"Lissabon schützt - Impfzentrum", steht am Eingang eines Wartesaals, wo Menschen auf ihre Corona-Impfung warten.
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"Lissabon schützt - Impfzentrum", steht am Eingang eines Wartesaals, wo Menschen auf ihre Corona-Impfung warten.

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Warum es in anderen Ländern weniger Impfskepsis gibt

Die Zahl der Erstimpfungen in Deutschland zieht wieder an – und doch ist die Impflücke laut Experten immer noch zu groß, die Impfskepsis weiter stark verbreitet. In Ländern wie Spanien, Portugal und Dänemark sieht das anders aus. Das sind die Gründe.

50.000 Neuinfektionen, eine Inzidenz von 249, beides Höchstwerte. Die Corona-Zahlen sind in Deutschland stark angestiegen. Zahlreiche Corona-Maßnahmen werden (wieder) eingeführt - kostenlose Schnelltests, 3G am Arbeitsplatz, Maskenpflicht an Schulen.

Die Corona-Impfung bleibt für Experten der beste Weg, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Das Robert Koch-Institut schrieb schon im Juli: "Zur Eindämmung der Pandemie kommt es maßgeblich darauf an, in der Bevölkerung rasch hohe Impfquoten zu erreichen."

Laut einer Studie des "Hamburg Center for Health Economics" liegt der Anteil der Impfskeptiker in der deutschen Bevölkerung bei 13 Prozent. Das Bundesgesundheitsministerium hatte Forsa mit einer Umfrage beauftragt, um nach den Gründen für die Impfskepsis zu fragen. Die Ergebnisse, die Ende Oktober veröffentlicht wurden, zeigen mehrere Typen.

Wer sind die Impfgegner in Deutschland?

Der Forsa-Bericht teilt die Ungeimpften in vier Typen ein: der "Existenzleugner", der nicht glaubt, dass es Corona wirklich gibt; der "Diktatur-Vermuter", der hinter Corona-Maßnahmen ein anderes, sich um staatliche Kontrolle drehendes Motiv vermutet; der "Skeptiker" zweifelt die Existenz des Virus nicht an, hält die Gefahr von Einschränkungen aber für größer als die durch das Virus; sowie als letzte Gruppe die "Ohne Nähe zu Querdenken".

Die bedenkliche Zahl für die Politik aus diesem Bericht: 88 Prozent der befragten Ungeimpften gaben an, sich innerhalb der nächsten acht Wochen nicht impfen lassen zu wollen.

Andere europäische Länder kennen solche Probleme in diesem Maße nicht. Länder wie Portugal, Spanien und Dänemark haben weitaus höhere Impfquoten und damit auch weniger Impfgegner. Das spanische Meinungsforschungsinstitut CIS hatte im Mai gefragt, wie viele Menschen im Land sich nicht impfen lassen wollen. Antwort: sechs Prozent.

Grafik: Impf-Vergleich Europa

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Impf-Vergleich Europa

Warum in Portugal und Spanien Impfungen besser angenommen werden

"Die hohe Bereitschaft in Spanien, sich gegen Covid impfen zu lassen, ist durchaus auch auf ein positives Bild des medizinischen Fortschritts zurückzuführen", erklärt Carlos Collado Seidel, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Marburg, im Gespräch mit BR24. Grund dafür sei auch ein historisches Trauma: "In den 50er-Jahren wurde unter Franco die Polio-Impfung nicht eingeführt und die Krankheit konnte sich in der Folge massiv ausbreiten". Erst die flächendeckenden Impfungen in den 70ern haben die Polio-Epidemie stoppen können. Dieser Erfolg ist "in Spanien sehr positiv in Erinnerung" geblieben, so Collado Seidel.

In Portugal gibt es beim Thema Impfen – egal ob gegen Corona oder andere Krankheiten – eine ähnliche Haltung. Das hat mit der Geschichte des Landes zu tun: Erst nach der Revolution 1974 wurde in Portugal ein staatliches Gesundheitssystem aufgebaut. Die Impfungen sorgten dafür, dass die Rate der Kindersterblichkeit rapide nach unten ging.

Das hat für Impf-Vertrauen in der Bevölkerung gesorgt. In Spanien und Portugal sind über 95 Prozent aller Kinder und Jugendlichen gegen Kinderlähmung, Meningitis oder Hepatitis geimpft – Höchstwerte in der Europäischen Union.

Auch organisatorische Gründe spielen eine Rolle: Während sich in Deutschland die Menschen aktiv um einen Impftermin kümmern müssen, ist es in Spanien und Portugal anders. Dort werden die Menschen angerufen und ihnen ein Termin mitgeteilt. Verpassen sie diesen, gibt es einen erneuten Anruf. Mancher Impfzweifler kann durch die direkte Aufforderung, durch ein Gespräch, wohl eher zum Piks bewegt werden.

Das Gesundheitssystem in Spanien ist zudem anders strukturiert: "Die Tatsache, dass Spanien über ein öffentliches nationales Gesundheitssystem verfügt, das allen Bürgern ohne zwischengeschaltete Versicherungen zur Verfügung steht, dass es sich in öffentlichem Besitz befindet und auf diese Weise koordiniert wird, obwohl es dezentralisiert ist, ist ein sehr wichtiges Element", erklärte Daniel López-Acuña, ehemaliger WHO-Direktor für Krisenmanagement und Professor für öffentliche Gesundheit, gegenüber "euronews".

Dänemark: "Großes Vertrauen in Behörden und Politik"

Das Vertrauen in das Gesundheitssystem ist auch in Dänemark groß und hat zu einer hohen Impfbereitschaft geführt. "In Dänemark verwendet man sehr selten Zwang, und es war auch hier nicht nötig. Wenn man eine gute Erklärung hat und es Vertrauen in die Behörden gibt, dann lassen sich die Menschen impfen und testen", sagte Troels Lillebaek vom Serum Institut, das verantwortlich für die Überwachung der Pandemie in Dänemark ist.

Dänemark steht damit exemplarisch für die skandinavischen Länder, in denen das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen weltweit mit am höchsten ist. Ein Fakt, den der Wissenschaftler Ulf Andreasson als "nordisches Gold" bezeichnet. Dieses Vertrauen scheint sich auch in den staatlichen Impfkampagnen widerzuspiegeln: Dänemark, Schweden, Norwegen, Island und Finnland haben alle eine höhere Impfrate als Deutschland.

Selbst im Vergleich mit anderen skandinavischen Ländern ist in Dänemark noch etwas Besonderes passiert: Im Mai hatte Eurofound, eine Agentur der Europäischen Union, eine Studie zur Frage nach Staatsvertrauen in Pandemie-Zeiten veröffentlicht. In der ganzen EU gab es demnach lediglich ein Land, in der das Vertrauen in die Regierung während der Pandemie gestiegen ist – Dänemark.

In Deutschland ist das Vertrauen in das Gesundheitssystem in der Pandemie dagegen stark zurückgegangen. Die Universität Konstanz hat zum Thema "Covid-19 und soziale Ungleichheit" Befragungen durchgeführt. In ihrem Bericht aus dem Juli heißt es zur Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem: "Im November 2020 wurde die Effizienz der Krisenreaktion noch von einer Mehrheit (56,6 Prozent) positiv bewertet. Im Mai 2021 hatte sich dieser Wert halbiert (auf 28,9 Prozent)."

Spanien und Portugal mit schwerer erster Corona-Welle

Portugal und Spanien gehörten zu den beiden am meisten von der ersten Corona-Welle betroffenen Ländern. Das lässt sich auch heute noch an der Zahl der Corona-Toten festmachen: In der Pandemie sind pro Millionen Einwohner in Spanien 1.873 und in Portugal 1.791 Menschen an Covid-19 gestorben. Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Zahl bei 1.155.

Doch die Impferfolge scheinen sich in der Sterberate inzwischen niederzuschlagen. Die Todeszahlen nur für die letzten sieben Tage zeigen nun eine umgekehrte Reihenfolge: In Deutschland sind es 11,1 Covid-Tote, in Portugal 4,5 und in Spanien sogar nur 2,9.

"Alle haben während der Pandemie Angehörige verloren", erklärte der Epidemiologe Daniel López-Acuña spanischen Medien. Auch das habe die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, gesteigert. Diese hohe Bereitschaft hat nun dafür gesorgt, dass es in dem Land bereits Herdenimmunität gibt, wie das Fachmagazin "The Lancet" vermutet.

Spanien hatte zeitweise einen der strengsten Lockdowns weltweit – teilweise war nicht einmal Spazierengehen erlaubt. Viele junge Spanier sind nun auch aus familiären Gründen bereit, sich impfen zu lassen: 55 Prozent der 25- bis 29-Jährigen leben noch bei ihren Eltern und haben dementsprechend eine höhere Motivation, ihre Verwandten zu schützen.

Pandemie als kollektive Aufgabe

In Portugal spielte zudem ein Mann eine besondere Rolle: Henrique Gouveia e Melo, ein Vize-Admiral, der zum Chef der Impf-Task-Force wurde. Jeder im Land kennt Gouveia e Melo inzwischen. Der überzeugte viele – auch mit Hilfe von Kriegsrhetorik. Anfang Oktober sagte er zur hohen Impfquote: "Wir haben eine Schlacht gewonnen, aber ich weiß nicht, ob wir den Krieg gegen das Virus gewonnen haben. Das ist ein Weltkrieg."

Portugals Impf-Koordinator Gouveia e Melo sieht einen Schlüssel im Erfolg seiner Kampagne darin, dass die Politik außen vor blieb. "Man muss Leute finden, die keine Politiker sind", erklärte er der New York Times. Er versammelte ein Team aus Mathematikern, Ärzten und Strategen der Armee um sich. Er ließ als erstes Soldaten öffentlichkeitswirksam impfen, um Vorbilder zu kreieren. All das hatte Erfolg: Laut der Nachrichtenagentur Reuters liegt der Anteil der Impfgegner im Land bei nur drei Prozent.

Die Pandemie als kollektive Aufgabe zu sehen – das ist ein weiterer Punkt, den Gouveia e Melo als Ursache für die hohe Impfquote in seinem Land sieht. "Die Kommunikation über den Impfprozess haben wir sehr aktiv und offen geführt. Das war sehr wichtig und hat ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen. Wir sind hier nicht egoistisch, wir haben keine Angst vor Impfungen", erklärte er dem ZDF.

Im Nachbarland ist es ähnlich: "In Spanien scheint trotz der gravierenden politischen Polarisierung ein Gefühl der Solidarität innerhalb der Bevölkerung zu bestehen", sagt Prof. Carlos Collado Seidel gegenüber BR24. Das drücke sich nicht nur in der Impfquote aus, "aber auch in anderen Aspekten wie in der Bereitschaft zur Organspende." Diese ist in Spanien weitaus höher als in Deutschland.

Wie lässt sich in Deutschland die Impfbereitschaft steigern?

Viele Punkte, die für die geringe Impfskepsis in diesen Ländern verantwortlich sind, lassen sich nicht übertragen: Deutschland hat weder die historische Erfahrung wie Portugal und Spanien gemacht, noch ist das Land so extrem von der ersten Corona-Welle betroffen gewesen wie die Iberische Halbinsel oder beispielsweise auch Italien. Strengere Regeln beim Thema Datenschutz macht die Kontaktaufnahme mit den Bürgern auch schwieriger als in anderen Ländern – Stichwort Anruf der Behörden für einen Impftermin. Gesellschaftlicher Wandel, mehr Solidarität - das entwickelt sich nicht über Nacht und anscheinend nicht während einer Pandemie. Deswegen lohnt sich ein Blick in diese Länder allemal.

Wofür Experten in jedem Fall plädieren: Auch nach fast einem Jahr Impf-Kampagne seien die Angebote immer noch nicht zugänglich genug. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schlug zuletzt vor, das Impfen auch in Apotheken, Testzentren und Gesundheitsämtern anzubieten. Vereinzelt gab es schon Angebote vor Supermärkten und Schwimmbädern sowie Impf-Aktionen mit Gratis-Bratwurst.

Doch egal ob mit oder ohne diese besonderen Angebote - die neuen Höchststände bei den Infektionen scheinen Menschen zum Umdenken zu bewegen: Die Zahl der Erstimpfungen steigt wieder in Deutschland.

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