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In Deutschland ist die Zahl der erfassten Straftaten im vergangenen Jahr drastisch gestiegen. Kriminologen fordern aber, genauer hinzuschauen.

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Anstieg der Straftaten: Kriminologe warnt vor Überinterpretation

In Deutschland ist die Zahl der erfassten Straftaten im vergangenen Jahr drastisch gestiegen. Die heute veröffentlichte Kriminalstatistik weist sogar den höchsten Stand seit 2016 auf. Kriminologen fordern aber, den Blick auf die Details zu richten.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Mehr Diebstähle, mehr Gewalt: Deutschland hat im vergangenen Jahr einen dramatischen Anstieg an Straftaten erlebt. Wie die heute veröffentlichte polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts zeigt, wurde 2023 sogar der höchste Wert an Delikten seit sieben Jahren erfasst. Vor allem die Entwicklung der gemeldeten Straftaten mit Ausländerbeteiligung gibt Grund zur Sorge. Doch Kriminologen warnen vor einer zu verkürzten Sichtweise durch die Statistik und plädieren stattdessen für ein genaueres Hinsehen.

Knapp sechs Millionen verzeichnete Fälle in 2023

Insgesamt registrierten die Behörden in Deutschland im abgelaufenen Jahr 5,941 Millionen Fälle von Kriminalität. Verglichen mit 2022 ist das ein Plus von rund 5,5 Prozent. Am größten ist die Zunahme dabei bei Diebstählen und Gewaltdelikten. Allein 1,97 Millionen Fälle wurden der Diebstahlkriminalität zugeordnet - etwa 10,7 Prozent mehr als noch 2022. Rund 214.000 Fälle gab es im Bereich Gewaltkriminalität, also Körperverletzungen, Raubdelikte und verschiedene Sexualstraftaten. Das entspricht einem Anstieg von 8,6 Prozent.

Die Ermittler führen den hohen Zuwachs der Gesamtkriminalität unter anderem auf den Wegfall der Corona-Beschränkungen zurück. Nach den drei Berichtsjahren 2020, 2021 und 2022 ist 2023 das erste mit wieder weitgehend normalem öffentlichen Leben. "Dadurch ergeben sich mehr Tatgelegenheiten und -anlässe", heißt es in dem Bericht. Vergleicht man die Zahlen aus dem letzten Vor-Corona-Jahr 2019, so ergibt sich für 2023 ein Plus von 9,3 Prozent. Zuletzt war die Gesamtzahl der Straftaten im Jahr 2016 höher.

Rückgang bei Betrug und Cyberkriminalität

Gesunken sind 2023 hingegen die Zahlen der Fälle von Betrug und Cyberkriminalität, nachdem diese Felder während der Corona-Zeit gewachsen waren. 2023 registrierten die Behörden gut 754.000 Fälle von Betrug (minus 5,9 Prozent) und gut 134.000 von Cybercrime (minus 1,8 Prozent). Auch bei der Aufklärungsquote gibt es Positives zu berichten: Etwa 58,4 Prozent aller Straftaten in Deutschland konnten im vergangenen Jahr aufgeklärt werden - rund 1,1 Prozentpunkte mehr als 2022.

Anstieg bei Straftaten durch Ausländer: Kriminologen waren vor Überinterpretation

Einen besonders starken Anstieg weist die Statistik bei ausländischen Tatverdächtigen auf. Während die Zahl der deutschen Verdächtigen innerhalb eines Jahres nur um ein Prozent auf etwa 1,32 Millionen anstieg, wuchs die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen um 17,8 Prozent auf rund 923.000 an. Der Anteil nichtdeutscher Verdächtiger an allen Verdächtigen nahm um 3,7 Prozentpunkte zu und lag bei 41,1 Prozent. Bei den Diebstahlsdelikten stieg die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen sogar um 22,8 Prozent, die der deutschen Verdächtigen dagegen nur um 7,4 Prozent.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer warnte im BR24-Interview aber davor, den Zahlen zu viel Bedeutung beizumessen. Bei Straftaten, an denen Asylbewerber beteiligt sind, sei die Anzeigequote doppelt so hoch, wie bei deutschen Staatsbürgern, so der ehemalige niedersächsische Justizminister. "Die Sichtbarkeit der sogenannten Ausländerkriminalität ist deutlich höher als die bei Einheimischen und das wird völlig übersehen, wenn wir hier behaupten, sie seien überrepräsentiert."

Pfeiffer: Alters- und Geschlechtsmerkmale beachten

Die hohen Werte der verzeichneten Ausländerkriminalität hängen laut Pfeiffer auch mit der Alters- und Geschlechtsstruktur der Menschen zusammen, die ohne deutschen Pass hier leben. Statistisch gesehen seien junge Männer in allen Völkern der Welt am gefährlichsten. Da in Deutschland überproportional viele Migranten unter 18 Jahre seien, sei es nur logisch, dass die Kriminalitätsbelastung bei ihnen eine andere sei, erläutert Pfeiffer.

Auch der Kriminologe Tobias Singelnstein von der Uni Frankfurt am Main verweist im BR24-Interview auf Schwachstellen in der aktuellen Kriminalstatistik. "Hinter der Kategorie der Nicht-Deutschen verbergen sich ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen, das sind Touristen genauso wie Geflüchtete." Er warnte davor, die Staatsangehörigkeit als zentralen Faktor für die Frage heranzuziehen, warum Menschen unter Umständen Straftaten begehen. Alter, Geschlecht und soziale Lebensbedingungen würden demnach viel mehr Aufschluss darüber geben, so der Fachmann.

Experte dennoch für konsequenteres Abschieben

Das Plus bei Straftaten durch Ausländer sei auch deswegen nicht überraschend, weil sich im vergangenen Jahr schlicht und ergreifend mehr Nicht-Deutsche hierzulande aufgehalten hätten, betont Singelnstein. "Wo es mehr Menschen gibt, gibt es auch mehr Straftaten". Die Unterscheidung nach dem Pass sei daher nicht zielführend. Deutschland sei aber nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt, unterstreicht Singelnstein.

Eine Möglichkeit, um die Ausländerkriminalität dennoch drastisch zu reduzieren, sieht der Kriminologe Pfeiffer in schnellen und konsequenten Abschiebungen. Damit stellt er sich hinter den Vorschlag von Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD). Sie hatte bei der Pressekonferenz zur Vorstellung der Kriminalstatistik erklärt, dass als Konsequenz auf die Entwicklung der aktuellen Zahlen, Straftäter ohne deutschen Pass "Deutschland deutlich schneller verlassen müssen als bisher". "Wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen."

Bayern kommt bei Straftaten deutschlandweit noch gut weg

Die gestiegene Kriminalität bei Kindern (2023 gut 104.000 verdächtige Kinder unter 14 Jahren ermittelt - ein Zuwachs von 43 Prozent gegenüber 2019) macht dem Kriminologen Pfeiffer Sorgen. Deshalb sei eine Befragung von 10.000 Niedersachsen geplant. 2015 habe eine solche Befragung viel Aufschluss über die damals gestiegene Kriminalität gegeben. Niedersachsen sei als Ort für die Befragung sinnvoll, weil es "immer das Durchschnittsland Deutschlands in all solchen Fragen ist", so Pfeiffer, der früher auch das Kriminologische Forschungsinstitut in Niedersachsen geleitet hat.

Warum Bayern bei der Kriminalstatistik als sicherstes Bundesland abschneidet, liegt aus Pfeiffers Sicht an der Sozialstruktur im Freistaat. "Bayern hat eine besonders niedrige Arbeitslosigkeit, niedrige Armut, höhere Bildungsintegration. Die Bayern können richtig stolz sein, dass sie immer wieder Jahr für Jahr am besten dastehen."

Mit Informationen von dpa und AFP.

Nancy Faeser (SPD, M) Bundesministerin des Innern und Heimat, Michael Stübgen (r), Vorsitzender der Innenministerkonferenz, und Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), präsentieren die Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 (PKS).
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In Berlin wurde heute die Polizeiliche Kriminalstatistik 2023 vorgestellt: Gegenüber dem Vorjahr gab es ein deutliches Plus bei den Straftaten.

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