgeschehen betroffen war. Aber wo schon viele Leute vielleicht auch schwer erkrankt sind, brauchen die Menschen vermutlich nicht mal die Wellen-Metapher, um genug gewarnt zu sein.

Was auch auffällt: Viele Politiker personalisieren das Corona-Virus. "Das Virus folgt seiner Biologie", "Das Virus macht keine Deals mit der Politik": Sind das hilfreiche sprachliche Kniffe?

So ein Virus ist ja sehr schwer zu fassen. Durch eine Personifizierung macht man das Virus zu einem fast schon logisch agierenden Akteur mit eigenem Willen. So ein Deutungsschema kann sinnvoll sein, wenn man bestimmte Mechanismen veranschaulichen will. Beim Satz "Das Virus macht keine Deals mit der Politik" sieht das aber anders aus. Wenn ein Regierungsmitglied das sagt, will man sich Kritik an der eigenen Corona-Politik vom Hals schaffen. Tenor: Was der politische Gegner vorhat, sind nur "krumme Deals" - was wir machen, ist dagegen rationale, alternativlose Politik.

Der Satz ist von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der auch seit einem Jahr die Worte "Vorsicht" und "Umsicht" extrem oft verwendet - also für seine Politik beansprucht.

Politische Kommunikation ist immer auch Image-Arbeit. Sie beschreibt, was sein soll. Natürlich hat das mit Inszenierung zu tun. Aber das Ganze erfüllt auch eine weitere Funktion: Wer sich selbst das Wort "Umsicht" zuschreibt, macht es Kritikern schwer. Jede Form von Kritik lässt sich dann als irrational diskreditieren. Ein anderes Beispiel ist Söders Formulierung "Öffnungsrausch": Das unterstellt Forderungen nach Öffnungen eher krankhafte Motive.

Das müssen Sie erläutern.

Das Wort "Öffnung" ist wertneutral, vielleicht sogar positiv. Man denkt an Lockdown-Ende und mehr Bewegungsfreiheit. Durch den Zusatz "Rausch" wird das Ganze im gleichen Atemzug als negativ, irrational und verantwortungslos markiert. Was aber wichtig ist: Das alles ist ganz "normale" politische Kommunikation heutzutage. Auch die Opposition verwendet entsprechende Formulierungen - wenn etwa Kritiker des sogenannten "Betreuungsgelds" eher von "Herdprämie" sprechen.

Inzwischen dominiert alle Corona-Debatten ein kleines Wort: "Mutation". Spräche man nicht besser von einer "Virus-Variante", weil "Mutation" immer gleich nach Horrorfilm klingt?

Ich finde nicht. "Mutation" und "Mutante" - das sind Ausdrücke, die zwar im öffentlichen Diskurs eher negativ geprägt sind. Aber in biologischen und medizinischen Fachkreisen hat "Mutation" eine wertneutrale Bedeutung. Gemeint ist einfach nur, dass sich bestimmte Organismen in ihrem Erbgut verändern. Das ist ein gutes Beispiel: Viele Fachausdrücke aus der Virologie und anderen Wissenschaften haben mit der Corona-Pandemie Einzug in unsere Alltagssprache gehalten, werden aber nur selten adäquat "übersetzt". Das führt leicht zu Missverständnissen.

Auch sonst hat sich Sprache verändert im vergangenen Jahr. Bei „Haushalt“ dachte man früher an die auszuräumende Spülmaschine, inzwischen fragt man sich, wie viele andere Haushalte man gerade treffen darf.

Oder nehmen Sie das Wort "Party": Das löst heute andere Assoziationen aus - wer heute eine "Party" feiern möchte, gilt schnell als fahrlässig. Oder "Klopapier": Ein Allerweltprodukt, das plötzlich für ein bestimmtes Verhalten innerhalb der Pandemie steht - für egoistische oder vielleicht einfach übervorsichtige Menschen, die sich mit Massen an Klopapier eindecken. Wir haben also nicht nur neue Wörter im öffentlichen Diskurs wie die angesprochene "Mutation". Sondern wir haben auch eine politische Aufladung von vielen etablierten Wörtern aus dem Alltag.

Tragen bestimmte Wörter dazu bei, dass sich die Fronten mit Blick auf Corona verhärten?

Was ich in letzter Zeit beobachte, ist eine stärkere Polarisierung der Debattenkultur, vor allem in sozialen Medien. Zugespitzt: Bist du nicht für die Maßnahmen, dann bist du zugleich für das Ableben aller alten Menschen. Stellst du Fragen, bist du schnell ein sogenannter "Covidiot". Umgekehrt gilt schnell als „naiv“ oder "unverantwortlich", wer sich für Schulöffnungen ausspricht.

Es gibt viele Wörter in der Corona-Pandemie, die den anderen vor allem diskreditieren und disziplinieren sollen, zum Beispiel "Verschwörungstheoretiker", "Superspreader" oder "Corona-Leugner". Das Problem ist, dass so der Austausch von Argumenten und Perspektiven stark gehemmt wird. Man muss nicht jeden Quatsch ernst nehmen - die Pandemie wurde nicht von Bill Gates erfunden. Aber wir brauchen wieder mehr Debatte auf Augenhöhe. Nur so finden wir auch Kompromisslösungen im Umgang mit der Pandemie, die für möglichst große Teile der Bevölkerung tragfähig sind.

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